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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
also solches anerschaffene licht der erkäntnüß nicht mehr vorhanden ist, gehö-
ret zu der erbsünde und natürlichen verderbnüß, daß aber solche gute be-
wegungen des hertzens zu GOTT bey kleinen kindern sich nicht hervor thun,
wie sie auch nicht da seyn können, sind peccata omissionis vor GOTTES
strengem gericht. Weil aber an statt solches liechts hingegen die finster-
nüß des verstandes da ist, und ein angebohrner haß gegen GOTT, so wolte
ich zwar nichts versichertes sagen, aber auch nicht gerne leugnen, daß nicht
einige böse und sündliche, ob wol uns unkantliche, auch ohne reflexion, de-
ro solches alter nicht fähig, bleibende bewegungen sich bey kindern finden.
Aufs wenigste sind jene peccata omissionis schon zur rettung der formul
gnug, daß sie schon einige sünden zu dem angebornen erbschaden, als dessel-
ben früchten, hinzugethan haben. 2. Möchte auch dabey erwogen werden,
daß der bund, welcher in der tauff mit uns von GOtt gemacht wird, nicht
nur allein auf die sünde der zeit gehe, da der mensch getaufft wird, sondern
auf sein gantzes leben: also daß wir in gesundem verstand wol sagen mögen,
daß dem getaufften die sünde seines gantzen lebens vergeben werden, weil
darinnen der grund gelegt wird aller vergebung über das gantze leben, der-
massen und also, daß welche sünden mir in meiner buß vergeben werden, sol-
che vergebung aus der tauff herfliesset. Vorausgesetzt dessen, stelle zu er-
wegen, ob sichs nicht sagen liesse, daß wir in diesem gebet den menschen be-
trachten in seinem gantzen leben, und von GOTT bitten, daß in solcher
heilsamen sündfluth an ihm ersauffe und untergehe alles was ihm
von Adam angebohren ist, und er selbs dazu gethan hat,
das ist, daß
diese heilige tauff allezeit das jenige mittel seye in seinem gantzen leben, dar-
aus er die vergebung seiner erb- und wircklichen sünden her empfange, und
auch täglich die krafft erlange, gegen dieselbe zu streiten, und also in wahrer
reue und buß den alten Adam mit allen sünden und bösen lüsten zu ersäuf-
fen. Welches ich zu fernerem nachfinnen christlicher hertzen gestellet seyn las-
se. Jndessen ist schon das erste genugsam dazu, daß die wort des gebets
wahrhafftig seyn, und also wo sie in dem gebrauch, mögen gebraucht werden.
Von selbsten aber wünschete viel mehr, daß wir in unserem Gottesdienst
nichts überall dergleichen hätten, was eine so weitläufftige erklärung be-
dörffte.

SECTIO XXVII.
An einen angefochtenen: Was das natürliche
temperament dabey thue.
Ob

Das ſiebende Capitel.
alſo ſolches anerſchaffene licht der erkaͤntnuͤß nicht mehr vorhanden iſt, gehoͤ-
ret zu der erbſuͤnde und natuͤrlichen verderbnuͤß, daß aber ſolche gute be-
wegungen des hertzens zu GOTT bey kleinen kindern ſich nicht hervor thun,
wie ſie auch nicht da ſeyn koͤnnen, ſind peccata omiſſionis vor GOTTES
ſtrengem gericht. Weil aber an ſtatt ſolches liechts hingegen die finſter-
nuͤß des verſtandes da iſt, und ein angebohrner haß gegen GOTT, ſo wolte
ich zwar nichts verſichertes ſagen, aber auch nicht gerne leugnen, daß nicht
einige boͤſe und ſuͤndliche, ob wol uns unkantliche, auch ohne reflexion, de-
ro ſolches alter nicht faͤhig, bleibende bewegungen ſich bey kindern finden.
Aufs wenigſte ſind jene peccata omiſſionis ſchon zur rettung der formul
gnug, daß ſie ſchon einige ſuͤnden zu dem angebornen erbſchaden, als deſſel-
ben fruͤchten, hinzugethan haben. 2. Moͤchte auch dabey erwogen werden,
daß der bund, welcher in der tauff mit uns von GOtt gemacht wird, nicht
nur allein auf die ſuͤnde der zeit gehe, da der menſch getaufft wird, ſondern
auf ſein gantzes leben: alſo daß wir in geſundem verſtand wol ſagen moͤgen,
daß dem getaufften die ſuͤnde ſeines gantzen lebens vergeben werden, weil
darinnen der grund gelegt wird aller vergebung uͤber das gantze leben, der-
maſſen und alſo, daß welche ſuͤnden mir in meiner buß vergeben werden, ſol-
che vergebung aus der tauff herflieſſet. Vorausgeſetzt deſſen, ſtelle zu er-
wegen, ob ſichs nicht ſagen lieſſe, daß wir in dieſem gebet den menſchen be-
trachten in ſeinem gantzen leben, und von GOTT bitten, daß in ſolcher
heilſamen ſuͤndfluth an ihm erſauffe und untergehe alles was ihm
von Adam angebohren iſt, und er ſelbs dazu gethan hat,
das iſt, daß
dieſe heilige tauff allezeit das jenige mittel ſeye in ſeinem gantzen leben, dar-
aus er die vergebung ſeiner erb- und wircklichen ſuͤnden her empfange, und
auch taͤglich die krafft erlange, gegen dieſelbe zu ſtreiten, und alſo in wahrer
reue und buß den alten Adam mit allen ſuͤnden und boͤſen luͤſten zu erſaͤuf-
fen. Welches ich zu fernerem nachfinnen chriſtlicher hertzen geſtellet ſeyn laſ-
ſe. Jndeſſen iſt ſchon das erſte genugſam dazu, daß die wort des gebets
wahrhafftig ſeyn, und alſo wo ſie in dem gebrauch, moͤgen gebraucht werden.
Von ſelbſten aber wuͤnſchete viel mehr, daß wir in unſerem Gottesdienſt
nichts uͤberall dergleichen haͤtten, was eine ſo weitlaͤufftige erklaͤrung be-
doͤrffte.

SECTIO XXVII.
An einen angefochtenen: Was das natuͤrliche
temperament dabey thue.
Ob
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[132/0144] Das ſiebende Capitel. alſo ſolches anerſchaffene licht der erkaͤntnuͤß nicht mehr vorhanden iſt, gehoͤ- ret zu der erbſuͤnde und natuͤrlichen verderbnuͤß, daß aber ſolche gute be- wegungen des hertzens zu GOTT bey kleinen kindern ſich nicht hervor thun, wie ſie auch nicht da ſeyn koͤnnen, ſind peccata omiſſionis vor GOTTES ſtrengem gericht. Weil aber an ſtatt ſolches liechts hingegen die finſter- nuͤß des verſtandes da iſt, und ein angebohrner haß gegen GOTT, ſo wolte ich zwar nichts verſichertes ſagen, aber auch nicht gerne leugnen, daß nicht einige boͤſe und ſuͤndliche, ob wol uns unkantliche, auch ohne reflexion, de- ro ſolches alter nicht faͤhig, bleibende bewegungen ſich bey kindern finden. Aufs wenigſte ſind jene peccata omiſſionis ſchon zur rettung der formul gnug, daß ſie ſchon einige ſuͤnden zu dem angebornen erbſchaden, als deſſel- ben fruͤchten, hinzugethan haben. 2. Moͤchte auch dabey erwogen werden, daß der bund, welcher in der tauff mit uns von GOtt gemacht wird, nicht nur allein auf die ſuͤnde der zeit gehe, da der menſch getaufft wird, ſondern auf ſein gantzes leben: alſo daß wir in geſundem verſtand wol ſagen moͤgen, daß dem getaufften die ſuͤnde ſeines gantzen lebens vergeben werden, weil darinnen der grund gelegt wird aller vergebung uͤber das gantze leben, der- maſſen und alſo, daß welche ſuͤnden mir in meiner buß vergeben werden, ſol- che vergebung aus der tauff herflieſſet. Vorausgeſetzt deſſen, ſtelle zu er- wegen, ob ſichs nicht ſagen lieſſe, daß wir in dieſem gebet den menſchen be- trachten in ſeinem gantzen leben, und von GOTT bitten, daß in ſolcher heilſamen ſuͤndfluth an ihm erſauffe und untergehe alles was ihm von Adam angebohren iſt, und er ſelbs dazu gethan hat, das iſt, daß dieſe heilige tauff allezeit das jenige mittel ſeye in ſeinem gantzen leben, dar- aus er die vergebung ſeiner erb- und wircklichen ſuͤnden her empfange, und auch taͤglich die krafft erlange, gegen dieſelbe zu ſtreiten, und alſo in wahrer reue und buß den alten Adam mit allen ſuͤnden und boͤſen luͤſten zu erſaͤuf- fen. Welches ich zu fernerem nachfinnen chriſtlicher hertzen geſtellet ſeyn laſ- ſe. Jndeſſen iſt ſchon das erſte genugſam dazu, daß die wort des gebets wahrhafftig ſeyn, und alſo wo ſie in dem gebrauch, moͤgen gebraucht werden. Von ſelbſten aber wuͤnſchete viel mehr, daß wir in unſerem Gottesdienſt nichts uͤberall dergleichen haͤtten, was eine ſo weitlaͤufftige erklaͤrung be- doͤrffte. SECTIO XXVII. An einen angefochtenen: Was das natuͤrliche temperament dabey thue. Ob

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/144>, abgerufen am 21.11.2024.