So sprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch einen Rohrstuhl herbei, um seine Beine darauf zu legen, und streckte sich behaglich, den Kopf etwas hinten¬ über gebogen, um dem Rauch seiner Cigarre bequemer und länger nachschauen zu können.
Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins Gesicht und Oswald bemerkte jetzt zum ersten Male, daß Herrn Timm's Züge, besonders im Profil ge¬ sehen, wo die kecken, saubern Linien zur vollen Geltung kamen, wirklich überraschend hübsch und in¬ teressant waren. Diese Entdeckung war für Oswald durchaus nicht gleichgültig. Er ging noch einen Schritt weiter als Voltaire, und hielt dafür, daß nicht nur von den Büchern, sondern auch von den Menschen das genre ennuyeux das schlimmste sei, und bei einem überaus regen und durch Studien vielfach gebildeten Formensinn ließ er sich von seiner leiden¬ schaftlichen Liebe für malerische und plastische Schön¬ heit in einer Weise beherrschen, daß sein Gefühl des Wahren und Guten dabei Gefahr lief, nicht unterdrückt, aber doch getrübt zu werden. So war es in diesem Falle. Herrn Timm's formloses Wesen und nur dünn verschleierter derber Realismus hatten ihn im Laufe des Abends ein paar mal recht empfindlich be¬ leidigt, und er war schon entschlossen gewesen, den
So ſprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch einen Rohrſtuhl herbei, um ſeine Beine darauf zu legen, und ſtreckte ſich behaglich, den Kopf etwas hinten¬ über gebogen, um dem Rauch ſeiner Cigarre bequemer und länger nachſchauen zu können.
Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins Geſicht und Oswald bemerkte jetzt zum erſten Male, daß Herrn Timm's Züge, beſonders im Profil ge¬ ſehen, wo die kecken, ſaubern Linien zur vollen Geltung kamen, wirklich überraſchend hübſch und in¬ tereſſant waren. Dieſe Entdeckung war für Oswald durchaus nicht gleichgültig. Er ging noch einen Schritt weiter als Voltaire, und hielt dafür, daß nicht nur von den Büchern, ſondern auch von den Menſchen das genre ennuyeux das ſchlimmſte ſei, und bei einem überaus regen und durch Studien vielfach gebildeten Formenſinn ließ er ſich von ſeiner leiden¬ ſchaftlichen Liebe für maleriſche und plaſtiſche Schön¬ heit in einer Weiſe beherrſchen, daß ſein Gefühl des Wahren und Guten dabei Gefahr lief, nicht unterdrückt, aber doch getrübt zu werden. So war es in dieſem Falle. Herrn Timm's formloſes Weſen und nur dünn verſchleierter derber Realismus hatten ihn im Laufe des Abends ein paar mal recht empfindlich be¬ leidigt, und er war ſchon entſchloſſen geweſen, den
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So ſprach Herr Timm, zog mit dem Fuße noch
einen Rohrſtuhl herbei, um ſeine Beine darauf zu
legen, und ſtreckte ſich behaglich, den Kopf etwas hinten¬
über gebogen, um dem Rauch ſeiner Cigarre bequemer
und länger nachſchauen zu können.
Der Schein der Lampe fiel ihm dabei voll ins
Geſicht und Oswald bemerkte jetzt zum erſten Male,
daß Herrn Timm's Züge, beſonders im Profil ge¬
ſehen, wo die kecken, ſaubern Linien zur vollen
Geltung kamen, wirklich überraſchend hübſch und in¬
tereſſant waren. Dieſe Entdeckung war für Oswald
durchaus nicht gleichgültig. Er ging noch einen
Schritt weiter als Voltaire, und hielt dafür, daß
nicht nur von den Büchern, ſondern auch von den
Menſchen das genre ennuyeux das ſchlimmſte ſei, und
bei einem überaus regen und durch Studien vielfach
gebildeten Formenſinn ließ er ſich von ſeiner leiden¬
ſchaftlichen Liebe für maleriſche und plaſtiſche Schön¬
heit in einer Weiſe beherrſchen, daß ſein Gefühl des
Wahren und Guten dabei Gefahr lief, nicht unterdrückt,
aber doch getrübt zu werden. So war es in dieſem
Falle. Herrn Timm's formloſes Weſen und nur
dünn verſchleierter derber Realismus hatten ihn im
Laufe des Abends ein paar mal recht empfindlich be¬
leidigt, und er war ſchon entſchloſſen geweſen, den
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/194>, abgerufen am 26.04.2024.
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