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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
VI.
Ob ein Christ/ wenn er am sonntag zu gast gebeten/ wol die vesper-
predigt versäumen/ und zu seinem freunde gehen; oder ob er zu
hause bleiben möge/ sintemal er wohl weiß/ daß er das gepredig-
te wort/ des vormittags gehöret/ bey ihm nicht wieder
repeti-
ren/ und gleichsam wiederkäuen kan/ und zumalen sich abson-
dere/ alldieweil er die welt-kinder/ so mit zu gast gebeten/ nicht

frequentiren will?

DJese frage hält wieder etlicherley in sich. 1. Jst zwahr der liebe sonntag
nicht nur zu der privat-andacht/ sondern nach aller Theologorum fast
einmüthiger lehr/ hauptsächlich zu dem öffentlichen Gottesdienst eingesetzet/
daher wir uns denselben solchen tag/ wo wir ihn zu besuchen vermögen/ auch
angelegen seyn lassen sollen: Jndessen könte ich nicht gründlich darthun/ daß
eben jeglicher an solchem tag sich so vielmal/ als jedes orts möglich/ dabey
einzufinden verbunden wäre; sondern wie er sich der öffentlichen gemeinde
nicht entziehen darff/ also hat er gleichwol zahl und umstände/ nach denjeni-
gen abzumessen/ wie er es seiner erbauung am bequemsten findet.

2. Wer also vormittags in der predigt gewesen ist/ und die materie/ die
er gehöret/ sonderlich zu seiner aufferbauung dienlich befindet/ auch gewahr
wird/ daßer an derselben wiederkäuung den tag gnug zu thun haben werde;
hingegen sich nur mit weiterm anhören confundiren/ und das vorige zu sei-
nem rechten nutzen anzuwenden hindern würde/ der thäte nichtwohl/ wo er ei-
ne nachmittags-predigt besuchte/ weil er damit die erbauung seiner seele/ wel-
che der wahrhafftige zweck der sonntags-feyer ist/ nicht befördern/ sondern
wohl gar verringern würde.

3. Wäre aber sache/ daß er vormittag nicht eben dergleichen gehöret/
davon er sonderliche erbauung spührete/ oder könte doch dasselbige in kurtzer
zeit zu gnugsamer fruchtbringung wiederholen/ wolte ich ihm rathen/ daß er
in der nachmittags-predigt versuchte/ ob ihm GOtt etwas ihm nöthiges hö-
ren lassen wolte/ oder daß er doch die übrige zeit/ die er eben nicht nothwendig
zu der vorigen wiederholung bedörffte/ dahin anwendete: Wie ich insge-
samt auch diesen rath gebe/ auffs wenigste zuweilen bey der nachmittags-
predigt sich einzufinden/ auff daß die ungleiche meinung/ die etwa einige
schöpffen möchten/ ob verachtete man den nachmittags-Prediger oder solchen
Gottesdienst/ und also das daher besorgende ärgernüß verhütet/ oder abge-
wendet werden möge.

4. Die sonntags-mahlzeiten anlangende/ kan ein rechtschaffener Christ
durchaus zu dergleichen sich nicht einfinden/ bey welchen er solche welt-kinder

zu
Das dritte Capitel.
VI.
Ob ein Chriſt/ wenn er am ſonntag zu gaſt gebeten/ wol die veſper-
predigt verſaͤumen/ und zu ſeinem freunde gehen; oder ob er zu
hauſe bleiben moͤge/ ſintemal er wohl weiß/ daß er das gepredig-
te wort/ des vormittags gehoͤret/ bey ihm nicht wieder
repeti-
ren/ und gleichſam wiederkaͤuen kan/ und zumalen ſich abſon-
dere/ alldieweil er die welt-kinder/ ſo mit zu gaſt gebeten/ nicht

frequentiren will?

DJeſe frage haͤlt wieder etlicherley in ſich. 1. Jſt zwahr der liebe ſonntag
nicht nur zu der privat-andacht/ ſondern nach aller Theologorum faſt
einmuͤthiger lehr/ hauptſaͤchlich zu dem oͤffentlichen Gottesdienſt eingeſetzet/
daher wir uns denſelben ſolchen tag/ wo wir ihn zu beſuchen vermoͤgen/ auch
angelegen ſeyn laſſen ſollen: Jndeſſen koͤnte ich nicht gruͤndlich darthun/ daß
eben jeglicher an ſolchem tag ſich ſo vielmal/ als jedes orts moͤglich/ dabey
einzufinden verbunden waͤre; ſondern wie er ſich der oͤffentlichen gemeinde
nicht entziehen darff/ alſo hat er gleichwol zahl und umſtaͤnde/ nach denjeni-
gen abzumeſſen/ wie er es ſeiner erbauung am bequemſten findet.

2. Wer alſo vormittags in der predigt geweſen iſt/ und die materie/ die
er gehoͤret/ ſonderlich zu ſeiner aufferbauung dienlich befindet/ auch gewahr
wird/ daßer an derſelben wiederkaͤuung den tag gnug zu thun haben werde;
hingegen ſich nur mit weiterm anhoͤren confundiren/ und das vorige zu ſei-
nem rechten nutzen anzuwenden hindern wuͤrde/ der thaͤte nichtwohl/ wo er ei-
ne nachmittags-predigt beſuchte/ weil er damit die erbauung ſeiner ſeele/ wel-
che der wahrhafftige zweck der ſonntags-feyer iſt/ nicht befoͤrdern/ ſondern
wohl gar verringern wuͤrde.

3. Waͤre aber ſache/ daß er vormittag nicht eben dergleichen gehoͤret/
davon er ſonderliche erbauung ſpuͤhrete/ oder koͤnte doch daſſelbige in kurtzer
zeit zu gnugſamer fruchtbringung wiederholen/ wolte ich ihm rathen/ daß er
in der nachmittags-predigt verſuchte/ ob ihm GOtt etwas ihm noͤthiges hoͤ-
ren laſſen wolte/ oder daß er doch die uͤbrige zeit/ die er eben nicht nothwendig
zu der vorigen wiederholung bedoͤrffte/ dahin anwendete: Wie ich insge-
ſamt auch dieſen rath gebe/ auffs wenigſte zuweilen bey der nachmittags-
predigt ſich einzufinden/ auff daß die ungleiche meinung/ die etwa einige
ſchoͤpffen moͤchten/ ob verachtete man den nachmittags-Prediger oder ſolchen
Gottesdienſt/ und alſo das daher beſorgende aͤrgernuͤß verhuͤtet/ oder abge-
wendet werden moͤge.

4. Die ſonntags-mahlzeiten anlangende/ kan ein rechtſchaffener Chriſt
durchaus zu dergleichen ſich nicht einfinden/ bey welchen er ſolche welt-kinder

zu
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[108/0116] Das dritte Capitel. VI. Ob ein Chriſt/ wenn er am ſonntag zu gaſt gebeten/ wol die veſper- predigt verſaͤumen/ und zu ſeinem freunde gehen; oder ob er zu hauſe bleiben moͤge/ ſintemal er wohl weiß/ daß er das gepredig- te wort/ des vormittags gehoͤret/ bey ihm nicht wieder repeti- ren/ und gleichſam wiederkaͤuen kan/ und zumalen ſich abſon- dere/ alldieweil er die welt-kinder/ ſo mit zu gaſt gebeten/ nicht frequentiren will? DJeſe frage haͤlt wieder etlicherley in ſich. 1. Jſt zwahr der liebe ſonntag nicht nur zu der privat-andacht/ ſondern nach aller Theologorum faſt einmuͤthiger lehr/ hauptſaͤchlich zu dem oͤffentlichen Gottesdienſt eingeſetzet/ daher wir uns denſelben ſolchen tag/ wo wir ihn zu beſuchen vermoͤgen/ auch angelegen ſeyn laſſen ſollen: Jndeſſen koͤnte ich nicht gruͤndlich darthun/ daß eben jeglicher an ſolchem tag ſich ſo vielmal/ als jedes orts moͤglich/ dabey einzufinden verbunden waͤre; ſondern wie er ſich der oͤffentlichen gemeinde nicht entziehen darff/ alſo hat er gleichwol zahl und umſtaͤnde/ nach denjeni- gen abzumeſſen/ wie er es ſeiner erbauung am bequemſten findet. 2. Wer alſo vormittags in der predigt geweſen iſt/ und die materie/ die er gehoͤret/ ſonderlich zu ſeiner aufferbauung dienlich befindet/ auch gewahr wird/ daßer an derſelben wiederkaͤuung den tag gnug zu thun haben werde; hingegen ſich nur mit weiterm anhoͤren confundiren/ und das vorige zu ſei- nem rechten nutzen anzuwenden hindern wuͤrde/ der thaͤte nichtwohl/ wo er ei- ne nachmittags-predigt beſuchte/ weil er damit die erbauung ſeiner ſeele/ wel- che der wahrhafftige zweck der ſonntags-feyer iſt/ nicht befoͤrdern/ ſondern wohl gar verringern wuͤrde. 3. Waͤre aber ſache/ daß er vormittag nicht eben dergleichen gehoͤret/ davon er ſonderliche erbauung ſpuͤhrete/ oder koͤnte doch daſſelbige in kurtzer zeit zu gnugſamer fruchtbringung wiederholen/ wolte ich ihm rathen/ daß er in der nachmittags-predigt verſuchte/ ob ihm GOtt etwas ihm noͤthiges hoͤ- ren laſſen wolte/ oder daß er doch die uͤbrige zeit/ die er eben nicht nothwendig zu der vorigen wiederholung bedoͤrffte/ dahin anwendete: Wie ich insge- ſamt auch dieſen rath gebe/ auffs wenigſte zuweilen bey der nachmittags- predigt ſich einzufinden/ auff daß die ungleiche meinung/ die etwa einige ſchoͤpffen moͤchten/ ob verachtete man den nachmittags-Prediger oder ſolchen Gottesdienſt/ und alſo das daher beſorgende aͤrgernuͤß verhuͤtet/ oder abge- wendet werden moͤge. 4. Die ſonntags-mahlzeiten anlangende/ kan ein rechtſchaffener Chriſt durchaus zu dergleichen ſich nicht einfinden/ bey welchen er ſolche welt-kinder zu

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/116>, abgerufen am 21.11.2024.