re gute wercke, ob sie wol, so fern sie aus GOttes wirckung und dem glauben her- kommen, an sich gut sind, dennoch manche flecken und gebrechen von unserm fleisch an sich haben, daß auch dieselbe vor Gottes strengem gericht nicht als vollkommen bestehen und gehalten werden könten.
SECTIO LV. Von haltung grösserer versamlungen/ zur erbau- ung. Warum sie nicht zu rathen. Was in der sache zu thun.
WJe dieses meine vornehmste freude in dieser welt unter so viel anderer angst und betrübnüß ist, wenn ich höre, daß das werck des HErrn ei- nes oder andern ortes glücklich von statten gehe (dann was solle uns hertz- licher freuen als wann geschihet, warum alles in der welt ist?) also hat es mei- ne freude dieser tage nicht wenig vermehret, als aus dessen angenehmen schreiben gehöret, daß der gute trieb, welchen GOttes geist in den hertzen vieler so studioso- rum als bürger erwecket hat, nicht nur nicht abnehme, sondern immer mehr entbren- ne. Gelobet sey GOtt und der vater unsers HErrn JEsu CHristi, welcher auch damit zeuget, daß er noch an uns gedencke, seinem wort die krafft nicht entzogen habe, und uns über das übrige betrübte ansehen der allgemeinen verderbnüß durch einigen frölichen anblick tröste. Er lasse noch immer mehr und mehr sein wort bey allen Seelen durchdringen zu reicher und gesegneter frucht der ewigkeit. Wann aber meldung geschiehet der zunehmenden anzahl der bürger, also daß der raum nicht mehr alle fassen möge, und daher ein weiterer verlanget würde, bekenne ich, daß ich solches nicht verstehe, ob ich es recht fasse: Jndeme mir bisher nicht wissend gewesen, daß einige stärckere versamlungen von bürgern ihres orts sich befinden, massen in den inquisitions acten nichts davon gesehen, sondern vielmehr derglei- chen beständig widersprochen worden, daher mir diese anzeige etwas mehrere sorge macht. Jch will mein hertz aufrichtig hiermit ausschütten. Jch möchte zum allerfördersten von hertzen wünschen, daß wir zu einer solchen zeit lebeten, und auch die gemüther der menschen insgemein so beschaffen wären, daß man ohne un- terscheid alle versamlungen derjenigen, welche GOtt zu suchen bezeugen, und die sie zu solchem zwecke anstellen, erlaubete oder erlauben dörffte. Wo wir aber alles in der furcht des HERRN erwegen, wird nicht wol zu leugnen stehen, daß möglich seye, daß unter dem vorwand solcher christlichen zusammenkunfften derglei- chen dinge vorgehen könten, die der beybehaltung der reinen lehre, auch so gar aus solcher gelegenheit der erhaltung gemeiner Ruhe, gefahr bringen könten. Daher
auch
Das ſiebende Capitel.
re gute wercke, ob ſie wol, ſo fern ſie aus GOttes wirckung und dem glauben her- kommen, an ſich gut ſind, dennoch manche flecken und gebrechen von unſerm fleiſch an ſich haben, daß auch dieſelbe vor Gottes ſtrengem gericht nicht als vollkommen beſtehen und gehalten werden koͤnten.
SECTIO LV. Von haltung groͤſſerer verſamlungen/ zur erbau- ung. Warum ſie nicht zu rathen. Was in der ſache zu thun.
WJe dieſes meine vornehmſte freude in dieſer welt unter ſo viel anderer angſt und betruͤbnuͤß iſt, wenn ich hoͤre, daß das werck des HErrn ei- nes odeꝛ andeꝛn oꝛtes gluͤcklich von ſtatten gehe (dann was ſolle uns heꝛtz- licher freuen als wann geſchihet, warum alles in der welt iſt?) alſo hat es mei- ne freude dieſer tage nicht wenig vermehret, als aus deſſen angenehmen ſchreiben gehoͤret, daß der gute trieb, welchen GOttes geiſt in den hertzen vieler ſo ſtudioſo- rum als buͤrger erwecket hat, nicht nur nicht abnehme, ſondern immer mehr entbren- ne. Gelobet ſey GOtt und der vater unſers HErrn JEſu CHriſti, welcher auch damit zeuget, daß er noch an uns gedencke, ſeinem wort die krafft nicht entzogen habe, und uns uͤber das uͤbrige betruͤbte anſehen der allgemeinen verderbnuͤß durch einigen froͤlichen anblick troͤſte. Er laſſe noch immer mehr und mehr ſein wort bey allen Seelen durchdringen zu reicher und geſegneter frucht der ewigkeit. Wann aber meldung geſchiehet deꝛ zunehmenden anzahl der buͤrger, alſo daß deꝛ raum nicht mehr alle faſſen moͤge, und daher ein weiterer verlanget wuͤrde, bekenne ich, daß ich ſolches nicht verſtehe, ob ich es recht faſſe: Jndeme mir bisher nicht wiſſend geweſen, daß einige ſtaͤrckere verſamlungen von buͤrgern ihres orts ſich befinden, maſſen in den inquiſitions acten nichts davon geſehen, ſondern vielmehr derglei- chen beſtaͤndig widerſprochen worden, daher mir dieſe anzeige etwas mehrere ſorge macht. Jch will mein hertz aufrichtig hiermit ausſchuͤtten. Jch moͤchte zum allerfoͤrderſten von hertzen wuͤnſchen, daß wir zu einer ſolchen zeit lebeten, und auch die gemuͤther der menſchen insgemein ſo beſchaffen waͤren, daß man ohne un- terſcheid alle verſamlungen derjenigen, welche GOtt zu ſuchen bezeugen, und die ſie zu ſolchem zwecke anſtellen, erlaubete oder erlauben doͤrffte. Wo wir aber alles in der furcht des HERRN erwegen, wird nicht wol zu leugnen ſtehen, daß moͤglich ſeye, daß unter dem vorwand ſolcher chriſtlichen zuſammenkunfften derglei- chen dinge vorgehen koͤnten, die der beybehaltung der reinen lehre, auch ſo gar aus ſolcher gelegenheit der erhaltung gemeiner Ruhe, gefahr bringen koͤnten. Daher
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Das ſiebende Capitel.
re gute wercke, ob ſie wol, ſo fern ſie aus GOttes wirckung und dem glauben her-
kommen, an ſich gut ſind, dennoch manche flecken und gebrechen von unſerm fleiſch
an ſich haben, daß auch dieſelbe vor Gottes ſtrengem gericht nicht als vollkommen
beſtehen und gehalten werden koͤnten.
SECTIO LV.
Von haltung groͤſſerer verſamlungen/ zur erbau-
ung. Warum ſie nicht zu rathen. Was in der
ſache zu thun.
WJe dieſes meine vornehmſte freude in dieſer welt unter ſo viel anderer
angſt und betruͤbnuͤß iſt, wenn ich hoͤre, daß das werck des HErrn ei-
nes odeꝛ andeꝛn oꝛtes gluͤcklich von ſtatten gehe (dann was ſolle uns heꝛtz-
licher freuen als wann geſchihet, warum alles in der welt iſt?) alſo hat es mei-
ne freude dieſer tage nicht wenig vermehret, als aus deſſen angenehmen ſchreiben
gehoͤret, daß der gute trieb, welchen GOttes geiſt in den hertzen vieler ſo ſtudioſo-
rum als buͤrger erwecket hat, nicht nur nicht abnehme, ſondern immer mehr entbren-
ne. Gelobet ſey GOtt und der vater unſers HErrn JEſu CHriſti, welcher auch
damit zeuget, daß er noch an uns gedencke, ſeinem wort die krafft nicht entzogen
habe, und uns uͤber das uͤbrige betruͤbte anſehen der allgemeinen verderbnuͤß durch
einigen froͤlichen anblick troͤſte. Er laſſe noch immer mehr und mehr ſein wort bey
allen Seelen durchdringen zu reicher und geſegneter frucht der ewigkeit. Wann
aber meldung geſchiehet deꝛ zunehmenden anzahl der buͤrger, alſo daß deꝛ raum nicht
mehr alle faſſen moͤge, und daher ein weiterer verlanget wuͤrde, bekenne ich, daß
ich ſolches nicht verſtehe, ob ich es recht faſſe: Jndeme mir bisher nicht wiſſend
geweſen, daß einige ſtaͤrckere verſamlungen von buͤrgern ihres orts ſich befinden,
maſſen in den inquiſitions acten nichts davon geſehen, ſondern vielmehr derglei-
chen beſtaͤndig widerſprochen worden, daher mir dieſe anzeige etwas mehrere
ſorge macht. Jch will mein hertz aufrichtig hiermit ausſchuͤtten. Jch moͤchte
zum allerfoͤrderſten von hertzen wuͤnſchen, daß wir zu einer ſolchen zeit lebeten, und
auch die gemuͤther der menſchen insgemein ſo beſchaffen waͤren, daß man ohne un-
terſcheid alle verſamlungen derjenigen, welche GOtt zu ſuchen bezeugen, und die
ſie zu ſolchem zwecke anſtellen, erlaubete oder erlauben doͤrffte. Wo wir aber
alles in der furcht des HERRN erwegen, wird nicht wol zu leugnen ſtehen, daß
moͤglich ſeye, daß unter dem vorwand ſolcher chriſtlichen zuſammenkunfften derglei-
chen dinge vorgehen koͤnten, die der beybehaltung der reinen lehre, auch ſo gar aus
ſolcher gelegenheit der erhaltung gemeiner Ruhe, gefahr bringen koͤnten. Daher
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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/678>, abgerufen am 23.11.2024.
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