Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

Bild:
<< vorherige Seite
ARTIC. V. SECT. XLIV.
SECTIO XLIV.
Als die stadt Franckfurt am Mäyn in äusserste
kriegs-gefahr gerathen/ aber wieder errettet worden/ an
einen Herrn des Magistrats. Was uns GOtt durch
solche gefahr zu verachtung alles irdischen und
trachtung nach dem ewigen lehren
wolle.

ES ist wol mein stätiges verlangen, daß der grosse GOTT, wie er von ih-
rer lieben stadt die gefahr nunmehr etwas entfernet, also sie noch weiter
von deroselben abwende, und sie als einen zweig stäts erhalte, dessen sich
das gantze land freue. Jch hoffe darbey, er werde die bisherige ausgestandene
noth bey christlichen hertzen auch dazu gesegnet haben, sich mehr und mehr von
der welt, und aller dero vertrauen und liebe abzuziehen. Wir haben je in sol-
cher zeit erfahren, und wissen nicht, wie viel uns der HERR noch künfftig erfah-
ren möchte lassen, wie nichts dessen, das wir ausser uns haben, stand, würde,
güter und was gleicher art ist, gefunden werde, dessen besitz wir uns auf lan-
ge, ja wol kurtze, zeit versprechen könten, da wir in itziger jahre frist so viel
tausend exempel derjenigen haben, die von ziemlichen wolstand und angeschiene-
ner glückseligkeit in allen stücken in das äusserste elend vor menschen augen ge-
stürtzet worden sind, und uns immer zum beysptel vor augen schweben, was
auch uns zu begegnen müglich seye: also auch wie alle solche dinge, welche zu
dieser welt gehören, in der zeit der noth und angst unsre seelen nicht trösten, noch
deroselben krafft oder erleichterung geben können, sondern nur die angst und
furcht vermehren, und uns also ehe wir sie verliehren, in der sorge des verlusts
zur last werden. Damit wir aus solcher lection oder erfahrung dasjenige so
viel klärer erkennen, was wir so offt aus göttlichem wort hören, daß wir an
nichts dieser vergänglichen dinge das hertz hengen, sondern sie viel zu gering
halten sollen, als nur einigerley massen darauf zu beruhen. Hingegen d[e]sto fe-
ster zu glauben, es seye unsrer seele in nichts wol, als wo sie von der liebe alles
irdischen gereiniget, GOTT und diejenige dinge allein liebet, die uns kein unfall
dieser zeit nehmen kan, sondern wo wir uns recht schicken, dero besitz nur desto
mehr befestigen muß: als versichert, göttliche gnade, die ewige heilsgüter, und

was
IV. Theil. m m m m
ARTIC. V. SECT. XLIV.
SECTIO XLIV.
Als die ſtadt Franckfurt am Maͤyn in aͤuſſerſte
kriegs-gefahr gerathen/ aber wieder errettet worden/ an
einen Herrn des Magiſtrats. Was uns GOtt durch
ſolche gefahr zu verachtung alles irdiſchen und
trachtung nach dem ewigen lehren
wolle.

ES iſt wol mein ſtaͤtiges verlangen, daß der groſſe GOTT, wie er von ih-
rer lieben ſtadt die gefahr nunmehr etwas entfernet, alſo ſie noch weiter
von deroſelben abwende, und ſie als einen zweig ſtaͤts erhalte, deſſen ſich
das gantze land freue. Jch hoffe darbey, er werde die bisherige ausgeſtandene
noth bey chriſtlichen hertzen auch dazu geſegnet haben, ſich mehr und mehr von
der welt, und aller dero vertrauen und liebe abzuziehen. Wir haben je in ſol-
cher zeit erfahren, und wiſſen nicht, wie viel uns der HERR noch kuͤnfftig erfah-
ren moͤchte laſſen, wie nichts deſſen, das wir auſſer uns haben, ſtand, wuͤrde,
guͤter und was gleicher art iſt, gefunden werde, deſſen beſitz wir uns auf lan-
ge, ja wol kurtze, zeit verſprechen koͤnten, da wir in itziger jahre friſt ſo viel
tauſend exempel derjenigen haben, die von ziemlichen wolſtand und angeſchiene-
ner gluͤckſeligkeit in allen ſtuͤcken in das aͤuſſerſte elend vor menſchen augen ge-
ſtuͤrtzet worden ſind, und uns immer zum beyſptel vor augen ſchweben, was
auch uns zu begegnen muͤglich ſeye: alſo auch wie alle ſolche dinge, welche zu
dieſer welt gehoͤren, in der zeit der noth und angſt unſre ſeelen nicht troͤſten, noch
deroſelben krafft oder erleichterung geben koͤnnen, ſondern nur die angſt und
furcht vermehren, und uns alſo ehe wir ſie verliehren, in der ſorge des verluſts
zur laſt werden. Damit wir aus ſolcher lection oder erfahrung dasjenige ſo
viel klaͤrer erkennen, was wir ſo offt aus goͤttlichem wort hoͤren, daß wir an
nichts dieſer vergaͤnglichen dinge das hertz hengen, ſondern ſie viel zu gering
halten ſollen, als nur einigerley maſſen darauf zu beruhen. Hingegen d[e]ſto fe-
ſter zu glauben, es ſeye unſrer ſeele in nichts wol, als wo ſie von der liebe alles
irdiſchen gereiniget, GOTT und diejenige dinge allein liebet, die uns kein unfall
dieſer zeit nehmen kan, ſondern wo wir uns recht ſchicken, dero beſitz nur deſto
mehr befeſtigen muß: als verſichert, goͤttliche gnade, die ewige heilsguͤter, und

was
IV. Theil. m m m m
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0653" n="641"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">ARTIC. V. SECT. XLIV.</hi> </hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO XLIV</hi>.</hi><lb/>
Als die &#x017F;tadt Franckfurt am Ma&#x0364;yn in a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te<lb/>
kriegs-gefahr gerathen/ aber wieder errettet worden/ an<lb/>
einen Herrn des Magi&#x017F;trats. Was uns GOtt durch<lb/>
&#x017F;olche gefahr zu verachtung alles irdi&#x017F;chen und<lb/>
trachtung nach dem ewigen lehren<lb/>
wolle.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">E</hi>S i&#x017F;t wol mein &#x017F;ta&#x0364;tiges verlangen, daß der gro&#x017F;&#x017F;e GOTT, wie er von ih-<lb/>
rer lieben &#x017F;tadt die gefahr nunmehr etwas entfernet, al&#x017F;o &#x017F;ie noch weiter<lb/>
von dero&#x017F;elben abwende, und &#x017F;ie als einen zweig &#x017F;ta&#x0364;ts erhalte, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich<lb/>
das gantze land freue. Jch hoffe darbey, er werde die bisherige ausge&#x017F;tandene<lb/>
noth bey chri&#x017F;tlichen hertzen auch dazu ge&#x017F;egnet haben, &#x017F;ich mehr und mehr von<lb/>
der welt, und aller dero vertrauen und liebe abzuziehen. Wir haben je in &#x017F;ol-<lb/>
cher zeit erfahren, und wi&#x017F;&#x017F;en nicht, wie viel uns der HERR noch ku&#x0364;nfftig erfah-<lb/>
ren mo&#x0364;chte la&#x017F;&#x017F;en, wie nichts de&#x017F;&#x017F;en, das wir au&#x017F;&#x017F;er uns haben, &#x017F;tand, wu&#x0364;rde,<lb/>
gu&#x0364;ter und was gleicher art i&#x017F;t, gefunden werde, de&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;itz wir uns auf lan-<lb/>
ge, ja wol kurtze, zeit ver&#x017F;prechen ko&#x0364;nten, da wir in itziger jahre fri&#x017F;t &#x017F;o viel<lb/>
tau&#x017F;end exempel derjenigen haben, die von ziemlichen wol&#x017F;tand und ange&#x017F;chiene-<lb/>
ner glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit in allen &#x017F;tu&#x0364;cken in das a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te elend vor men&#x017F;chen augen ge-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rtzet worden &#x017F;ind, und uns immer zum bey&#x017F;ptel vor augen &#x017F;chweben, was<lb/>
auch uns zu begegnen mu&#x0364;glich &#x017F;eye: al&#x017F;o auch wie alle &#x017F;olche dinge, welche zu<lb/>
die&#x017F;er welt geho&#x0364;ren, in der zeit der noth und ang&#x017F;t un&#x017F;re &#x017F;eelen nicht tro&#x0364;&#x017F;ten, noch<lb/>
dero&#x017F;elben krafft oder erleichterung geben ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern nur die ang&#x017F;t und<lb/>
furcht vermehren, und uns al&#x017F;o ehe wir &#x017F;ie verliehren, in der &#x017F;orge des verlu&#x017F;ts<lb/>
zur la&#x017F;t werden. Damit wir aus &#x017F;olcher <hi rendition="#aq">lection</hi> oder erfahrung dasjenige &#x017F;o<lb/>
viel kla&#x0364;rer erkennen, was wir &#x017F;o offt aus go&#x0364;ttlichem wort ho&#x0364;ren, daß wir an<lb/>
nichts die&#x017F;er verga&#x0364;nglichen dinge das hertz hengen, &#x017F;ondern &#x017F;ie viel zu gering<lb/>
halten &#x017F;ollen, als nur einigerley ma&#x017F;&#x017F;en darauf zu beruhen. Hingegen d<supplied>e</supplied>&#x017F;to fe-<lb/>
&#x017F;ter zu glauben, es &#x017F;eye un&#x017F;rer &#x017F;eele in nichts wol, als wo &#x017F;ie von der liebe alles<lb/>
irdi&#x017F;chen gereiniget, GOTT und diejenige dinge allein liebet, die uns kein unfall<lb/>
die&#x017F;er zeit nehmen kan, &#x017F;ondern wo wir uns recht &#x017F;chicken, dero be&#x017F;itz nur de&#x017F;to<lb/>
mehr befe&#x017F;tigen muß: als ver&#x017F;ichert, go&#x0364;ttliche gnade, die ewige heilsgu&#x0364;ter, und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Theil. m m m m</fw><fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[641/0653] ARTIC. V. SECT. XLIV. SECTIO XLIV. Als die ſtadt Franckfurt am Maͤyn in aͤuſſerſte kriegs-gefahr gerathen/ aber wieder errettet worden/ an einen Herrn des Magiſtrats. Was uns GOtt durch ſolche gefahr zu verachtung alles irdiſchen und trachtung nach dem ewigen lehren wolle. ES iſt wol mein ſtaͤtiges verlangen, daß der groſſe GOTT, wie er von ih- rer lieben ſtadt die gefahr nunmehr etwas entfernet, alſo ſie noch weiter von deroſelben abwende, und ſie als einen zweig ſtaͤts erhalte, deſſen ſich das gantze land freue. Jch hoffe darbey, er werde die bisherige ausgeſtandene noth bey chriſtlichen hertzen auch dazu geſegnet haben, ſich mehr und mehr von der welt, und aller dero vertrauen und liebe abzuziehen. Wir haben je in ſol- cher zeit erfahren, und wiſſen nicht, wie viel uns der HERR noch kuͤnfftig erfah- ren moͤchte laſſen, wie nichts deſſen, das wir auſſer uns haben, ſtand, wuͤrde, guͤter und was gleicher art iſt, gefunden werde, deſſen beſitz wir uns auf lan- ge, ja wol kurtze, zeit verſprechen koͤnten, da wir in itziger jahre friſt ſo viel tauſend exempel derjenigen haben, die von ziemlichen wolſtand und angeſchiene- ner gluͤckſeligkeit in allen ſtuͤcken in das aͤuſſerſte elend vor menſchen augen ge- ſtuͤrtzet worden ſind, und uns immer zum beyſptel vor augen ſchweben, was auch uns zu begegnen muͤglich ſeye: alſo auch wie alle ſolche dinge, welche zu dieſer welt gehoͤren, in der zeit der noth und angſt unſre ſeelen nicht troͤſten, noch deroſelben krafft oder erleichterung geben koͤnnen, ſondern nur die angſt und furcht vermehren, und uns alſo ehe wir ſie verliehren, in der ſorge des verluſts zur laſt werden. Damit wir aus ſolcher lection oder erfahrung dasjenige ſo viel klaͤrer erkennen, was wir ſo offt aus goͤttlichem wort hoͤren, daß wir an nichts dieſer vergaͤnglichen dinge das hertz hengen, ſondern ſie viel zu gering halten ſollen, als nur einigerley maſſen darauf zu beruhen. Hingegen deſto fe- ſter zu glauben, es ſeye unſrer ſeele in nichts wol, als wo ſie von der liebe alles irdiſchen gereiniget, GOTT und diejenige dinge allein liebet, die uns kein unfall dieſer zeit nehmen kan, ſondern wo wir uns recht ſchicken, dero beſitz nur deſto mehr befeſtigen muß: als verſichert, goͤttliche gnade, die ewige heilsguͤter, und was IV. Theil. m m m m

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/653
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/653>, abgerufen am 21.12.2024.