nicht zukommt/ über einen vornehmen und wohlverdienten Theologum mich des gerichts anzumassen/ so dann weil er selbs lebende seine wort am besten zu declariren und denen etwa darüber gefaßten suspicionen zu begegnen vermag/ und also keines andern vorspruchs benöthiget ist. Weil aber solche anmuthung an mich allein geschiehet mein bedencken ü- ber solche predigt in privato zu vernehmen (da mir ohne das am wenig- sten geziehmen wolte/ ohne des autoris eigene erlaubnüß mit dergleichen publice aus zu brechen/ und mich in einigen streit so unter andern ent- standen seyn möchte ohne beruff einzumischen) so habe ferner nicht wollen difficultät machen/ einem guten freund im vertrauen meine gedancken ü- ber diese materie und die bemeldte stellen/ welche ich mit anruffung und in der furcht des HErrn erwogen/ zu ertheilen.
Der erste punct.
Ob in dieser predigt gelehret werde/ daß die werck gerecht machen: Solches möchte das ansehen gewinnen aus den angedeuteten worten p. 12. da es also lautet: Ja so theur und werth ist die treue vor GOTT, daß in dero ansehen ein mensch, der sonst von haupt zu fuß voll sündlicher gebrechen stecket, dennoch ein heiliger, ohne wandel, un- tadelich, unsträfflich heissen mag. Ferner: Schaue wie die treue alles bedecket! So theur und werth ist die treue vor GOtt, daß sie allenandern stücken unsers Christenthums die fülle, das maaß, das gewicht gibet. Glaube ich gleich schwächlich, und glaube nur treu- lich, so solle der schwache glaube auch nur in der treue starck genug seyn. Liebe und lebe ich gleich sehr gebrechlich, und liebe oder le- be nur treulich, so soll doch der gebrechlichen liebe und dem gebrech- lichen leben auch nur um der einigen treue willen nichts mangeln. Gebe ich gleich wenig, und gebe nur treulich, so soll doch die weni- ge gabe auch nur in der treue groß genug seyn. Suche ich meinen GOtt gleich träge und blödiglich, und suche ihn nur treulich, so soll doch träg und blöd gesucht auch nur um des treuen hertzens willen hertzlich und vollkommen gesucht heissen. Aus keiner andern meinung ists geredt, was David geredet im 119. Psalm: Jch suche dich HERR von gantzen hertzen. Also decket die treue nicht allein zu, sondern ersetzet, füllet, ergäntzet auch. So theur und werth ist endlich die treue vor GOTT, daß da sich sonst kein werck oder dienst vor ihm rühmen darff, er dennoch dem treuen hertzen, die
frey-
Das ſiebende Capitel.
nicht zukommt/ uͤber einen vornehmen und wohlverdienten Theologum mich des gerichts anzumaſſen/ ſo dann weil er ſelbs lebende ſeine wort am beſten zu declariren und denen etwa daruͤber gefaßten ſuſpicionen zu begegnen vermag/ und alſo keines andern vorſpruchs benoͤthiget iſt. Weil aber ſolche anmuthung an mich allein geſchiehet mein bedencken uͤ- ber ſolche predigt in privato zu vernehmen (da mir ohne das am wenig- ſten geziehmen wolte/ ohne des autoris eigene erlaubnuͤß mit dergleichen publice aus zu brechen/ und mich in einigen ſtreit ſo unter andern ent- ſtanden ſeyn moͤchte ohne beruff einzumiſchen) ſo habe ferner nicht wollen difficultaͤt machen/ einem guten freund im vertrauen meine gedancken uͤ- ber dieſe materie und die bemeldte ſtellen/ welche ich mit anruffung und in der furcht des HErrn erwogen/ zu ertheilen.
Der erſte punct.
Ob in dieſer predigt gelehret werde/ daß die werck gerecht machen: Solches moͤchte das anſehen gewinnen aus den angedeuteten worten p. 12. da es alſo lautet: Ja ſo theur und werth iſt die treue vor GOTT, daß in dero anſehen ein menſch, der ſonſt von haupt zu fuß voll ſuͤndlicher gebrechen ſtecket, dennoch ein heiliger, ohne wandel, un- tadelich, unſtraͤfflich heiſſen mag. Ferner: Schaue wie die treue alles bedecket! So theur und werth iſt die treue vor GOtt, daß ſie allenandern ſtuͤcken unſers Chriſtenthums die fuͤlle, das maaß, das gewicht gibet. Glaube ich gleich ſchwaͤchlich, und glaube nur treu- lich, ſo ſolle der ſchwache glaube auch nur in der treue ſtarck genug ſeyn. Liebe und lebe ich gleich ſehr gebrechlich, und liebe oder le- be nur treulich, ſo ſoll doch der gebrechlichen liebe und dem gebrech- lichen leben auch nur um der einigen treue willen nichts mangeln. Gebe ich gleich wenig, und gebe nur treulich, ſo ſoll doch die weni- ge gabe auch nur in der treue groß genug ſeyn. Suche ich meinen GOtt gleich traͤge und bloͤdiglich, und ſuche ihn nur treulich, ſo ſoll doch traͤg und bloͤd geſucht auch nur um des treuen hertzens willen hertzlich und vollkommen geſucht heiſſen. Aus keiner andern meinung iſts geredt, was David geredet im 119. Pſalm: Jch ſuche dich HERR von gantzen hertzen. Alſo decket die treue nicht allein zu, ſondern erſetzet, fuͤllet, ergaͤntzet auch. So theur und werth iſt endlich die treue vor GOTT, daß da ſich ſonſt kein werck oder dienſt vor ihm ruͤhmen darff, er dennoch dem treuen hertzen, die
frey-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0112"n="100"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das ſiebende Capitel.</hi></fw><lb/>
nicht zukommt/ uͤber einen vornehmen und wohlverdienten <hirendition="#aq">Theologum</hi><lb/>
mich des gerichts anzumaſſen/ ſo dann weil er ſelbs lebende ſeine wort<lb/>
am beſten zu <hirendition="#aq">declarir</hi>en und denen etwa daruͤber gefaßten <hirendition="#aq">ſuſpicion</hi>en<lb/>
zu begegnen vermag/ und alſo keines andern vorſpruchs benoͤthiget iſt.<lb/>
Weil aber ſolche anmuthung an mich allein geſchiehet mein bedencken uͤ-<lb/>
ber ſolche predigt in <hirendition="#aq">privato</hi> zu vernehmen (da mir ohne das am wenig-<lb/>ſten geziehmen wolte/ ohne des <hirendition="#aq">autoris</hi> eigene erlaubnuͤß mit dergleichen<lb/><hirendition="#aq">publice</hi> aus zu brechen/ und mich in einigen ſtreit ſo unter andern ent-<lb/>ſtanden ſeyn moͤchte ohne beruff einzumiſchen) ſo habe ferner nicht wollen<lb/><hirendition="#aq">difficult</hi>aͤt machen/ einem guten freund im vertrauen meine gedancken uͤ-<lb/>
ber dieſe <hirendition="#aq">materie</hi> und die bemeldte ſtellen/ welche ich mit anruffung und<lb/>
in der furcht des HErrn erwogen/ zu ertheilen.</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Der erſte punct.</hi></head><lb/><p>Ob in dieſer predigt gelehret werde/ daß die werck gerecht machen:<lb/>
Solches moͤchte das anſehen gewinnen aus den angedeuteten worten <hirendition="#aq">p.<lb/>
12.</hi> da es alſo lautet: <hirendition="#fr">Ja ſo theur und werth iſt die treue vor GOTT,<lb/>
daß in dero anſehen ein menſch, der ſonſt von haupt zu fuß voll<lb/>ſuͤndlicher gebrechen ſtecket, dennoch ein heiliger, ohne wandel, un-<lb/>
tadelich, unſtraͤfflich heiſſen mag.</hi> Ferner: <hirendition="#fr">Schaue wie die treue<lb/>
alles bedecket! So theur und werth iſt die treue vor GOtt, daß ſie<lb/>
allenandern ſtuͤcken unſers Chriſtenthums die fuͤlle, das maaß, das<lb/>
gewicht gibet. Glaube ich gleich ſchwaͤchlich, und glaube nur treu-<lb/>
lich, ſo ſolle der ſchwache glaube auch nur in der treue ſtarck genug<lb/>ſeyn. Liebe und lebe ich gleich ſehr gebrechlich, und liebe oder le-<lb/>
be nur treulich, ſo ſoll doch der gebrechlichen liebe und dem gebrech-<lb/>
lichen leben auch nur um der einigen treue willen nichts mangeln.<lb/>
Gebe ich gleich wenig, und gebe nur treulich, ſo ſoll doch die weni-<lb/>
ge gabe auch nur in der treue groß genug ſeyn. Suche ich meinen<lb/>
GOtt gleich traͤge und bloͤdiglich, und ſuche ihn nur treulich, ſo<lb/>ſoll doch traͤg und bloͤd geſucht auch nur um des treuen hertzens<lb/>
willen hertzlich und vollkommen geſucht heiſſen. Aus keiner andern<lb/>
meinung iſts geredt, was David geredet im 119. Pſalm: Jch ſuche<lb/>
dich HERR von gantzen hertzen. Alſo decket die treue nicht allein<lb/>
zu, ſondern erſetzet, fuͤllet, ergaͤntzet auch. So theur und werth<lb/>
iſt endlich die treue vor GOTT, daß da ſich ſonſt kein werck oder<lb/>
dienſt vor ihm ruͤhmen darff, er dennoch dem treuen hertzen, die</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">frey-</hi></fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[100/0112]
Das ſiebende Capitel.
nicht zukommt/ uͤber einen vornehmen und wohlverdienten Theologum
mich des gerichts anzumaſſen/ ſo dann weil er ſelbs lebende ſeine wort
am beſten zu declariren und denen etwa daruͤber gefaßten ſuſpicionen
zu begegnen vermag/ und alſo keines andern vorſpruchs benoͤthiget iſt.
Weil aber ſolche anmuthung an mich allein geſchiehet mein bedencken uͤ-
ber ſolche predigt in privato zu vernehmen (da mir ohne das am wenig-
ſten geziehmen wolte/ ohne des autoris eigene erlaubnuͤß mit dergleichen
publice aus zu brechen/ und mich in einigen ſtreit ſo unter andern ent-
ſtanden ſeyn moͤchte ohne beruff einzumiſchen) ſo habe ferner nicht wollen
difficultaͤt machen/ einem guten freund im vertrauen meine gedancken uͤ-
ber dieſe materie und die bemeldte ſtellen/ welche ich mit anruffung und
in der furcht des HErrn erwogen/ zu ertheilen.
Der erſte punct.
Ob in dieſer predigt gelehret werde/ daß die werck gerecht machen:
Solches moͤchte das anſehen gewinnen aus den angedeuteten worten p.
12. da es alſo lautet: Ja ſo theur und werth iſt die treue vor GOTT,
daß in dero anſehen ein menſch, der ſonſt von haupt zu fuß voll
ſuͤndlicher gebrechen ſtecket, dennoch ein heiliger, ohne wandel, un-
tadelich, unſtraͤfflich heiſſen mag. Ferner: Schaue wie die treue
alles bedecket! So theur und werth iſt die treue vor GOtt, daß ſie
allenandern ſtuͤcken unſers Chriſtenthums die fuͤlle, das maaß, das
gewicht gibet. Glaube ich gleich ſchwaͤchlich, und glaube nur treu-
lich, ſo ſolle der ſchwache glaube auch nur in der treue ſtarck genug
ſeyn. Liebe und lebe ich gleich ſehr gebrechlich, und liebe oder le-
be nur treulich, ſo ſoll doch der gebrechlichen liebe und dem gebrech-
lichen leben auch nur um der einigen treue willen nichts mangeln.
Gebe ich gleich wenig, und gebe nur treulich, ſo ſoll doch die weni-
ge gabe auch nur in der treue groß genug ſeyn. Suche ich meinen
GOtt gleich traͤge und bloͤdiglich, und ſuche ihn nur treulich, ſo
ſoll doch traͤg und bloͤd geſucht auch nur um des treuen hertzens
willen hertzlich und vollkommen geſucht heiſſen. Aus keiner andern
meinung iſts geredt, was David geredet im 119. Pſalm: Jch ſuche
dich HERR von gantzen hertzen. Alſo decket die treue nicht allein
zu, ſondern erſetzet, fuͤllet, ergaͤntzet auch. So theur und werth
iſt endlich die treue vor GOTT, daß da ſich ſonſt kein werck oder
dienſt vor ihm ruͤhmen darff, er dennoch dem treuen hertzen, die
frey-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/112>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.