Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

Bild:
<< vorherige Seite
ARTIC. I. SECTIO III.
2. Wie weit es ein mensch bringen solle und kön-
ne in seinem Christenthum?

SO weit, daß ob er wohl noch sünde an sich hat. 1. Joh. 1, 8. muß
noch in dem fleisch seyn Rom. 8, 1. und fühlet dergleichen geschäff-
te, die er zu tödten hat. Rom. 8, 13. er gleichwol nicht mehr nach
dem fleischelebe sondern nach dem geist. Rom. 8, 1.
keine sünde mehr
thue, daß ist mit willen deroselben nicht mehr diene 1. Joh. 3, 9. wandele wie
Christus gewandelt hat 1. Joh. 2, 6.
seye der welt und die welt ihm
gecreutziget. Gal 6, 14.
Und suche immer mehr warhafftig und mit ernst
nichts weltliches, irdisches, fleischliches, seine eigene ehre, nutzen, lust und der-
gleichen, sondern allein seinen GOtt, richte nur sein gantzes leben dahin, daß er
GOTT diene, und solches nicht nur in den wercken der ersten taffel, sondern
daß er warhafftig sein gantzes leben und wandel, so er als ein mensch insge-
mein und nach dem absonderlichen beruff, darinnen er ist, und stehet, führet,
führe immer mit der absicht seinem GOtt darinnen zu dienen, und ihm solch
sein gantzes leben also zu opffern. Daher ihm alle andere dinge parerga
sind, sein Christenthum aber allein seyn ergon, daher sich dasselbe nicht nach
ihnen reguliret, sondern nach diesem jene alle müssen reguliret werden: Und
also daß er seye vor den leuten unsträfflich, und ohne tadel, in sich selbs habend
ein gutes gewissen, vor GOTT aufrichtig und ihm gantz überlassen.
So weit kans ein Christ aus göttlicher gnade bringen, und müssen wirs alle
dahin zu bringen uns eyffrigst angelegen seyn lassen, oder unser Christen-
thum ist uns kein ernst. Und ist gewiß, wer hand anlegen, und immer seinem
GOTT getreu werden will, in der gnade, die ihm das mal gegeben worden,
der wird so weit wachsen und dahin kommen, als er vorhin nimmermehr ge-
gläubet hätte müglich zu seyn, oder einiger solches glauben könte, der es nicht
erfahren. Es ist ein grosses, wo Paulus sagen darff: Jch lebe, doch
nun nicht ich, sondern CHristus lebet in mir. Jch vermag alles in
dem, der mich mächtig machet CHristus,
und müssen wir ihm lernen
nachsprechen.

3. Ob und wie wir menschen die gebote GOt-
tes halten können und sollen?

HJevon habe mich in der Cathechism frage 338. u. f. so dann dem neuli-
chen send schreiben deutlich erklähret. Jch fasse es wiederum kurtz, daß
die schrifft die art zu reden brauche, daß die Christen Gottes oder

Christi
ARTIC. I. SECTIO III.
2. Wie weit es ein menſch bringen ſolle und koͤn-
ne in ſeinem Chriſtenthum?

SO weit, daß ob er wohl noch ſuͤnde an ſich hat. 1. Joh. 1, 8. muß
noch in dem fleiſch ſeyn Rom. 8, 1. und fuͤhlet dergleichen geſchaͤff-
te, die er zu toͤdten hat. Rom. 8, 13. er gleichwol nicht mehr nach
dem fleiſchelebe ſondern nach dem geiſt. Rom. 8, 1.
keine ſuͤnde mehr
thue, daß iſt mit willen deroſelben nicht mehr diene 1. Joh. 3, 9. wandele wie
Chriſtus gewandelt hat 1. Joh. 2, 6.
ſeye der welt und die welt ihm
gecreutziget. Gal 6, 14.
Und ſuche immer mehr warhafftig und mit ernſt
nichts weltliches, irdiſches, fleiſchliches, ſeine eigene ehre, nutzen, luſt und der-
gleichen, ſondern allein ſeinen GOtt, richte nur ſein gantzes leben dahin, daß er
GOTT diene, und ſolches nicht nur in den wercken der erſten taffel, ſondern
daß er warhafftig ſein gantzes leben und wandel, ſo er als ein menſch insge-
mein und nach dem abſonderlichen beruff, darinnen er iſt, und ſtehet, fuͤhret,
fuͤhre immer mit der abſicht ſeinem GOtt darinnen zu dienen, und ihm ſolch
ſein gantzes leben alſo zu opffern. Daher ihm alle andere dinge πάρεργα
ſind, ſein Chriſtenthum aber allein ſeyn ἔργον, daher ſich daſſelbe nicht nach
ihnen reguliret, ſondern nach dieſem jene alle muͤſſen reguliret werden: Und
alſo daß er ſeye vor den leuten unſtraͤfflich, und ohne tadel, in ſich ſelbs habend
ein gutes gewiſſen, vor GOTT aufrichtig und ihm gantz uͤberlaſſen.
So weit kans ein Chriſt aus goͤttlicher gnade bringen, und muͤſſen wirs alle
dahin zu bringen uns eyffrigſt angelegen ſeyn laſſen, oder unſer Chriſten-
thum iſt uns kein ernſt. Und iſt gewiß, wer hand anlegen, und immer ſeinem
GOTT getreu werden will, in der gnade, die ihm das mal gegeben worden,
der wird ſo weit wachſen und dahin kommen, als er vorhin nimmermehr ge-
glaͤubet haͤtte muͤglich zu ſeyn, oder einiger ſolches glauben koͤnte, der es nicht
erfahren. Es iſt ein groſſes, wo Paulus ſagen darff: Jch lebe, doch
nun nicht ich, ſondern CHriſtus lebet in mir. Jch vermag alles in
dem, der mich maͤchtig machet CHriſtus,
und muͤſſen wir ihm lernen
nachſprechen.

3. Ob und wie wir menſchen die gebote GOt-
tes halten koͤnnen und ſollen?

HJevon habe mich in der Cathechiſm frage 338. u. f. ſo dann dem neuli-
chen ſend ſchreiben deutlich erklaͤhret. Jch faſſe es wiederum kurtz, daß
die ſchrifft die art zu reden brauche, daß die Chriſten Gottes oder

Chriſti
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0027" n="15"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">ARTIC. I. SECTIO III.</hi> </hi> </fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">2. Wie weit es ein men&#x017F;ch bringen &#x017F;olle und ko&#x0364;n-<lb/>
ne in &#x017F;einem Chri&#x017F;tenthum?</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">S</hi>O weit, daß ob er wohl noch <hi rendition="#fr">&#x017F;u&#x0364;nde an &#x017F;ich hat. 1. Joh. 1, 8.</hi> muß<lb/>
noch in dem flei&#x017F;ch &#x017F;eyn <hi rendition="#fr">Rom. 8, 1.</hi> und fu&#x0364;hlet dergleichen ge&#x017F;cha&#x0364;ff-<lb/>
te, die er zu to&#x0364;dten hat. <hi rendition="#fr">Rom. 8, 13.</hi> er gleichwol nicht mehr <hi rendition="#fr">nach<lb/>
dem flei&#x017F;chelebe &#x017F;ondern nach dem gei&#x017F;t. Rom. 8, 1.</hi> keine &#x017F;u&#x0364;nde mehr<lb/><hi rendition="#fr">thue,</hi> daß i&#x017F;t mit willen dero&#x017F;elben nicht mehr diene 1. <hi rendition="#fr">Joh. 3, 9. wandele wie<lb/>
Chri&#x017F;tus gewandelt hat 1. Joh. 2, 6.</hi> &#x017F;eye <hi rendition="#fr">der welt und die welt ihm<lb/>
gecreutziget. Gal 6, 14.</hi> Und &#x017F;uche immer mehr warhafftig und mit ern&#x017F;t<lb/>
nichts weltliches, irdi&#x017F;ches, flei&#x017F;chliches, &#x017F;eine eigene ehre, nutzen, lu&#x017F;t und der-<lb/>
gleichen, &#x017F;ondern allein &#x017F;einen GOtt, richte nur &#x017F;ein gantzes leben dahin, daß er<lb/>
GOTT diene, und &#x017F;olches nicht nur in den wercken der er&#x017F;ten taffel, &#x017F;ondern<lb/>
daß er warhafftig &#x017F;ein gantzes leben und wandel, &#x017F;o er als ein men&#x017F;ch insge-<lb/>
mein und nach dem ab&#x017F;onderlichen beruff, darinnen er i&#x017F;t, und &#x017F;tehet, fu&#x0364;hret,<lb/>
fu&#x0364;hre immer mit der ab&#x017F;icht &#x017F;einem GOtt darinnen zu dienen, und ihm &#x017F;olch<lb/>
&#x017F;ein gantzes leben al&#x017F;o zu opffern. Daher ihm alle andere dinge &#x03C0;&#x03AC;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C1;&#x03B3;&#x03B1;<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;ein Chri&#x017F;tenthum aber allein &#x017F;eyn &#x1F14;&#x03C1;&#x03B3;&#x03BF;&#x03BD;, daher &#x017F;ich da&#x017F;&#x017F;elbe nicht nach<lb/>
ihnen <hi rendition="#aq">regulir</hi>et, &#x017F;ondern nach die&#x017F;em jene alle mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">regulir</hi>et werden: Und<lb/>
al&#x017F;o daß er &#x017F;eye vor den leuten un&#x017F;tra&#x0364;fflich, und ohne tadel, in &#x017F;ich &#x017F;elbs habend<lb/>
ein gutes gewi&#x017F;&#x017F;en, vor <hi rendition="#g">GOTT</hi> aufrichtig und ihm gantz u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
So weit kans ein Chri&#x017F;t aus go&#x0364;ttlicher gnade bringen, und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wirs alle<lb/>
dahin zu bringen uns eyffrig&#x017F;t angelegen &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en, oder un&#x017F;er Chri&#x017F;ten-<lb/>
thum i&#x017F;t uns kein ern&#x017F;t. Und i&#x017F;t gewiß, wer hand anlegen, und immer &#x017F;einem<lb/>
GOTT getreu werden will, in der gnade, die ihm das mal gegeben worden,<lb/>
der wird &#x017F;o weit wach&#x017F;en und dahin kommen, als er vorhin nimmermehr ge-<lb/>
gla&#x0364;ubet ha&#x0364;tte mu&#x0364;glich zu &#x017F;eyn, oder einiger &#x017F;olches glauben ko&#x0364;nte, der es nicht<lb/>
erfahren. Es i&#x017F;t ein gro&#x017F;&#x017F;es, wo Paulus &#x017F;agen darff: <hi rendition="#fr">Jch lebe, doch<lb/>
nun nicht ich, &#x017F;ondern CHri&#x017F;tus lebet in mir. Jch vermag alles in<lb/>
dem, der mich ma&#x0364;chtig machet CHri&#x017F;tus,</hi> und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir ihm lernen<lb/>
nach&#x017F;prechen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">3. Ob und wie wir men&#x017F;chen die gebote GOt-<lb/>
tes halten ko&#x0364;nnen und &#x017F;ollen?</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">H</hi>Jevon habe mich in der Cathechi&#x017F;m frage 338. u. f. &#x017F;o dann dem neuli-<lb/>
chen &#x017F;end &#x017F;chreiben deutlich erkla&#x0364;hret. Jch fa&#x017F;&#x017F;e es wiederum kurtz, daß<lb/>
die &#x017F;chrifft die art zu reden brauche, <hi rendition="#fr">daß die Chri&#x017F;ten Gottes</hi> oder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Chri&#x017F;ti</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0027] ARTIC. I. SECTIO III. 2. Wie weit es ein menſch bringen ſolle und koͤn- ne in ſeinem Chriſtenthum? SO weit, daß ob er wohl noch ſuͤnde an ſich hat. 1. Joh. 1, 8. muß noch in dem fleiſch ſeyn Rom. 8, 1. und fuͤhlet dergleichen geſchaͤff- te, die er zu toͤdten hat. Rom. 8, 13. er gleichwol nicht mehr nach dem fleiſchelebe ſondern nach dem geiſt. Rom. 8, 1. keine ſuͤnde mehr thue, daß iſt mit willen deroſelben nicht mehr diene 1. Joh. 3, 9. wandele wie Chriſtus gewandelt hat 1. Joh. 2, 6. ſeye der welt und die welt ihm gecreutziget. Gal 6, 14. Und ſuche immer mehr warhafftig und mit ernſt nichts weltliches, irdiſches, fleiſchliches, ſeine eigene ehre, nutzen, luſt und der- gleichen, ſondern allein ſeinen GOtt, richte nur ſein gantzes leben dahin, daß er GOTT diene, und ſolches nicht nur in den wercken der erſten taffel, ſondern daß er warhafftig ſein gantzes leben und wandel, ſo er als ein menſch insge- mein und nach dem abſonderlichen beruff, darinnen er iſt, und ſtehet, fuͤhret, fuͤhre immer mit der abſicht ſeinem GOtt darinnen zu dienen, und ihm ſolch ſein gantzes leben alſo zu opffern. Daher ihm alle andere dinge πάρεργα ſind, ſein Chriſtenthum aber allein ſeyn ἔργον, daher ſich daſſelbe nicht nach ihnen reguliret, ſondern nach dieſem jene alle muͤſſen reguliret werden: Und alſo daß er ſeye vor den leuten unſtraͤfflich, und ohne tadel, in ſich ſelbs habend ein gutes gewiſſen, vor GOTT aufrichtig und ihm gantz uͤberlaſſen. So weit kans ein Chriſt aus goͤttlicher gnade bringen, und muͤſſen wirs alle dahin zu bringen uns eyffrigſt angelegen ſeyn laſſen, oder unſer Chriſten- thum iſt uns kein ernſt. Und iſt gewiß, wer hand anlegen, und immer ſeinem GOTT getreu werden will, in der gnade, die ihm das mal gegeben worden, der wird ſo weit wachſen und dahin kommen, als er vorhin nimmermehr ge- glaͤubet haͤtte muͤglich zu ſeyn, oder einiger ſolches glauben koͤnte, der es nicht erfahren. Es iſt ein groſſes, wo Paulus ſagen darff: Jch lebe, doch nun nicht ich, ſondern CHriſtus lebet in mir. Jch vermag alles in dem, der mich maͤchtig machet CHriſtus, und muͤſſen wir ihm lernen nachſprechen. 3. Ob und wie wir menſchen die gebote GOt- tes halten koͤnnen und ſollen? HJevon habe mich in der Cathechiſm frage 338. u. f. ſo dann dem neuli- chen ſend ſchreiben deutlich erklaͤhret. Jch faſſe es wiederum kurtz, daß die ſchrifft die art zu reden brauche, daß die Chriſten Gottes oder Chriſti

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/27
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/27>, abgerufen am 21.11.2024.