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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. I. SECTIO XXIV.
weise processe zu führen/ (wohin auch alle gegen den andern führende eigen-
liche injurien-processe gehören) freylich den menschen so wol als andere
feindschafft/ ja so vielmehr/ weil dieses eine offenliche und bekandliche feind-
schafft wäre/ von dem heiligen Abendmahl ausschliesse: und ist also eben das
darvon zu sagen/ was jetzo von feindschafft insgemein gesagt worden. Un-
terdessen so ist solche ausschliessung nicht zur entschuldigung zu ziehen/ son-
dern lebet wiederum ein solcher mensch die gantze zeit dergleichen feindseligen
processe, in einem verdammlichen stande/ und gehet stets in den stricken des
satans/ deren er vielmehr sich zu befreyen suchen muß/ als um derselben
willen/ und ihnen recht nach seines bösen hertzens lust nachzuhängen/ des hei-
ligen Abendmahls sich enthalten. Gleichwol bringen solches die processe
nicht selbs mit sich/ sondern es können solche an sich selbs mit christlichen ge-
müthern geführet werden/ wann die partheyen ihre streitige sache dem gerichte
und der Obrigkeit überlassen/ von deroselben den ausspruch erwarten/ und
indessen ein theil den andern hertzlich lieben. Wo sie nun also geführet wer-
den/ so hindern sie an dem heiligen Abendmahl gantz nicht/ viel weniger solten
sie davon entschuldigen. Dahero die entschuldigung wieder vergebens ist:
dann führest du die processe, wie sichs gebühret/ so stehen sie dir nicht in dem
wege; führest du sie aber übel/ so bist du/ so lieb dir deine seligkeit ist/ ehe da-
von abzulassen schuldig/ als um derselben willen/ dich deiner seligkeit mittel
zu entschlagen. Wie ja ohne das/ das geistliche dem weltlichen vorgezogen
werden solle/ und noch dazu bey übelführenden processen du so wenig mit un-
terlassung des heiligen Abendmahls als mit dem gebrauch desselben/ selig
werden kanst.

Die neundte Frage.
Ob die angst/ welche man davon habe/ so offt man sich des heiligen
Abendmahls gebrauchen wolle/ uns davon entschuldige?

ES ist dieses abermal etlicher entschuldigung: daß man vorgiebt/ man
wolle hertzlich gern zu dem heiligen Abendmahl gehen/ habe auch verlan-
gen darnach/ aber so offt man sich darzu resolvire/ sinde man solche angst/ daß
darüber unmüglich werde/ solches zu verrichten. Diese hält aber eben so wenig
den stich/ als vorige entschuldigungen. Es hat die angst entweder ihre ver-
nünfftige ursachen/ oder nicht. Hat dieselbe keine ursache/ würde dergleichen
für eine miltz sucht und leibliche kranckheit/ da die leute zuweilen ohne bekan-
te ursach bangigkeit fühlen/ zu halten seyn: die dann/ weil sie uns nicht hin-
dern kan/ alles das zu thun/ was der würdige gebrauch erfordert/ uns auch
an dem gebrauch selbs so wenig als andere kranckheiten hindern mag. Aber
wo man dergleichen angst bey nichts anders spüret/ als allein bey vorhaben-

den
R 3

ARTIC. I. SECTIO XXIV.
weiſe proceſſe zu fuͤhren/ (wohin auch alle gegen den andern fuͤhrende eigen-
liche injurien-proceſſe gehoͤren) freylich den menſchen ſo wol als andere
feindſchafft/ ja ſo vielmehr/ weil dieſes eine offenliche und bekandliche feind-
ſchafft waͤre/ von dem heiligen Abendmahl ausſchlieſſe: und iſt alſo eben das
darvon zu ſagen/ was jetzo von feindſchafft insgemein geſagt worden. Un-
terdeſſen ſo iſt ſolche ausſchlieſſung nicht zur entſchuldigung zu ziehen/ ſon-
dern lebet wiederum ein ſolcher menſch die gantze zeit dergleichen feindſeligen
proceſſe, in einem verdammlichen ſtande/ und gehet ſtets in den ſtricken des
ſatans/ deren er vielmehr ſich zu befreyen ſuchen muß/ als um derſelben
willen/ und ihnen recht nach ſeines boͤſen hertzens luſt nachzuhaͤngen/ des hei-
ligen Abendmahls ſich enthalten. Gleichwol bringen ſolches die proceſſe
nicht ſelbs mit ſich/ ſondern es koͤnnen ſolche an ſich ſelbs mit chriſtlichen ge-
muͤthern gefuͤhret werden/ wañ die partheyen ihre ſtreitige ſache dem gerichte
und der Obrigkeit uͤberlaſſen/ von deroſelben den ausſpruch erwarten/ und
indeſſen ein theil den andern hertzlich lieben. Wo ſie nun alſo gefuͤhret wer-
den/ ſo hindern ſie an dem heiligen Abendmahl gantz nicht/ viel weniger ſolten
ſie davon entſchuldigen. Dahero die entſchuldigung wieder vergebens iſt:
dann fuͤhreſt du die proceſſe, wie ſichs gebuͤhret/ ſo ſtehen ſie dir nicht in dem
wege; fuͤhreſt du ſie aber uͤbel/ ſo biſt du/ ſo lieb dir deine ſeligkeit iſt/ ehe da-
von abzulaſſen ſchuldig/ als um derſelben willen/ dich deiner ſeligkeit mittel
zu entſchlagen. Wie ja ohne das/ das geiſtliche dem weltlichen vorgezogen
werden ſolle/ und noch dazu bey uͤbelfuͤhrenden proceſſen du ſo wenig mit un-
terlaſſung des heiligen Abendmahls als mit dem gebrauch deſſelben/ ſelig
werden kanſt.

Die neundte Frage.
Ob die angſt/ welche man davon habe/ ſo offt man ſich des heiligen
Abendmahls gebrauchen wolle/ uns davon entſchuldige?

ES iſt dieſes abermal etlicher entſchuldigung: daß man vorgiebt/ man
wolle hertzlich gern zu dem heiligen Abendmahl gehen/ habe auch verlan-
gen darnach/ aber ſo offt man ſich darzu reſolvire/ ſinde man ſolche angſt/ daß
daruͤber unmuͤglich werde/ ſolches zu verrichten. Dieſe haͤlt aber eben ſo wenig
den ſtich/ als vorige entſchuldigungen. Es hat die angſt entweder ihre ver-
nuͤnfftige urſachen/ oder nicht. Hat dieſelbe keine urſache/ wuͤrde dergleichen
fuͤr eine miltz ſucht und leibliche kranckheit/ da die leute zuweilen ohne bekan-
te urſach bangigkeit fuͤhlen/ zu halten ſeyn: die dann/ weil ſie uns nicht hin-
dern kan/ alles das zu thun/ was der wuͤrdige gebrauch erfordert/ uns auch
an dem gebrauch ſelbs ſo wenig als andere kranckheiten hindern mag. Aber
wo man dergleichen angſt bey nichts anders ſpuͤret/ als allein bey vorhaben-

den
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[133/0141] ARTIC. I. SECTIO XXIV. weiſe proceſſe zu fuͤhren/ (wohin auch alle gegen den andern fuͤhrende eigen- liche injurien-proceſſe gehoͤren) freylich den menſchen ſo wol als andere feindſchafft/ ja ſo vielmehr/ weil dieſes eine offenliche und bekandliche feind- ſchafft waͤre/ von dem heiligen Abendmahl ausſchlieſſe: und iſt alſo eben das darvon zu ſagen/ was jetzo von feindſchafft insgemein geſagt worden. Un- terdeſſen ſo iſt ſolche ausſchlieſſung nicht zur entſchuldigung zu ziehen/ ſon- dern lebet wiederum ein ſolcher menſch die gantze zeit dergleichen feindſeligen proceſſe, in einem verdammlichen ſtande/ und gehet ſtets in den ſtricken des ſatans/ deren er vielmehr ſich zu befreyen ſuchen muß/ als um derſelben willen/ und ihnen recht nach ſeines boͤſen hertzens luſt nachzuhaͤngen/ des hei- ligen Abendmahls ſich enthalten. Gleichwol bringen ſolches die proceſſe nicht ſelbs mit ſich/ ſondern es koͤnnen ſolche an ſich ſelbs mit chriſtlichen ge- muͤthern gefuͤhret werden/ wañ die partheyen ihre ſtreitige ſache dem gerichte und der Obrigkeit uͤberlaſſen/ von deroſelben den ausſpruch erwarten/ und indeſſen ein theil den andern hertzlich lieben. Wo ſie nun alſo gefuͤhret wer- den/ ſo hindern ſie an dem heiligen Abendmahl gantz nicht/ viel weniger ſolten ſie davon entſchuldigen. Dahero die entſchuldigung wieder vergebens iſt: dann fuͤhreſt du die proceſſe, wie ſichs gebuͤhret/ ſo ſtehen ſie dir nicht in dem wege; fuͤhreſt du ſie aber uͤbel/ ſo biſt du/ ſo lieb dir deine ſeligkeit iſt/ ehe da- von abzulaſſen ſchuldig/ als um derſelben willen/ dich deiner ſeligkeit mittel zu entſchlagen. Wie ja ohne das/ das geiſtliche dem weltlichen vorgezogen werden ſolle/ und noch dazu bey uͤbelfuͤhrenden proceſſen du ſo wenig mit un- terlaſſung des heiligen Abendmahls als mit dem gebrauch deſſelben/ ſelig werden kanſt. Die neundte Frage. Ob die angſt/ welche man davon habe/ ſo offt man ſich des heiligen Abendmahls gebrauchen wolle/ uns davon entſchuldige? ES iſt dieſes abermal etlicher entſchuldigung: daß man vorgiebt/ man wolle hertzlich gern zu dem heiligen Abendmahl gehen/ habe auch verlan- gen darnach/ aber ſo offt man ſich darzu reſolvire/ ſinde man ſolche angſt/ daß daruͤber unmuͤglich werde/ ſolches zu verrichten. Dieſe haͤlt aber eben ſo wenig den ſtich/ als vorige entſchuldigungen. Es hat die angſt entweder ihre ver- nuͤnfftige urſachen/ oder nicht. Hat dieſelbe keine urſache/ wuͤrde dergleichen fuͤr eine miltz ſucht und leibliche kranckheit/ da die leute zuweilen ohne bekan- te urſach bangigkeit fuͤhlen/ zu halten ſeyn: die dann/ weil ſie uns nicht hin- dern kan/ alles das zu thun/ was der wuͤrdige gebrauch erfordert/ uns auch an dem gebrauch ſelbs ſo wenig als andere kranckheiten hindern mag. Aber wo man dergleichen angſt bey nichts anders ſpuͤret/ als allein bey vorhaben- den R 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/141>, abgerufen am 21.11.2024.