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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XXVII.
harrlichen versagung entstanden/ unheilbar worden wäre. Der HErr er-
halte uns bey der wahrheit/ und lasse uns ihm stets dienen aus glauben in
der liebe/ in freyheit und gehorsam/ in christlicher weißheit und friede/ zur
heiligung seines nahmens/ seines reichs befestigung und seines willens voll-
bringung um Christi willen! Amen. 1699.

Hier auff folget aus der im vorhergehenden bericht ange-
regten/ und den 10. Oct. 1697. über das Evangelium Matth. IX,
1--8. sonderlich aber v. 2. zu S. Nicolai gehaltenen predigt/ die
erklährung des textes und haupt-lehr.
Erklährung des textes.

ES ist zu betrachten der absolvirende/ der absolvirte/ und die abso-
lution.
Absolvens, absolutus, absolutio.

I. Der absolvirende. Der HErr JEsus/ wie aus dem
vorigen zu erkennen. Wir sehen ihn aber an/ nicht nur als GOtt/ der nach
seiner höchsten gewalt solches thun kan/ sondern auch als wahren menschen/
v. 6. aber daß die menschheit in der persöhnlichen gemeinschafft der gottheit/
und also auch aller ihrer gewalt stunde. Er that dieses werck/ als der dazu
gesandte Meßias/ zu dessen amt auch dieser trost gehörete/ Jesa. 61/ 1. 2.
welchen ort der HErr selbs auff sich ziehet Luc. 4./ 18. Also ist GOtt allein
derjenige/ der die eigentliche macht hat/ sünde zu vergeben: Wie denn Marc.
2/ 7.
die Phariseer nicht in solchem satz/ sondern nur dessen übeler anwendung/
fehleten. Die ursach ist diese/ weil niemand etwas vergeben kan/ als an wem
unrecht geschehen ist: nun geben alle sünden/ so viel derselben einiger massen
begangen werden können/ unmittelbar/ oder auch mittelbar wider GOtt/ da-
her ob wol ein jeglicher mensch auch von seiner seite/ die sünde/ so fern sie auch
wider ihn begangen worden/ vergeben kan; so bleibet der sünder nach erhalte-
ner vergebung des nechsten doch noch immer vor GOtt in der schuld/ die nie-
mand als er allein selbs nachlassen kan.
Wie gleichwol der HERR JEsus auch der kirchen und dero dienern
Matth. 16/ 19. 18/ 10. Joh. 20/ 23. nicht so wol die macht/ als die verwal-
tung der vergebung der sünden/ anvertrauet habe/ soll nachmal folgen. Ob
nun wol alsdenn eine vom Prediger ertheilte absolution/ bey einem wahr-
hafftig-bußfertigen/ so gültig/ als Christi eigne absolution/ ja vielmehr Chri-
sti/ als des Predigers werck ist; so ist doch nicht allein der grösseste unterscheid
darinnen/ daß der HErr alles auch in solchem werck/ thut als ein HErr und
in. eignem nahmen/ wir aber nur als diener/ ausrichter seines amts und be-
fehls/
U 2

ARTIC. I. SECTIO XXVII.
harrlichen verſagung entſtanden/ unheilbar worden waͤre. Der HErr er-
halte uns bey der wahrheit/ und laſſe uns ihm ſtets dienen aus glauben in
der liebe/ in freyheit und gehorſam/ in chriſtlicher weißheit und friede/ zur
heiligung ſeines nahmens/ ſeines reichs befeſtigung und ſeines willens voll-
bringung um Chriſti willen! Amen. 1699.

Hier auff folget aus der im vorhergehenden bericht ange-
regten/ und den 10. Oct. 1697. uͤber das Evangelium Matth. IX,
1--8. ſonderlich aber v. 2. zu S. Nicolai gehaltenen predigt/ die
erklaͤhrung des textes und haupt-lehr.
Erklaͤhrung des textes.

ES iſt zu betrachten der abſolvirende/ der abſolvirte/ und die abſo-
lution.
Abſolvens, abſolutus, abſolutio.

I. Der abſolvirende. Der HErr JEſus/ wie aus dem
vorigen zu erkennen. Wir ſehen ihn aber an/ nicht nur als GOtt/ der nach
ſeiner hoͤchſten gewalt ſolches thun kan/ ſondern auch als wahren menſchen/
v. 6. aber daß die menſchheit in der perſoͤhnlichen gemeinſchafft der gottheit/
und alſo auch aller ihrer gewalt ſtunde. Er that dieſes werck/ als der dazu
geſandte Meßias/ zu deſſen amt auch dieſer troſt gehoͤrete/ Jeſa. 61/ 1. 2.
welchen ort der HErr ſelbs auff ſich ziehet Luc. 4./ 18. Alſo iſt GOtt allein
derjenige/ der die eigentliche macht hat/ ſuͤnde zu vergeben: Wie denn Marc.
2/ 7.
die Phariſeer nicht in ſolchem ſatz/ ſondern nur deſſen uͤbeler anwendung/
fehleten. Die urſach iſt dieſe/ weil niemand etwas vergeben kan/ als an wem
unrecht geſchehen iſt: nun geben alle ſuͤnden/ ſo viel derſelben einiger maſſen
begangen werden koͤnnen/ unmittelbar/ oder auch mittelbar wider GOtt/ da-
her ob wol ein jeglicher menſch auch von ſeiner ſeite/ die ſuͤnde/ ſo fern ſie auch
wider ihn begangen worden/ vergeben kan; ſo bleibet der ſuͤnder nach erhalte-
ner vergebung des nechſten doch noch immer vor GOtt in der ſchuld/ die nie-
mand als er allein ſelbs nachlaſſen kan.
Wie gleichwol der HERR JEſus auch der kirchen und dero dienern
Matth. 16/ 19. 18/ 10. Joh. 20/ 23. nicht ſo wol die macht/ als die verwal-
tung der vergebung der ſuͤnden/ anvertrauet habe/ ſoll nachmal folgen. Ob
nun wol alsdenn eine vom Prediger ertheilte abſolution/ bey einem wahr-
hafftig-bußfertigen/ ſo guͤltig/ als Chriſti eigne abſolution/ ja vielmehr Chri-
ſti/ als des Predigers werck iſt; ſo iſt doch nicht allein der groͤſſeſte unterſcheid
darinnen/ daß der HErr alles auch in ſolchem werck/ thut als ein HErr und
in. eignem nahmen/ wir aber nur als diener/ ausrichter ſeines amts und be-
fehls/
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[155/0163] ARTIC. I. SECTIO XXVII. harrlichen verſagung entſtanden/ unheilbar worden waͤre. Der HErr er- halte uns bey der wahrheit/ und laſſe uns ihm ſtets dienen aus glauben in der liebe/ in freyheit und gehorſam/ in chriſtlicher weißheit und friede/ zur heiligung ſeines nahmens/ ſeines reichs befeſtigung und ſeines willens voll- bringung um Chriſti willen! Amen. 1699. Hier auff folget aus der im vorhergehenden bericht ange- regten/ und den 10. Oct. 1697. uͤber das Evangelium Matth. IX, 1--8. ſonderlich aber v. 2. zu S. Nicolai gehaltenen predigt/ die erklaͤhrung des textes und haupt-lehr. Erklaͤhrung des textes. ES iſt zu betrachten der abſolvirende/ der abſolvirte/ und die abſo- lution. Abſolvens, abſolutus, abſolutio. I. Der abſolvirende. Der HErr JEſus/ wie aus dem vorigen zu erkennen. Wir ſehen ihn aber an/ nicht nur als GOtt/ der nach ſeiner hoͤchſten gewalt ſolches thun kan/ ſondern auch als wahren menſchen/ v. 6. aber daß die menſchheit in der perſoͤhnlichen gemeinſchafft der gottheit/ und alſo auch aller ihrer gewalt ſtunde. Er that dieſes werck/ als der dazu geſandte Meßias/ zu deſſen amt auch dieſer troſt gehoͤrete/ Jeſa. 61/ 1. 2. welchen ort der HErr ſelbs auff ſich ziehet Luc. 4./ 18. Alſo iſt GOtt allein derjenige/ der die eigentliche macht hat/ ſuͤnde zu vergeben: Wie denn Marc. 2/ 7. die Phariſeer nicht in ſolchem ſatz/ ſondern nur deſſen uͤbeler anwendung/ fehleten. Die urſach iſt dieſe/ weil niemand etwas vergeben kan/ als an wem unrecht geſchehen iſt: nun geben alle ſuͤnden/ ſo viel derſelben einiger maſſen begangen werden koͤnnen/ unmittelbar/ oder auch mittelbar wider GOtt/ da- her ob wol ein jeglicher menſch auch von ſeiner ſeite/ die ſuͤnde/ ſo fern ſie auch wider ihn begangen worden/ vergeben kan; ſo bleibet der ſuͤnder nach erhalte- ner vergebung des nechſten doch noch immer vor GOtt in der ſchuld/ die nie- mand als er allein ſelbs nachlaſſen kan. Wie gleichwol der HERR JEſus auch der kirchen und dero dienern Matth. 16/ 19. 18/ 10. Joh. 20/ 23. nicht ſo wol die macht/ als die verwal- tung der vergebung der ſuͤnden/ anvertrauet habe/ ſoll nachmal folgen. Ob nun wol alsdenn eine vom Prediger ertheilte abſolution/ bey einem wahr- hafftig-bußfertigen/ ſo guͤltig/ als Chriſti eigne abſolution/ ja vielmehr Chri- ſti/ als des Predigers werck iſt; ſo iſt doch nicht allein der groͤſſeſte unterſcheid darinnen/ daß der HErr alles auch in ſolchem werck/ thut als ein HErr und in. eignem nahmen/ wir aber nur als diener/ ausrichter ſeines amts und be- fehls/ U 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/163>, abgerufen am 21.12.2024.