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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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ARTIC. V. SECTIO I.
aber die art des Sacraments ist/ wie sie aus der einsetzung fliesset/ muß sie allezeit
einerley seyn.

5. Wie ich die art des tausendjährigen reichs aus GOttes wort begreiffe/
daß es allein bestehe/ nicht allein in allgemeiner ausbreitung der kirche GOttes in
der meist gantzen welt/ auch eusserlicher ruhe vor dem teuffel/ der ihr mit verfol-
gung und verführung nicht gleichermassen zusetzen darff/ vielmehr alsdann gebun-
den ist/ sondern auch in herrlicherem gnadenmaaß des göttlichen liechts und krafft
zur heiligung/ so ist darzu nicht nöthig/ daß die bißher gewährte oeconomia des
reichs Christi bestehend in der predigt des Evangelii und gebrauch der Sacramenten
auffgehaben und geändert werde. So verstehe ich die worte 1. Cor. 11. biß der
HErr kommet/ von der letzten sichtbaren zukunfft zum allgemeinen jüngsten gericht/
die erst nach den 1000. jahren folget/ und dieser itzigen welt ein ende machet. Wel-
che aber in der schrifft diese sache betreffend weiter zusehen meynen/ und nicht allein
eine sichtbare zukunfft Christi zu denselben vorgeben/ sondern insgesammt einen sol-
chen zustand des reichs sich einbilden/ daß die gantze jetzige ordnung auffgehoben
werden müste/ wären nicht allein zu solcher erweisung ihres satzes anzuhalten/ dar-
durch die gewissen der menschen völlig überzeuget würden/ sondern hätten auffs
wenigste nicht macht/ vor wircklichen völligen anbruch solches reichs eine änderung
einer von Christo unwiedersprechlich eingesetzten ordnung vorzunehmen/ sondern
zuerwarten/ biß der HErr alsdann seine kirche seines willens über dergleichen än-
derung mit nicht weniger gewißheit versicherte/ als mit welcher sie die erste einse-
tzung empfangen hatte. Ehe nun dieses geschiehet/ ob auch der anbruch des reichs
nahe wäre/ ist keinem menschen erlaubt/ dem HErren vorzugreiffen oder vorzu-
lauffen. Wir aber stehen in unsrer einfallt fest auff dem gewissen wort unsers
GOttes.

Die II. Frage.
Ob man die Kinder-tauff behalten solle/ weil Christus nicht
die kinder zu tauffen/ sondern erst zu lehren und darnach zutauffen be-
fohlen habe Matth. 28/ 19.? Hingegen wäre die kindertauff vom An-
tichrist erst bey dem verfall der kirchen auffgekommen/ in den ersten jahr-
hunderten aber nicht in übung gewesen/ daher ein kind nicht vor 12
oder 16 jahren zutauffen wäre.

ES kommt in dieser sache auff 2 puncten an/ nehmlich ob die kindertauff
von Christo befohlen/ und ob sie in der ersten kirchen im schwang gewe-
sen. 1. Was anlangt daß die kindertauff von Christo befohlen: so trei-
ben wir billich 1. den allgemeinen befehl unsers Heylandes Matth. 28/ 19. wann
derselbe seine jünger aussendet sein reich aufzurichten/ und alle Heyden in dasselbige
zu bringen; wann er dann nicht weniger vor die junge kinder gelidten und die see-

ligkeit
b 3

ARTIC. V. SECTIO I.
aber die art des Sacraments iſt/ wie ſie aus der einſetzung flieſſet/ muß ſie allezeit
einerley ſeyn.

5. Wie ich die art des tauſendjaͤhrigen reichs aus GOttes wort begreiffe/
daß es allein beſtehe/ nicht allein in allgemeiner ausbreitung der kirche GOttes in
der meiſt gantzen welt/ auch euſſerlicher ruhe vor dem teuffel/ der ihr mit verfol-
gung und verfuͤhrung nicht gleichermaſſen zuſetzen darff/ vielmehr alsdann gebun-
den iſt/ ſondern auch in herrlicherem gnadenmaaß des goͤttlichen liechts und krafft
zur heiligung/ ſo iſt darzu nicht noͤthig/ daß die bißher gewaͤhrte œconomia des
reichs Chriſti beſtehend in der predigt des Evangelii und gebrauch der Sacꝛamenten
auffgehaben und geaͤndert werde. So verſtehe ich die worte 1. Cor. 11. biß der
HErr kommet/ von der letzten ſichtbaren zukunfft zum allgemeinen juͤngſten gericht/
die erſt nach den 1000. jahren folget/ und dieſer itzigen welt ein ende machet. Wel-
che aber in der ſchrifft dieſe ſache betreffend weiter zuſehen meynen/ und nicht allein
eine ſichtbare zukunfft Chriſti zu denſelben vorgeben/ ſondern insgeſammt einen ſol-
chen zuſtand des reichs ſich einbilden/ daß die gantze jetzige ordnung auffgehoben
werden muͤſte/ waͤren nicht allein zu ſolcher erweiſung ihres ſatzes anzuhalten/ dar-
durch die gewiſſen der menſchen voͤllig uͤberzeuget wuͤrden/ ſondern haͤtten auffs
wenigſte nicht macht/ vor wircklichen voͤlligen anbruch ſolches reichs eine aͤnderung
einer von Chriſto unwiederſprechlich eingeſetzten ordnung vorzunehmen/ ſondern
zuerwarten/ biß der HErr alsdann ſeine kirche ſeines willens uͤber dergleichen aͤn-
derung mit nicht weniger gewißheit verſicherte/ als mit welcher ſie die erſte einſe-
tzung empfangen hatte. Ehe nun dieſes geſchiehet/ ob auch der anbruch des reichs
nahe waͤre/ iſt keinem menſchen erlaubt/ dem HErren vorzugreiffen oder vorzu-
lauffen. Wir aber ſtehen in unſrer einfallt feſt auff dem gewiſſen wort unſers
GOttes.

Die II. Frage.
Ob man die Kinder-tauff behalten ſolle/ weil Chriſtus nicht
die kinder zu tauffen/ ſondern erſt zu lehren und darnach zutauffen be-
fohlen habe Matth. 28/ 19.? Hingegen waͤre die kindertauff vom An-
tichriſt erſt bey dem verfall der kirchen auffgekom̃en/ in den erſten jahr-
hunderten aber nicht in uͤbung geweſen/ daher ein kind nicht vor 12
oder 16 jahren zutauffen waͤre.

ES kommt in dieſer ſache auff 2 puncten an/ nehmlich ob die kindertauff
von Chriſto befohlen/ und ob ſie in der erſten kirchen im ſchwang gewe-
ſen. 1. Was anlangt daß die kindertauff von Chriſto befohlen: ſo trei-
ben wir billich 1. den allgemeinen befehl unſers Heylandes Matth. 28/ 19. wann
derſelbe ſeine juͤnger ausſendet ſein reich aufzurichten/ und alle Heyden in daſſelbige
zu bringen; wann er dann nicht weniger vor die junge kinder gelidten und die ſee-

ligkeit
b 3
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[125/0925] ARTIC. V. SECTIO I. aber die art des Sacraments iſt/ wie ſie aus der einſetzung flieſſet/ muß ſie allezeit einerley ſeyn. 5. Wie ich die art des tauſendjaͤhrigen reichs aus GOttes wort begreiffe/ daß es allein beſtehe/ nicht allein in allgemeiner ausbreitung der kirche GOttes in der meiſt gantzen welt/ auch euſſerlicher ruhe vor dem teuffel/ der ihr mit verfol- gung und verfuͤhrung nicht gleichermaſſen zuſetzen darff/ vielmehr alsdann gebun- den iſt/ ſondern auch in herrlicherem gnadenmaaß des goͤttlichen liechts und krafft zur heiligung/ ſo iſt darzu nicht noͤthig/ daß die bißher gewaͤhrte œconomia des reichs Chriſti beſtehend in der predigt des Evangelii und gebrauch der Sacꝛamenten auffgehaben und geaͤndert werde. So verſtehe ich die worte 1. Cor. 11. biß der HErr kommet/ von der letzten ſichtbaren zukunfft zum allgemeinen juͤngſten gericht/ die erſt nach den 1000. jahren folget/ und dieſer itzigen welt ein ende machet. Wel- che aber in der ſchrifft dieſe ſache betreffend weiter zuſehen meynen/ und nicht allein eine ſichtbare zukunfft Chriſti zu denſelben vorgeben/ ſondern insgeſammt einen ſol- chen zuſtand des reichs ſich einbilden/ daß die gantze jetzige ordnung auffgehoben werden muͤſte/ waͤren nicht allein zu ſolcher erweiſung ihres ſatzes anzuhalten/ dar- durch die gewiſſen der menſchen voͤllig uͤberzeuget wuͤrden/ ſondern haͤtten auffs wenigſte nicht macht/ vor wircklichen voͤlligen anbruch ſolches reichs eine aͤnderung einer von Chriſto unwiederſprechlich eingeſetzten ordnung vorzunehmen/ ſondern zuerwarten/ biß der HErr alsdann ſeine kirche ſeines willens uͤber dergleichen aͤn- derung mit nicht weniger gewißheit verſicherte/ als mit welcher ſie die erſte einſe- tzung empfangen hatte. Ehe nun dieſes geſchiehet/ ob auch der anbruch des reichs nahe waͤre/ iſt keinem menſchen erlaubt/ dem HErren vorzugreiffen oder vorzu- lauffen. Wir aber ſtehen in unſrer einfallt feſt auff dem gewiſſen wort unſers GOttes. Die II. Frage. Ob man die Kinder-tauff behalten ſolle/ weil Chriſtus nicht die kinder zu tauffen/ ſondern erſt zu lehren und darnach zutauffen be- fohlen habe Matth. 28/ 19.? Hingegen waͤre die kindertauff vom An- tichriſt erſt bey dem verfall der kirchen auffgekom̃en/ in den erſten jahr- hunderten aber nicht in uͤbung geweſen/ daher ein kind nicht vor 12 oder 16 jahren zutauffen waͤre. ES kommt in dieſer ſache auff 2 puncten an/ nehmlich ob die kindertauff von Chriſto befohlen/ und ob ſie in der erſten kirchen im ſchwang gewe- ſen. 1. Was anlangt daß die kindertauff von Chriſto befohlen: ſo trei- ben wir billich 1. den allgemeinen befehl unſers Heylandes Matth. 28/ 19. wann derſelbe ſeine juͤnger ausſendet ſein reich aufzurichten/ und alle Heyden in daſſelbige zu bringen; wann er dann nicht weniger vor die junge kinder gelidten und die ſee- ligkeit b 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/925>, abgerufen am 21.11.2024.