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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Familie: Cyprinoidei.

Die Karausche mit ihren vielen Varietäten und Abarten bewohnt nur
stehendes Wasser, und zwar Seen mit versumpften Ufern und sogenannte todte
Arme grösserer Flüsse; aber auch kleinere Gewässer in Sümpfen und Mooren
werden von der Karausche als Aufenthalt vertragen, ja, sie findet sich sogar
hier und dort in den kleinsten Lachen und Tümpeln vor, welche bei der Ab-
lassung und Trockenlegung von Teichen und Weihern zurückbleiben. Es
deutet dies auf eine grosse Lebenszähigkeit der Karausche. Bei dieser Fähig-
keit, in dem verschiedenartigsten und sogar schlammigsten Wasser auszu-
dauern, sowie bei der Eigenthümlichkeit, sich mit den verschiedensten
schlammigen Nahrungsstoffen zu begnügen, weshalb die Karausche hier in
Bayern "Kothkarpfe, Kothbuckel, Kothscheberl" genannt wurde, konnte es
nicht ausbleiben, dass dieser Fisch sowohl im Freien wie in den künstlichen
Weihern und Teichen den mannichfaltigsten Abänderungen unterworfen war,
wobei in so verschiedenen Gewässern bald der Reichthum, bald der Mangel
an Nahrung auf die Ausbildung des Fisches seinen verändernden Einfluss
ausüben musste. Die Fischer haben die nahen Beziehungen der Karausche zu
ihren Varietäten wohl erkannt, worauf die Namen hinweisen, mit welchen die
letzteren als "Halbkarauschen, Steinkarauschen, Halbgareiseln, kleine Karau-
schen" vom Volke bezeichnet worden sind, auch ältere Ichthyologen, wie
Klein1) und Leske2) haben den Giebel nur als Artabänderung betrachtet,
während andere den Giebel als eine Bastardbildung von dem Karpfen und
der Karausche ansehen wollten, bis Bloch (a. a. O.) die mehr gestreckte Form
unter dem Namen Giebel (C. Gibelio) von der kurzen, hochrückigen Ka-
rausche (C. Carassius) als besondere Art trennte. Es konnte nicht ausblei-
ben, dass diejenigen Ichthyologen, welche diese Artunterschiede annahmen,
unter den übrigen Varietäten der Karausche noch andere Formen herausfanden,
die gleich dem Giebel berechtigt schienen, zu einer eigenen Art gestempelt zu
werden. Zwar wurde schon im Jahre 1838 von dem schwedischen Natur-
forscher Ekström3) nachgewiesen, dass der Giebel nichts anderes sei, als eine
in Teichen ausgeartete Karausche; derselbe unterschied beide Formen durch
die Bezeichnungen: Seekarausche und Teichkarausche. Allein trotz dem,
dass Ekström sehr überzeugende Gründe für seine Behauptung anführte, hat
seine Ansicht über die unverdiente Artberechtigung des Giebels doch nur
wenig Eingang bei den neueren Ichthyologen gefunden. Ich führe unter an-

1) S. dessen: Historiae piscium missus quintus. a. a. O. pag. 6. Tab. XI. Fig. 1. u. 2.
2) Vergl. dessen: Ichthyologiae Lipsiensis specimen. a. a. O. pag. 78 b u. pag. 79 b.
3) S. dessen: Beobachtungen über die Formveränderungen bei der Karausche, in den
Abhandlungen der schwedischen Akademie für das Jahr 1838, von Creplin übersetzt in
Oken's Isis 1840. pag. 145. Man vergleiche auch das von Wright, Fries und Ekström her-
ausgegebene vorzügliche Werk: Skandinaviens Fiskar (6tes Heft, Stockholm, 1840) Pl. 31.
Cyprinus Carassius und Pl. 32. Variet. B. Cyprinus Gibelio und pag. 71 des latein. Textes.
Familie: Cyprinoidei.

Die Karausche mit ihren vielen Varietäten und Abarten bewohnt nur
stehendes Wasser, und zwar Seen mit versumpften Ufern und sogenannte todte
Arme grösserer Flüsse; aber auch kleinere Gewässer in Sümpfen und Mooren
werden von der Karausche als Aufenthalt vertragen, ja, sie findet sich sogar
hier und dort in den kleinsten Lachen und Tümpeln vor, welche bei der Ab-
lassung und Trockenlegung von Teichen und Weihern zurückbleiben. Es
deutet dies auf eine grosse Lebenszähigkeit der Karausche. Bei dieser Fähig-
keit, in dem verschiedenartigsten und sogar schlammigsten Wasser auszu-
dauern, sowie bei der Eigenthümlichkeit, sich mit den verschiedensten
schlammigen Nahrungsstoffen zu begnügen, weshalb die Karausche hier in
Bayern »Kothkarpfe, Kothbuckel, Kothscheberl« genannt wurde, konnte es
nicht ausbleiben, dass dieser Fisch sowohl im Freien wie in den künstlichen
Weihern und Teichen den mannichfaltigsten Abänderungen unterworfen war,
wobei in so verschiedenen Gewässern bald der Reichthum, bald der Mangel
an Nahrung auf die Ausbildung des Fisches seinen verändernden Einfluss
ausüben musste. Die Fischer haben die nahen Beziehungen der Karausche zu
ihren Varietäten wohl erkannt, worauf die Namen hinweisen, mit welchen die
letzteren als »Halbkarauschen, Steinkarauschen, Halbgareiseln, kleine Karau-
schen« vom Volke bezeichnet worden sind, auch ältere Ichthyologen, wie
Klein1) und Leske2) haben den Giebel nur als Artabänderung betrachtet,
während andere den Giebel als eine Bastardbildung von dem Karpfen und
der Karausche ansehen wollten, bis Bloch (a. a. O.) die mehr gestreckte Form
unter dem Namen Giebel (C. Gibelio) von der kurzen, hochrückigen Ka-
rausche (C. Carassius) als besondere Art trennte. Es konnte nicht ausblei-
ben, dass diejenigen Ichthyologen, welche diese Artunterschiede annahmen,
unter den übrigen Varietäten der Karausche noch andere Formen herausfanden,
die gleich dem Giebel berechtigt schienen, zu einer eigenen Art gestempelt zu
werden. Zwar wurde schon im Jahre 1838 von dem schwedischen Natur-
forscher Ekström3) nachgewiesen, dass der Giebel nichts anderes sei, als eine
in Teichen ausgeartete Karausche; derselbe unterschied beide Formen durch
die Bezeichnungen: Seekarausche und Teichkarausche. Allein trotz dem,
dass Ekström sehr überzeugende Gründe für seine Behauptung anführte, hat
seine Ansicht über die unverdiente Artberechtigung des Giebels doch nur
wenig Eingang bei den neueren Ichthyologen gefunden. Ich führe unter an-

1) S. dessen: Historiae piscium missus quintus. a. a. O. pag. 6. Tab. XI. Fig. 1. u. 2.
2) Vergl. dessen: Ichthyologiae Lipsiensis specimen. a. a. O. pag. 78 b u. pag. 79 β.
3) S. dessen: Beobachtungen über die Formveränderungen bei der Karausche, in den
Abhandlungen der schwedischen Akademie für das Jahr 1838, von Creplin übersetzt in
Oken’s Isis 1840. pag. 145. Man vergleiche auch das von Wright, Fries und Ekström her-
ausgegebene vorzügliche Werk: Skandinaviens Fiskar (6tes Heft, Stockholm, 1840) Pl. 31.
Cyprinus Carassius und Pl. 32. Variet. B. Cyprinus Gibelio und pag. 71 des latein. Textes.
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[100/0113] Familie: Cyprinoidei. Die Karausche mit ihren vielen Varietäten und Abarten bewohnt nur stehendes Wasser, und zwar Seen mit versumpften Ufern und sogenannte todte Arme grösserer Flüsse; aber auch kleinere Gewässer in Sümpfen und Mooren werden von der Karausche als Aufenthalt vertragen, ja, sie findet sich sogar hier und dort in den kleinsten Lachen und Tümpeln vor, welche bei der Ab- lassung und Trockenlegung von Teichen und Weihern zurückbleiben. Es deutet dies auf eine grosse Lebenszähigkeit der Karausche. Bei dieser Fähig- keit, in dem verschiedenartigsten und sogar schlammigsten Wasser auszu- dauern, sowie bei der Eigenthümlichkeit, sich mit den verschiedensten schlammigen Nahrungsstoffen zu begnügen, weshalb die Karausche hier in Bayern »Kothkarpfe, Kothbuckel, Kothscheberl« genannt wurde, konnte es nicht ausbleiben, dass dieser Fisch sowohl im Freien wie in den künstlichen Weihern und Teichen den mannichfaltigsten Abänderungen unterworfen war, wobei in so verschiedenen Gewässern bald der Reichthum, bald der Mangel an Nahrung auf die Ausbildung des Fisches seinen verändernden Einfluss ausüben musste. Die Fischer haben die nahen Beziehungen der Karausche zu ihren Varietäten wohl erkannt, worauf die Namen hinweisen, mit welchen die letzteren als »Halbkarauschen, Steinkarauschen, Halbgareiseln, kleine Karau- schen« vom Volke bezeichnet worden sind, auch ältere Ichthyologen, wie Klein 1) und Leske 2) haben den Giebel nur als Artabänderung betrachtet, während andere den Giebel als eine Bastardbildung von dem Karpfen und der Karausche ansehen wollten, bis Bloch (a. a. O.) die mehr gestreckte Form unter dem Namen Giebel (C. Gibelio) von der kurzen, hochrückigen Ka- rausche (C. Carassius) als besondere Art trennte. Es konnte nicht ausblei- ben, dass diejenigen Ichthyologen, welche diese Artunterschiede annahmen, unter den übrigen Varietäten der Karausche noch andere Formen herausfanden, die gleich dem Giebel berechtigt schienen, zu einer eigenen Art gestempelt zu werden. Zwar wurde schon im Jahre 1838 von dem schwedischen Natur- forscher Ekström 3) nachgewiesen, dass der Giebel nichts anderes sei, als eine in Teichen ausgeartete Karausche; derselbe unterschied beide Formen durch die Bezeichnungen: Seekarausche und Teichkarausche. Allein trotz dem, dass Ekström sehr überzeugende Gründe für seine Behauptung anführte, hat seine Ansicht über die unverdiente Artberechtigung des Giebels doch nur wenig Eingang bei den neueren Ichthyologen gefunden. Ich führe unter an- 1) S. dessen: Historiae piscium missus quintus. a. a. O. pag. 6. Tab. XI. Fig. 1. u. 2. 2) Vergl. dessen: Ichthyologiae Lipsiensis specimen. a. a. O. pag. 78 b u. pag. 79 β. 3) S. dessen: Beobachtungen über die Formveränderungen bei der Karausche, in den Abhandlungen der schwedischen Akademie für das Jahr 1838, von Creplin übersetzt in Oken’s Isis 1840. pag. 145. Man vergleiche auch das von Wright, Fries und Ekström her- ausgegebene vorzügliche Werk: Skandinaviens Fiskar (6tes Heft, Stockholm, 1840) Pl. 31. Cyprinus Carassius und Pl. 32. Variet. B. Cyprinus Gibelio und pag. 71 des latein. Textes.

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/113>, abgerufen am 26.04.2024.