Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechstes Kapitel.

Am nächsten Morgen noch vor dem Frühstücke
war Herr Timm abgereist. Er hatte den Baron ge¬
beten, ihn bis nach B., dem nächsten Städtchen,
fahren zu lassen, von dort wolle er Extrapost nehmen.
Der gastfreundliche Baron fragte: ob es denn so
große Eile habe? ob er sich nicht ein paar Tage von
seiner angestrengten Arbeit ausruhen wolle? Da Al¬
bert indessen gestern Abend einen bedeutenden Auftrag
erhalten zu haben vorgab (der Postbote hatte ihm in
der That einen Brief gebracht), so ließ sich dagegen
allerdings nichts einwenden, und der Baron befahl
dem schweigsamen Kutscher, die schwerfälligen Braunen
anzuspannen. Herr Timm sagte Allen flüchtig Lebe¬
wohl und fuhr von dannen. Es vermißte ihn Nie¬
mand -- Niemand, mit Ausnahme der kleinen Genferin.
Aber sie vergoß ihre heißen Thränen in der Stille
ihres Stübchens und die Gesellschaft sah von ihrem

Sechstes Kapitel.

Am nächſten Morgen noch vor dem Frühſtücke
war Herr Timm abgereiſt. Er hatte den Baron ge¬
beten, ihn bis nach B., dem nächſten Städtchen,
fahren zu laſſen, von dort wolle er Extrapoſt nehmen.
Der gaſtfreundliche Baron fragte: ob es denn ſo
große Eile habe? ob er ſich nicht ein paar Tage von
ſeiner angeſtrengten Arbeit ausruhen wolle? Da Al¬
bert indeſſen geſtern Abend einen bedeutenden Auftrag
erhalten zu haben vorgab (der Poſtbote hatte ihm in
der That einen Brief gebracht), ſo ließ ſich dagegen
allerdings nichts einwenden, und der Baron befahl
dem ſchweigſamen Kutſcher, die ſchwerfälligen Braunen
anzuſpannen. Herr Timm ſagte Allen flüchtig Lebe¬
wohl und fuhr von dannen. Es vermißte ihn Nie¬
mand — Niemand, mit Ausnahme der kleinen Genferin.
Aber ſie vergoß ihre heißen Thränen in der Stille
ihres Stübchens und die Geſellſchaft ſah von ihrem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0126" n="[116]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Sechstes Kapitel.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Am näch&#x017F;ten Morgen noch vor dem Früh&#x017F;tücke<lb/>
war Herr Timm abgerei&#x017F;t. Er hatte den Baron ge¬<lb/>
beten, ihn bis nach B., dem näch&#x017F;ten Städtchen,<lb/>
fahren zu la&#x017F;&#x017F;en, von dort wolle er Extrapo&#x017F;t nehmen.<lb/>
Der ga&#x017F;tfreundliche Baron fragte: ob es denn &#x017F;o<lb/>
große Eile habe? ob er &#x017F;ich nicht ein paar Tage von<lb/>
&#x017F;einer ange&#x017F;trengten Arbeit ausruhen wolle? Da Al¬<lb/>
bert inde&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;tern Abend einen bedeutenden Auftrag<lb/>
erhalten zu haben vorgab (der Po&#x017F;tbote hatte ihm in<lb/>
der That einen Brief gebracht), &#x017F;o ließ &#x017F;ich dagegen<lb/>
allerdings nichts einwenden, und der Baron befahl<lb/>
dem &#x017F;chweig&#x017F;amen Kut&#x017F;cher, die &#x017F;chwerfälligen Braunen<lb/>
anzu&#x017F;pannen. Herr Timm &#x017F;agte Allen flüchtig Lebe¬<lb/>
wohl und fuhr von dannen. Es vermißte ihn Nie¬<lb/>
mand &#x2014; Niemand, mit Ausnahme der kleinen Genferin.<lb/>
Aber &#x017F;ie vergoß ihre heißen Thränen in der Stille<lb/>
ihres Stübchens und die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;ah von ihrem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[116]/0126] Sechstes Kapitel. Am nächſten Morgen noch vor dem Frühſtücke war Herr Timm abgereiſt. Er hatte den Baron ge¬ beten, ihn bis nach B., dem nächſten Städtchen, fahren zu laſſen, von dort wolle er Extrapoſt nehmen. Der gaſtfreundliche Baron fragte: ob es denn ſo große Eile habe? ob er ſich nicht ein paar Tage von ſeiner angeſtrengten Arbeit ausruhen wolle? Da Al¬ bert indeſſen geſtern Abend einen bedeutenden Auftrag erhalten zu haben vorgab (der Poſtbote hatte ihm in der That einen Brief gebracht), ſo ließ ſich dagegen allerdings nichts einwenden, und der Baron befahl dem ſchweigſamen Kutſcher, die ſchwerfälligen Braunen anzuſpannen. Herr Timm ſagte Allen flüchtig Lebe¬ wohl und fuhr von dannen. Es vermißte ihn Nie¬ mand — Niemand, mit Ausnahme der kleinen Genferin. Aber ſie vergoß ihre heißen Thränen in der Stille ihres Stübchens und die Geſellſchaft ſah von ihrem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/126
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. [116]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/126>, abgerufen am 21.11.2024.