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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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SECTIO XIII.
solten die vollziehung seines rechten und wohnung aller orten in dem Reich
verwehren können/ ob sie wol dergleichen in ihren eignen gebieten nicht zulas-
sen wolten. Wann es aber je auch dazu käme/ daß sie nicht auff andre weise-
zusammen kommen könten/ als durch eine der Fräulein heimliche nachfolge und
flucht/ würde sie eben so wol dazu gehalten seyn/ eines theils/ weil dieses die
allgemeine krafft des verspruchs ist/ daß sie denselben zu erfüllen alles thun
muß/ was in ihren kräfften stehet/ und sonsten nicht wider GOtt und die ehr-
barkeit streitet: darunter wir denn solche nachfolge/ da sie wegen anderer un-
billiger widersetzung um ihr gewissen zu retten dazu genöthiget würde/ so we-
nig zu zehlen hätten/ als wenig wir eine heimliche flucht aus einer gefahr/ de-
ro man sonsten nicht entgehen könte/ vor unehrbar achten würden: andern
theils ist aus der facti specie auch noch zu mercken/ daß die Fräulein selbs/
die difficultäten der vollstreckung sehende/ in eine solche heimliche nachfolge
bereits gewilliget/ und sich also deutlich zu demjenigen verstanden/ was der
krafft nach schon ohne das in dem allgemeinen verspruch stack: nur daß die
austrückliche einwilligung ihr destoweniger ausflucht lässet/ sich dessen zu
entbrechen/ was sie auch absonderlich zugesaget hatte.

Die andere Frage.
Ob nicht Titius, im fall er die eheliche beywohnung annoch verlan-
get/ gehalten seye/ bey des Fräuleins nahen anverwandten zu
suchen/ daß ihr möchte vergönnet werden/ demselben in frem-
de lande nachzufolgen/ und daselbs das ehe-verlöbnüß zu voll-
ziehen?

ZU dieser frage resolution ist zu wiederholen/ was bey der vorigen vorge-
kommen/ daß nemlich die anverwandte anzusehen/ als solche an dero ein-
willigung oder verweigerung die gültigkeit des heyraths nicht hänget/ nach-
dem die Fräulein eine person ist/ welche ihrer selbs mächtig ist. Jndessen will
der wolstand und vermeidung fernern bösen scheins erfordern/ daß sie gleich-
wol auch auf ziemliche art ersuchet werden/ dasjenige/ was deroselben ange-
hörige verbindlich zugesagt/ auch mit dero williger einstimmung zu bekräffti-
gen. Wo aber zu förchten seyn möchte/ da gleichwol ihnen bessers zutrauen
will/ daß sie mit zurückhaltung der Fräulein die sache zu hintertreiben sich un-
terstehen möchten/ lasse mir den selbs in den bey dieser frag angefügten ra-
tionibus dubitandi
gethanen vorschlag nicht mißfallen (wenn es heist:
Jn diesem und dergleichen casu ist nicht ungewöhnlich/ daß eine per-
son weiblichen geschlechts sich an einen andern ort/ allwo sie
honeft
und ohne gefahr leben kan/ begebe m. f. w.) nemlich/ daß die Fränlein/

wenn
D d d d 3

SECTIO XIII.
ſolten die vollziehung ſeines rechten und wohnung aller orten in dem Reich
verwehren koͤnnen/ ob ſie wol dergleichen in ihren eignen gebieten nicht zulaſ-
ſen wolten. Wann es aber je auch dazu kaͤme/ daß ſie nicht auff andre weiſe-
zuſam̃en kommen koͤnten/ als durch eine der Fraͤulein heimliche nachfolge und
flucht/ wuͤrde ſie eben ſo wol dazu gehalten ſeyn/ eines theils/ weil dieſes die
allgemeine krafft des verſpruchs iſt/ daß ſie denſelben zu erfuͤllen alles thun
muß/ was in ihren kraͤfften ſtehet/ und ſonſten nicht wider GOtt und die ehr-
barkeit ſtreitet: darunter wir denn ſolche nachfolge/ da ſie wegen anderer un-
billiger widerſetzung um ihr gewiſſen zu retten dazu genoͤthiget wuͤrde/ ſo we-
nig zu zehlen haͤtten/ als wenig wir eine heimliche flucht aus einer gefahr/ de-
ro man ſonſten nicht entgehen koͤnte/ vor unehrbar achten wuͤrden: andern
theils iſt aus der facti ſpecie auch noch zu mercken/ daß die Fraͤulein ſelbs/
die difficultaͤten der vollſtreckung ſehende/ in eine ſolche heimliche nachfolge
bereits gewilliget/ und ſich alſo deutlich zu demjenigen verſtanden/ was der
krafft nach ſchon ohne das in dem allgemeinen verſpruch ſtack: nur daß die
austruͤckliche einwilligung ihr deſtoweniger ausflucht laͤſſet/ ſich deſſen zu
entbrechen/ was ſie auch abſonderlich zugeſaget hatte.

Die andere Frage.
Ob nicht Titius, im fall er die eheliche beywohnung annoch verlan-
get/ gehalten ſeye/ bey des Fraͤuleins nahen anverwandten zu
ſuchen/ daß ihr moͤchte vergoͤnnet werden/ demſelben in frem-
de lande nachzufolgen/ und daſelbs das ehe-verloͤbnuͤß zu voll-
ziehen?

ZU dieſer frage reſolution iſt zu wiederholen/ was bey der vorigen vorge-
kommen/ daß nemlich die anverwandte anzuſehen/ als ſolche an dero ein-
willigung oder verweigerung die guͤltigkeit des heyraths nicht haͤnget/ nach-
dem die Fraͤulein eine perſon iſt/ welche ihrer ſelbs maͤchtig iſt. Jndeſſen will
der wolſtand und vermeidung fernern boͤſen ſcheins erfordern/ daß ſie gleich-
wol auch auf ziemliche art erſuchet werden/ dasjenige/ was deroſelben ange-
hoͤrige verbindlich zugeſagt/ auch mit dero williger einſtimmung zu bekraͤffti-
gen. Wo aber zu foͤrchten ſeyn moͤchte/ da gleichwol ihnen beſſers zutrauen
will/ daß ſie mit zuruͤckhaltung der Fraͤulein die ſache zu hintertreiben ſich un-
terſtehen moͤchten/ laſſe mir den ſelbs in den bey dieſer frag angefuͤgten ra-
tionibus dubitandi
gethanen vorſchlag nicht mißfallen (wenn es heiſt:
Jn dieſem und dergleichen caſu iſt nicht ungewoͤhnlich/ daß eine per-
ſon weiblichen geſchlechts ſich an einen andern ort/ allwo ſie
honeft
und ohne gefahr leben kan/ begebe m. f. w.) nemlich/ daß die Fraͤnlein/

wenn
D d d d 3
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[581/0589] SECTIO XIII. ſolten die vollziehung ſeines rechten und wohnung aller orten in dem Reich verwehren koͤnnen/ ob ſie wol dergleichen in ihren eignen gebieten nicht zulaſ- ſen wolten. Wann es aber je auch dazu kaͤme/ daß ſie nicht auff andre weiſe- zuſam̃en kommen koͤnten/ als durch eine der Fraͤulein heimliche nachfolge und flucht/ wuͤrde ſie eben ſo wol dazu gehalten ſeyn/ eines theils/ weil dieſes die allgemeine krafft des verſpruchs iſt/ daß ſie denſelben zu erfuͤllen alles thun muß/ was in ihren kraͤfften ſtehet/ und ſonſten nicht wider GOtt und die ehr- barkeit ſtreitet: darunter wir denn ſolche nachfolge/ da ſie wegen anderer un- billiger widerſetzung um ihr gewiſſen zu retten dazu genoͤthiget wuͤrde/ ſo we- nig zu zehlen haͤtten/ als wenig wir eine heimliche flucht aus einer gefahr/ de- ro man ſonſten nicht entgehen koͤnte/ vor unehrbar achten wuͤrden: andern theils iſt aus der facti ſpecie auch noch zu mercken/ daß die Fraͤulein ſelbs/ die difficultaͤten der vollſtreckung ſehende/ in eine ſolche heimliche nachfolge bereits gewilliget/ und ſich alſo deutlich zu demjenigen verſtanden/ was der krafft nach ſchon ohne das in dem allgemeinen verſpruch ſtack: nur daß die austruͤckliche einwilligung ihr deſtoweniger ausflucht laͤſſet/ ſich deſſen zu entbrechen/ was ſie auch abſonderlich zugeſaget hatte. Die andere Frage. Ob nicht Titius, im fall er die eheliche beywohnung annoch verlan- get/ gehalten ſeye/ bey des Fraͤuleins nahen anverwandten zu ſuchen/ daß ihr moͤchte vergoͤnnet werden/ demſelben in frem- de lande nachzufolgen/ und daſelbs das ehe-verloͤbnuͤß zu voll- ziehen? ZU dieſer frage reſolution iſt zu wiederholen/ was bey der vorigen vorge- kommen/ daß nemlich die anverwandte anzuſehen/ als ſolche an dero ein- willigung oder verweigerung die guͤltigkeit des heyraths nicht haͤnget/ nach- dem die Fraͤulein eine perſon iſt/ welche ihrer ſelbs maͤchtig iſt. Jndeſſen will der wolſtand und vermeidung fernern boͤſen ſcheins erfordern/ daß ſie gleich- wol auch auf ziemliche art erſuchet werden/ dasjenige/ was deroſelben ange- hoͤrige verbindlich zugeſagt/ auch mit dero williger einſtimmung zu bekraͤffti- gen. Wo aber zu foͤrchten ſeyn moͤchte/ da gleichwol ihnen beſſers zutrauen will/ daß ſie mit zuruͤckhaltung der Fraͤulein die ſache zu hintertreiben ſich un- terſtehen moͤchten/ laſſe mir den ſelbs in den bey dieſer frag angefuͤgten ra- tionibus dubitandi gethanen vorſchlag nicht mißfallen (wenn es heiſt: Jn dieſem und dergleichen caſu iſt nicht ungewoͤhnlich/ daß eine per- ſon weiblichen geſchlechts ſich an einen andern ort/ allwo ſie honeft und ohne gefahr leben kan/ begebe m. f. w.) nemlich/ daß die Fraͤnlein/ wenn D d d d 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/589>, abgerufen am 21.11.2024.