Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Send-Schreiben.
Nachdem man ohngefehr, doch gantz gewiß, ver-
nommen, daß Cramer in der Still in Leipzig
angekommen, und sich incognito ein Weib-
gen ausersehn, auch öffentlich geholt. So ist es
gleich geschehn, daß ex officio man, wie sich es
gebühret, den neuen Ehemann vors Tribunal ci-
tiret und förmlich abgehört. Worauf in Curia bey
früher Tages-Zeit
ad Generalia
Examinandus stans
I.
ad primum.

Wie er heisse?
I.
Rcspondet:

Seht ihr nicht, daß ich der
Cantor bin.
II.
Woher? wie alter sey?
worauf er sich befleisse?
II.
Hier ward er roth und blaß,
er wuste nicht wohin. Doch
sprach er: Halt, ich bin von
meiner Mutter kommen, die
weiß/ wie alt ich bin/ ich weiß
es selber nicht. Was ich im
übrigen bishero vorgenommen,
das ist bekannt genung, es
zeigts mein Angesicht. Mein
Handwerck ist itzund die Nah-
rung reiner Liebe.
III.
Ob er diß Handwerck
auch, wie sichs gebührt/
gelernt/ und ob er nicht
gepfuscht?
III.
Das zeigen meine Triebe,
versetzt er trotziglich/ das Pfu-
schen ist entfernt. Mein Lehr-
brief soll mich schon von allen
Vorwurff schützen.
IV.
Wie weit er in der
Kunst zu lieben kommen
sey?
IV.
Mir ist es schon genung/ daß
ich der Welt kan nützen/ und
bin nicht feig und faul, doch
auch nicht allzufrey. Am lieb-
sten
Vermiſchte Send-Schreiben.
Nachdem man ohngefehr, doch gantz gewiß, ver-
nommen, daß Cramer in der Still in Leipzig
angekommen, und ſich incognito ein Weib-
gen auserſehn, auch oͤffentlich geholt. So iſt es
gleich geſchehn, daß ex officio man, wie ſich es
gebuͤhret, den neuen Ehemann vors Tribunal ci-
tiret und foͤrmlich abgehoͤrt. Worauf in Curia bey
fruͤher Tages-Zeit
ad Generalia
Examinandus ſtans
I.
ad primum.

Wie er heiſſe?
I.
Rcſpondet:

Seht ihr nicht, daß ich der
Cantor bin.
II.
Woher? wie alter ſey?
worauf er ſich befleiſſe?
II.
Hier ward er roth und blaß,
er wuſte nicht wohin. Doch
ſprach er: Halt, ich bin von
meiner Mutter kommen, die
weiß/ wie alt ich bin/ ich weiß
es ſelber nicht. Was ich im
uͤbrigen bishero vorgenom̃en,
das iſt bekannt genung, es
zeigts mein Angeſicht. Mein
Handwerck iſt itzund die Nah-
rung reiner Liebe.
III.
Ob er diß Handwerck
auch, wie ſichs gebührt/
gelernt/ und ob er nicht
gepfuſcht?
III.
Das zeigen meine Triebe,
verſetzt er trotziglich/ das Pfu-
ſchen iſt entfernt. Mein Lehr-
brief ſoll mich ſchon von allen
Vorwurff ſchuͤtzen.
IV.
Wie weit er in der
Kunſt zu lieben kommen
ſey?
IV.
Mir iſt es ſchon genung/ daß
ich der Welt kan nuͤtzen/ und
bin nicht feig und faul, doch
auch nicht allzufrey. Am lieb-
ſten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0138" n="118"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Send-Schreiben.</hi> </fw><lb/>
            <l><hi rendition="#in">N</hi>achdem man ohngefehr, doch gantz gewiß, ver-</l><lb/>
            <l>nommen, daß Cramer in der Still in Leipzig</l><lb/>
            <l>angekommen, und &#x017F;ich <hi rendition="#aq">incognito</hi> ein Weib-</l><lb/>
            <l>gen auser&#x017F;ehn, auch o&#x0364;ffentlich geholt. So i&#x017F;t es</l><lb/>
            <l>gleich ge&#x017F;chehn, daß <hi rendition="#aq">ex officio</hi> man, wie &#x017F;ich es</l><lb/>
            <l>gebu&#x0364;hret, den neuen Ehemann vors <hi rendition="#aq">Tribunal ci-</hi></l><lb/>
            <l><hi rendition="#aq">tir</hi>et und fo&#x0364;rmlich abgeho&#x0364;rt. Worauf <hi rendition="#aq">in Curia</hi> bey</l><lb/>
            <l>fru&#x0364;her Tages-Zeit</l>
          </lg><lb/>
          <floatingText>
            <body>
              <div>
                <table>
                  <row>
                    <cell cols="2"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">ad Generalia<lb/>
Examinandus &#x017F;tans</hi> </hi> </cell>
                  </row><lb/>
                  <row>
                    <cell> <hi rendition="#aq">I.<lb/>
ad primum.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Wie er hei&#x017F;&#x017F;e?</hi> </cell>
                    <cell><hi rendition="#aq">I.<lb/>
Rc&#x017F;pondet:</hi><lb/>
Seht ihr nicht, daß ich der<lb/><hi rendition="#aq">Cantor</hi> bin.</cell>
                  </row><lb/>
                  <row>
                    <cell> <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Woher? wie alter &#x017F;ey?<lb/>
worauf er &#x017F;ich beflei&#x017F;&#x017F;e?</hi> </cell>
                    <cell><hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
Hier ward er roth und blaß,<lb/>
er wu&#x017F;te nicht wohin. Doch<lb/>
&#x017F;prach er: Halt, ich bin von<lb/>
meiner Mutter kommen, die<lb/>
weiß/ wie alt ich bin/ ich weiß<lb/>
es &#x017F;elber nicht. Was ich im<lb/>
u&#x0364;brigen bishero vorgenom&#x0303;en,<lb/>
das i&#x017F;t bekannt genung, es<lb/>
zeigts mein Ange&#x017F;icht. Mein<lb/>
Handwerck i&#x017F;t itzund die Nah-<lb/>
rung reiner Liebe.</cell>
                  </row><lb/>
                  <row>
                    <cell> <hi rendition="#aq">III.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Ob er diß Handwerck<lb/>
auch, wie &#x017F;ichs gebührt/<lb/>
gelernt/ und ob er nicht<lb/>
gepfu&#x017F;cht?</hi> </cell>
                    <cell><hi rendition="#aq">III.</hi><lb/>
Das zeigen meine Triebe,<lb/>
ver&#x017F;etzt er trotziglich/ das Pfu-<lb/>
&#x017F;chen i&#x017F;t entfernt. Mein Lehr-<lb/>
brief &#x017F;oll mich &#x017F;chon von allen<lb/>
Vorwurff &#x017F;chu&#x0364;tzen.</cell>
                  </row><lb/>
                  <row>
                    <cell> <hi rendition="#aq">IV.</hi><lb/> <hi rendition="#fr">Wie weit er in der<lb/>
Kun&#x017F;t zu lieben kommen<lb/>
&#x017F;ey?</hi> </cell>
                    <cell xml:id="b01" next="#b02"><hi rendition="#aq">IV.</hi><lb/>
Mir i&#x017F;t es &#x017F;chon genung/ daß<lb/>
ich der Welt kan nu&#x0364;tzen/ und<lb/>
bin nicht feig und faul, doch<lb/>
auch nicht allzufrey. Am lieb-</cell>
                  </row>
                </table><lb/>
                <fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0138] Vermiſchte Send-Schreiben. Nachdem man ohngefehr, doch gantz gewiß, ver- nommen, daß Cramer in der Still in Leipzig angekommen, und ſich incognito ein Weib- gen auserſehn, auch oͤffentlich geholt. So iſt es gleich geſchehn, daß ex officio man, wie ſich es gebuͤhret, den neuen Ehemann vors Tribunal ci- tiret und foͤrmlich abgehoͤrt. Worauf in Curia bey fruͤher Tages-Zeit ad Generalia Examinandus ſtans I. ad primum. Wie er heiſſe? I. Rcſpondet: Seht ihr nicht, daß ich der Cantor bin. II. Woher? wie alter ſey? worauf er ſich befleiſſe? II. Hier ward er roth und blaß, er wuſte nicht wohin. Doch ſprach er: Halt, ich bin von meiner Mutter kommen, die weiß/ wie alt ich bin/ ich weiß es ſelber nicht. Was ich im uͤbrigen bishero vorgenom̃en, das iſt bekannt genung, es zeigts mein Angeſicht. Mein Handwerck iſt itzund die Nah- rung reiner Liebe. III. Ob er diß Handwerck auch, wie ſichs gebührt/ gelernt/ und ob er nicht gepfuſcht? III. Das zeigen meine Triebe, verſetzt er trotziglich/ das Pfu- ſchen iſt entfernt. Mein Lehr- brief ſoll mich ſchon von allen Vorwurff ſchuͤtzen. IV. Wie weit er in der Kunſt zu lieben kommen ſey? IV. Mir iſt es ſchon genung/ daß ich der Welt kan nuͤtzen/ und bin nicht feig und faul, doch auch nicht allzufrey. Am lieb- ſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_jugendfruechte_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_jugendfruechte_1745/138
Zitationshilfe: Spindler, Christian Gotthold: Unschuldige Jugend-Früchte. Leipzig, 1745, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spindler_jugendfruechte_1745/138>, abgerufen am 21.11.2024.