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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
widerstrebet/ der andre aber solches gethan hat/ da es sonst von GOttes sei-
ten an seiner kräfftigen wirckenden gnade bey keinem unter beyden gemangelt
haben kan: aber die ursach/ warum der eine also widerstrebet/ der andre nicht
widerstrebet/ nicht darinnen erkennen/ daß einer weniger als der andre böses
an sich gehabt hätte/ sondern es muß solches auch von der gnade hergezogen
werden.

§. 6. Also müssen wir sagen/ und ist göttlicher gnaden-ordnung am ge-
mässesten/ daß wo GOtt sein wort des Evangelii predigen lässet/ dasselbe al-
zeit die gnade bey sich habe/ die natürliche widersetzlichkeit bey dem menschen
so fern wegzunehmen/ daß dieser durch solche gnade/ die die gratia praeveni-
ens
oder vorlauffende gnade ist/ die krafft empfangen/ aus dero er/ wann er
will/ sich des boßhafftigen widerstrebens enthalten kan. Also wird derjeni-
ge wircklich zum glauben durch die gnade des worts bekehret/ welcher dessen
krafft nicht widerstrebet: daß er aber nicht widerstrebet/ kommt ursprünglich
her von der göttlichen gnade/ damit ihm GOtt zuvor kommt/ und daß er sich
derselbigen gebraucht. Der andre aber wird nicht bekehret/ welcher wider-
strebet: und solche widerstrebung kommt ursprünglich aus seiner allen men-
schen gemeiner natürlichen verderbnüß/ nechst dem daß er auch die gnade/ so
ihm gleichfals anerboten worden/ und mit dero er sich des widerstehens
so wol als jener hätte entbrechen können/ nicht angenommen hat. Also ge-
het etlicher massen eine freyheit bey dem menschen vor der bekehrung her/ nem-
lich zu widerstreben oder nicht zu widerstreben/ es ist aber dieselbe bereits die
frucht einer allgemeinen vorhergehenden gnade/ nicht aber bloß etwas aus
der natur noch übriges.

§. 7. Zwahr geben einige unsrer lehrer zu/ daß bey dem menschen noch/
was anlangt die paedagogiam religionis, einige freyheit übrig seye/ dahin
sie setzen/ den göttlichen bewegungen zu widerstehen oder nicht zu widerste-
hen (wie D. Dannhauer thut Hodosoph. Ph. 5. p. 446. dem ich nicht lengne/
etliche mal nachgesprochen zu haben.) Es hat aber solches viele schwehrigkei-
ten/ daher die vorerwehnte antwort und auflösung der frage sicherer ist/ das
menschliche unvermögen so viel kräfftiger vorstellet/ hingegen die göttliche
allgemeine gnade desto herrlicher erhebet: die billig von uns allezeit hoch zu
preisen ist.

SECTIO XXV.
Daß die wahre erkäntnüß und Theologie von dem
rechtschaffenen wesen in CHristo sich nicht tren-
nen lasse.
Wie

Das erſte Capitel.
widerſtrebet/ der andre aber ſolches gethan hat/ da es ſonſt von GOttes ſei-
ten an ſeiner kraͤfftigen wirckenden gnade bey keinem unter beyden gemangelt
haben kan: aber die urſach/ warum der eine alſo widerſtrebet/ der andre nicht
widerſtrebet/ nicht darinnen erkennen/ daß einer weniger als der andre boͤſes
an ſich gehabt haͤtte/ ſondern es muß ſolches auch von der gnade hergezogen
werden.

§. 6. Alſo muͤſſen wir ſagen/ und iſt goͤttlicher gnaden-ordnung am ge-
maͤſſeſten/ daß wo GOtt ſein wort des Evangelii predigen laͤſſet/ daſſelbe al-
zeit die gnade bey ſich habe/ die natuͤrliche widerſetzlichkeit bey dem menſchen
ſo fern wegzunehmen/ daß dieſer durch ſolche gnade/ die die gratia præveni-
ens
oder vorlauffende gnade iſt/ die krafft empfangen/ aus dero er/ wann er
will/ ſich des boßhafftigen widerſtrebens enthalten kan. Alſo wird derjeni-
ge wircklich zum glauben durch die gnade des worts bekehret/ welcher deſſen
krafft nicht widerſtrebet: daß er aber nicht widerſtrebet/ kommt urſpruͤnglich
her von der goͤttlichen gnade/ damit ihm GOtt zuvor kommt/ und daß er ſich
derſelbigen gebraucht. Der andre aber wird nicht bekehret/ welcher wider-
ſtrebet: und ſolche widerſtrebung kommt urſpruͤnglich aus ſeiner allen men-
ſchen gemeiner natuͤrlichen verderbnuͤß/ nechſt dem daß er auch die gnade/ ſo
ihm gleichfals anerboten worden/ und mit dero er ſich des widerſtehens
ſo wol als jener haͤtte entbrechen koͤnnen/ nicht angenommen hat. Alſo ge-
het etlicheꝛ maſſen eine fꝛeyheit bey dem menſchen vor der bekehrung her/ nem-
lich zu widerſtreben oder nicht zu widerſtreben/ es iſt aber dieſelbe bereits die
frucht einer allgemeinen vorhergehenden gnade/ nicht aber bloß etwas aus
der natur noch uͤbriges.

§. 7. Zwahr geben einige unſrer lehrer zu/ daß bey dem menſchen noch/
was anlangt die pædagogiam religionis, einige freyheit uͤbrig ſeye/ dahin
ſie ſetzen/ den goͤttlichen bewegungen zu widerſtehen oder nicht zu widerſte-
hen (wie D. Dannhauer thut Hodoſoph. Ph. 5. p. 446. dem ich nicht lengne/
etliche mal nachgeſprochen zu haben.) Es hat aber ſolches viele ſchwehrigkei-
ten/ daher die vorerwehnte antwort und aufloͤſung der frage ſicherer iſt/ das
menſchliche unvermoͤgen ſo viel kraͤfftiger vorſtellet/ hingegen die goͤttliche
allgemeine gnade deſto herrlicher erhebet: die billig von uns allezeit hoch zu
preiſen iſt.

SECTIO XXV.
Daß die wahre erkaͤntnuͤß und Theologie von dem
rechtſchaffenen weſen in CHriſto ſich nicht tren-
nen laſſe.
Wie
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[172/0188] Das erſte Capitel. widerſtrebet/ der andre aber ſolches gethan hat/ da es ſonſt von GOttes ſei- ten an ſeiner kraͤfftigen wirckenden gnade bey keinem unter beyden gemangelt haben kan: aber die urſach/ warum der eine alſo widerſtrebet/ der andre nicht widerſtrebet/ nicht darinnen erkennen/ daß einer weniger als der andre boͤſes an ſich gehabt haͤtte/ ſondern es muß ſolches auch von der gnade hergezogen werden. §. 6. Alſo muͤſſen wir ſagen/ und iſt goͤttlicher gnaden-ordnung am ge- maͤſſeſten/ daß wo GOtt ſein wort des Evangelii predigen laͤſſet/ daſſelbe al- zeit die gnade bey ſich habe/ die natuͤrliche widerſetzlichkeit bey dem menſchen ſo fern wegzunehmen/ daß dieſer durch ſolche gnade/ die die gratia præveni- ens oder vorlauffende gnade iſt/ die krafft empfangen/ aus dero er/ wann er will/ ſich des boßhafftigen widerſtrebens enthalten kan. Alſo wird derjeni- ge wircklich zum glauben durch die gnade des worts bekehret/ welcher deſſen krafft nicht widerſtrebet: daß er aber nicht widerſtrebet/ kommt urſpruͤnglich her von der goͤttlichen gnade/ damit ihm GOtt zuvor kommt/ und daß er ſich derſelbigen gebraucht. Der andre aber wird nicht bekehret/ welcher wider- ſtrebet: und ſolche widerſtrebung kommt urſpruͤnglich aus ſeiner allen men- ſchen gemeiner natuͤrlichen verderbnuͤß/ nechſt dem daß er auch die gnade/ ſo ihm gleichfals anerboten worden/ und mit dero er ſich des widerſtehens ſo wol als jener haͤtte entbrechen koͤnnen/ nicht angenommen hat. Alſo ge- het etlicheꝛ maſſen eine fꝛeyheit bey dem menſchen vor der bekehrung her/ nem- lich zu widerſtreben oder nicht zu widerſtreben/ es iſt aber dieſelbe bereits die frucht einer allgemeinen vorhergehenden gnade/ nicht aber bloß etwas aus der natur noch uͤbriges. §. 7. Zwahr geben einige unſrer lehrer zu/ daß bey dem menſchen noch/ was anlangt die pædagogiam religionis, einige freyheit uͤbrig ſeye/ dahin ſie ſetzen/ den goͤttlichen bewegungen zu widerſtehen oder nicht zu widerſte- hen (wie D. Dannhauer thut Hodoſoph. Ph. 5. p. 446. dem ich nicht lengne/ etliche mal nachgeſprochen zu haben.) Es hat aber ſolches viele ſchwehrigkei- ten/ daher die vorerwehnte antwort und aufloͤſung der frage ſicherer iſt/ das menſchliche unvermoͤgen ſo viel kraͤfftiger vorſtellet/ hingegen die goͤttliche allgemeine gnade deſto herrlicher erhebet: die billig von uns allezeit hoch zu preiſen iſt. SECTIO XXV. Daß die wahre erkaͤntnuͤß und Theologie von dem rechtſchaffenen weſen in CHriſto ſich nicht tren- nen laſſe. Wie

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/188>, abgerufen am 21.11.2024.