Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

Bild:
<< vorherige Seite

SECTIO XIII.
aber/ wegen rechtmäßiger forcht nicht bloß den gemeinen weg gehen darff/
kein gegebenes/ sondern auffs höchste/ nur ein genommenes ärgernüß seyn
würde. Was zuletzt angehenget wird/ wo einer dasjenige/ ohne welches die
verheissung nicht erfüllet werden kan/ sich zu thun wegert/ daß alsdenn der
versprecher von seinem gelöbnüß frey werde/ lässet man auch in seiner maaß
gelten. Wo aber in der application es dahin wolte gezogen werden/ wenn
Titius es nicht gerade auf vorgeschriebene weise suchte/ oder erhielte/ daß deß-
wegen die Fräulein gantz ihres gelöbnüsses frey werden könte/ wäre solches
mißbrauchet: Dann der verspruch ist nicht geschehen mit gewisser condition,
wo Titius die nahe anverwandte zu williger überlassung disponiren würde/
sondern es ist ein blosser verspruch einer person/ die sich selbs zu verbinden
macht hatte: Ja solte sie auch mit gewalt hinterhalten werden/ und sie Titius
nicht loßmachen können/ bliebe sie doch immerfort in ihrer obligation, davon
sie nicht anders loß werden kan/ es würde dann Titius selbs an ihr brüchig.

Die dritte Frage.
Jm fall Titius solches zu thun sich wegern/ oder der Fräulein an-
verwandte (ohngeachtet dieselbe dero vormünder nicht wor-
den) solche heyrath nicht einwilligen wolten/ und so dann der

Titius sich in unglück stürtzen würde/ ob solches dem Fräulein
beygelegt werden könne/ und sie darob ursach habe/ sich im ge-
wissen zu beängstigen?

HJezu wird/ um dieselbe zu verneinen/ angeführet: Es ist wol an dem/ daß
bemeldtes Fräulein nicht ausser aller schuld seye/ daß sie in des Titii un-
besonnene liebe gehählet/ und die heimliche liebe viele jahr continuirt gehabt/
so verdienet doch die gewöhnliche weibliche schwachheit ein mitleiden/ und kan
keiner zu etwas genöthiget werden/ das er ohne leib- und seelen-gefahr nicht
leisten kan: Zumalen wenn eine verlobte person sich gegen die andre erbietet/
die versprochene ehe zu vollziehen/ wann die andre person/ welche die vollzie-
hung verlanget/ es dahin bringen kan/ daß die ehe-vollziehung nach göttlichen
und weltlichen rechten verrichtet werde.

Weil nun auf diese frage auch antworten solle/ kan ich mich durch das
angeführte noch nicht bewegen lassen/ daß ich die Fräulein von der schuld loß-
zehlen könte. Titius hat zwahr auf bey q. 2. gedachte art die anverwandte an-
zugehen/ und zu trachten/ ob er sie zu gutwilliger überlassung dessen/ was von
GOttes wegen nunmehr sein ist/ disponiren könne: Es hat aber auch die
Fräulein alles mit beyzutragen/ daß sie ihren verspruch halten möge/ und also
willig sich an einen andern sichern ort vorher zu verfügen/ da sie von den ihri-

gen

SECTIO XIII.
aber/ wegen rechtmaͤßiger forcht nicht bloß den gemeinen weg gehen darff/
kein gegebenes/ ſondern auffs hoͤchſte/ nur ein genommenes aͤrgernuͤß ſeyn
wuͤrde. Was zuletzt angehenget wird/ wo einer dasjenige/ ohne welches die
verheiſſung nicht erfuͤllet werden kan/ ſich zu thun wegert/ daß alsdenn der
verſprecher von ſeinem geloͤbnuͤß frey werde/ laͤſſet man auch in ſeiner maaß
gelten. Wo aber in der application es dahin wolte gezogen werden/ wenn
Titius es nicht gerade auf vorgeſchriebene weiſe ſuchte/ oder erhielte/ daß deß-
wegen die Fraͤulein gantz ihres geloͤbnuͤſſes frey werden koͤnte/ waͤre ſolches
mißbrauchet: Dann der verſpruch iſt nicht geſchehen mit gewiſſer condition,
wo Titius die nahe anverwandte zu williger uͤberlaſſung diſponiren wuͤrde/
ſondern es iſt ein bloſſer verſpruch einer perſon/ die ſich ſelbs zu verbinden
macht hatte: Ja ſolte ſie auch mit gewalt hinterhalten werden/ und ſie Titius
nicht loßmachen koͤnnen/ bliebe ſie doch immerfort in ihrer obligation, davon
ſie nicht anders loß werden kan/ es wuͤrde dann Titius ſelbs an ihr bruͤchig.

Die dritte Frage.
Jm fall Titius ſolches zu thun ſich wegern/ oder der Fraͤulein an-
verwandte (ohngeachtet dieſelbe dero vormuͤnder nicht wor-
den) ſolche heyrath nicht einwilligen wolten/ und ſo dann der

Titius ſich in ungluͤck ſtuͤrtzen wuͤrde/ ob ſolches dem Fraͤulein
beygelegt werden koͤnne/ und ſie darob urſach habe/ ſich im ge-
wiſſen zu beaͤngſtigen?

HJezu wird/ um dieſelbe zu verneinen/ angefuͤhret: Es iſt wol an dem/ daß
bemeldtes Fraͤulein nicht auſſer aller ſchuld ſeye/ daß ſie in des Titii un-
beſonnene liebe gehaͤhlet/ und die heimliche liebe viele jahr continuirt gehabt/
ſo verdienet doch die gewoͤhnliche weibliche ſchwachheit ein mitleiden/ und kan
keiner zu etwas genoͤthiget werden/ das er ohne leib- und ſeelen-gefahr nicht
leiſten kan: Zumalen wenn eine verlobte perſon ſich gegen die andre erbietet/
die verſprochene ehe zu vollziehen/ wann die andre perſon/ welche die vollzie-
hung verlanget/ es dahin bringen kan/ daß die ehe-vollziehung nach goͤttlichen
und weltlichen rechten verrichtet werde.

Weil nun auf dieſe frage auch antworten ſolle/ kan ich mich durch das
angefuͤhrte noch nicht bewegen laſſen/ daß ich die Fraͤulein von der ſchuld loß-
zehlen koͤnte. Titius hat zwahr auf bey q. 2. gedachte art die anverwandte an-
zugehen/ und zu trachten/ ob er ſie zu gutwilliger uͤberlaſſung deſſen/ was von
GOttes wegen nunmehr ſein iſt/ diſponiren koͤnne: Es hat aber auch die
Fraͤulein alles mit beyzutragen/ daß ſie ihren verſpruch halten moͤge/ und alſo
willig ſich an einen andern ſichern ort vorher zu verfuͤgen/ da ſie von den ihri-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0591" n="583"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XIII.</hi></hi></fw><lb/>
aber/ wegen rechtma&#x0364;ßiger forcht nicht bloß den gemeinen weg gehen darff/<lb/>
kein gegebenes/ &#x017F;ondern auffs ho&#x0364;ch&#x017F;te/ nur ein genommenes a&#x0364;rgernu&#x0364;ß &#x017F;eyn<lb/>
wu&#x0364;rde. Was zuletzt angehenget wird/ wo einer dasjenige/ ohne welches die<lb/>
verhei&#x017F;&#x017F;ung nicht erfu&#x0364;llet werden kan/ &#x017F;ich zu thun wegert/ daß alsdenn der<lb/>
ver&#x017F;precher von &#x017F;einem gelo&#x0364;bnu&#x0364;ß frey werde/ la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et man auch in &#x017F;einer maaß<lb/>
gelten. Wo aber in der <hi rendition="#aq">application</hi> es dahin wolte gezogen werden/ wenn<lb/><hi rendition="#aq">Titius</hi> es nicht gerade auf vorge&#x017F;chriebene wei&#x017F;e &#x017F;uchte/ oder erhielte/ daß deß-<lb/>
wegen die Fra&#x0364;ulein gantz ihres gelo&#x0364;bnu&#x0364;&#x017F;&#x017F;es frey werden ko&#x0364;nte/ wa&#x0364;re &#x017F;olches<lb/>
mißbrauchet: Dann der ver&#x017F;pruch i&#x017F;t nicht ge&#x017F;chehen mit gewi&#x017F;&#x017F;er <hi rendition="#aq">condition,</hi><lb/>
wo <hi rendition="#aq">Titius</hi> die nahe anverwandte zu williger u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;ung <hi rendition="#aq">di&#x017F;poni</hi>ren wu&#x0364;rde/<lb/>
&#x017F;ondern es i&#x017F;t ein blo&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;pruch einer per&#x017F;on/ die &#x017F;ich &#x017F;elbs zu verbinden<lb/>
macht hatte: Ja &#x017F;olte &#x017F;ie auch mit gewalt hinterhalten werden/ und &#x017F;ie <hi rendition="#aq">Titius</hi><lb/>
nicht loßmachen ko&#x0364;nnen/ bliebe &#x017F;ie doch immerfort in ihrer <hi rendition="#aq">obligation,</hi> davon<lb/>
&#x017F;ie nicht anders loß werden kan/ es wu&#x0364;rde dann <hi rendition="#aq">Titius</hi> &#x017F;elbs an ihr bru&#x0364;chig.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die dritte Frage.</hi> </head><lb/>
            <list>
              <item> <hi rendition="#fr">Jm fall</hi> <hi rendition="#aq">Titius</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;olches zu thun &#x017F;ich wegern/ oder der Fra&#x0364;ulein an-<lb/>
verwandte (ohngeachtet die&#x017F;elbe dero vormu&#x0364;nder nicht wor-<lb/>
den) &#x017F;olche heyrath nicht einwilligen wolten/ und &#x017F;o dann der</hi><lb/> <hi rendition="#aq">Titius</hi> <hi rendition="#fr">&#x017F;ich in unglu&#x0364;ck &#x017F;tu&#x0364;rtzen wu&#x0364;rde/ ob &#x017F;olches dem Fra&#x0364;ulein<lb/>
beygelegt werden ko&#x0364;nne/ und &#x017F;ie darob ur&#x017F;ach habe/ &#x017F;ich im ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en zu bea&#x0364;ng&#x017F;tigen?</hi> </item>
            </list><lb/>
            <p><hi rendition="#in">H</hi>Jezu wird/ um die&#x017F;elbe zu verneinen/ angefu&#x0364;hret: Es i&#x017F;t wol an dem/ daß<lb/>
bemeldtes Fra&#x0364;ulein nicht au&#x017F;&#x017F;er aller &#x017F;chuld &#x017F;eye/ daß &#x017F;ie in des <hi rendition="#aq">Titii</hi> un-<lb/>
be&#x017F;onnene liebe geha&#x0364;hlet/ und die heimliche liebe viele jahr <hi rendition="#aq">continui</hi>rt gehabt/<lb/>
&#x017F;o verdienet doch die gewo&#x0364;hnliche weibliche &#x017F;chwachheit ein mitleiden/ und kan<lb/>
keiner zu etwas geno&#x0364;thiget werden/ das er ohne leib- und &#x017F;eelen-gefahr nicht<lb/>
lei&#x017F;ten kan: Zumalen wenn eine verlobte per&#x017F;on &#x017F;ich gegen die andre erbietet/<lb/>
die ver&#x017F;prochene ehe zu vollziehen/ wann die andre per&#x017F;on/ welche die vollzie-<lb/>
hung verlanget/ es dahin bringen kan/ daß die ehe-vollziehung nach go&#x0364;ttlichen<lb/>
und weltlichen rechten verrichtet werde.</p><lb/>
            <p>Weil nun auf die&#x017F;e frage auch antworten &#x017F;olle/ kan ich mich durch das<lb/>
angefu&#x0364;hrte noch nicht bewegen la&#x017F;&#x017F;en/ daß ich die Fra&#x0364;ulein von der &#x017F;chuld loß-<lb/>
zehlen ko&#x0364;nte. <hi rendition="#aq">Titius</hi> hat zwahr auf bey <hi rendition="#aq">q. 2.</hi> gedachte art die anverwandte an-<lb/>
zugehen/ und zu trachten/ ob er &#x017F;ie zu gutwilliger u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;ung de&#x017F;&#x017F;en/ was von<lb/>
GOttes wegen nunmehr &#x017F;ein i&#x017F;t/ <hi rendition="#aq">di&#x017F;poni</hi>ren ko&#x0364;nne: Es hat aber auch die<lb/>
Fra&#x0364;ulein alles mit beyzutragen/ daß &#x017F;ie ihren ver&#x017F;pruch halten mo&#x0364;ge/ und al&#x017F;o<lb/>
willig &#x017F;ich an einen andern &#x017F;ichern ort vorher zu verfu&#x0364;gen/ da &#x017F;ie von den ihri-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[583/0591] SECTIO XIII. aber/ wegen rechtmaͤßiger forcht nicht bloß den gemeinen weg gehen darff/ kein gegebenes/ ſondern auffs hoͤchſte/ nur ein genommenes aͤrgernuͤß ſeyn wuͤrde. Was zuletzt angehenget wird/ wo einer dasjenige/ ohne welches die verheiſſung nicht erfuͤllet werden kan/ ſich zu thun wegert/ daß alsdenn der verſprecher von ſeinem geloͤbnuͤß frey werde/ laͤſſet man auch in ſeiner maaß gelten. Wo aber in der application es dahin wolte gezogen werden/ wenn Titius es nicht gerade auf vorgeſchriebene weiſe ſuchte/ oder erhielte/ daß deß- wegen die Fraͤulein gantz ihres geloͤbnuͤſſes frey werden koͤnte/ waͤre ſolches mißbrauchet: Dann der verſpruch iſt nicht geſchehen mit gewiſſer condition, wo Titius die nahe anverwandte zu williger uͤberlaſſung diſponiren wuͤrde/ ſondern es iſt ein bloſſer verſpruch einer perſon/ die ſich ſelbs zu verbinden macht hatte: Ja ſolte ſie auch mit gewalt hinterhalten werden/ und ſie Titius nicht loßmachen koͤnnen/ bliebe ſie doch immerfort in ihrer obligation, davon ſie nicht anders loß werden kan/ es wuͤrde dann Titius ſelbs an ihr bruͤchig. Die dritte Frage. Jm fall Titius ſolches zu thun ſich wegern/ oder der Fraͤulein an- verwandte (ohngeachtet dieſelbe dero vormuͤnder nicht wor- den) ſolche heyrath nicht einwilligen wolten/ und ſo dann der Titius ſich in ungluͤck ſtuͤrtzen wuͤrde/ ob ſolches dem Fraͤulein beygelegt werden koͤnne/ und ſie darob urſach habe/ ſich im ge- wiſſen zu beaͤngſtigen? HJezu wird/ um dieſelbe zu verneinen/ angefuͤhret: Es iſt wol an dem/ daß bemeldtes Fraͤulein nicht auſſer aller ſchuld ſeye/ daß ſie in des Titii un- beſonnene liebe gehaͤhlet/ und die heimliche liebe viele jahr continuirt gehabt/ ſo verdienet doch die gewoͤhnliche weibliche ſchwachheit ein mitleiden/ und kan keiner zu etwas genoͤthiget werden/ das er ohne leib- und ſeelen-gefahr nicht leiſten kan: Zumalen wenn eine verlobte perſon ſich gegen die andre erbietet/ die verſprochene ehe zu vollziehen/ wann die andre perſon/ welche die vollzie- hung verlanget/ es dahin bringen kan/ daß die ehe-vollziehung nach goͤttlichen und weltlichen rechten verrichtet werde. Weil nun auf dieſe frage auch antworten ſolle/ kan ich mich durch das angefuͤhrte noch nicht bewegen laſſen/ daß ich die Fraͤulein von der ſchuld loß- zehlen koͤnte. Titius hat zwahr auf bey q. 2. gedachte art die anverwandte an- zugehen/ und zu trachten/ ob er ſie zu gutwilliger uͤberlaſſung deſſen/ was von GOttes wegen nunmehr ſein iſt/ diſponiren koͤnne: Es hat aber auch die Fraͤulein alles mit beyzutragen/ daß ſie ihren verſpruch halten moͤge/ und alſo willig ſich an einen andern ſichern ort vorher zu verfuͤgen/ da ſie von den ihri- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/591
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/591>, abgerufen am 21.11.2024.