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Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

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Familie: Cyprinoidei.
während der Karpf immer eine sehr stark ausgeschnittene Schwanzflosse und
die Karausche eine nur sehr wenig ausgeschnittene Schwanzflosse besitzt.
Die Schuppen-Längsreihen der Karpfkarausche sind sowohl oberhalb wie un-
terhalb der Seitenlinie im Vergleich zu den Schuppenreihen des Karpfen mei-
stens um eine Reihe vermehrt und im Vergleich zu den Schuppenreihen der
Karausche um eine Reihe vermindert. Am deutlichsten trägt das Zahnsystem
des C. Kollarii die Vermischung der dreireihigen Zahnformel des Karpfen mit
der einreihigen Zahnformel der Karausche an sich, indem dasselbe aus zwei
Zahnreihen besteht, von denen die innere Reihe in Zahl und Form der Zähne
ganz mit der Zahnformel der Karausche übereinstimmt, zu welcher aber noch
als zweite Zahnreihe nach aussen ein einzeln stehender kleiner Zahn wahr-
scheinlich unter dem Einflusse des Cypr. Carpio hinzugekommen ist. Bei
einzelnen Individuen der von mir untersuchten Karpfkarauschen ist der Ein-
fluss der Karausche und des Karpfen noch dadurch zu einer besonderen Geltung
gekommen, dass in zwei Fällen die Einwirkung der Karausche auf dem rechten
Schlundknochen den äusseren kleinen Zahn gänzlich verdrängt, und in einem
dritten Falle unter dem Einflusse des Karpfen der linke Schlundknochen als
dritte Zahnreihe noch einen kleinen Zahn erhalten hatte. Noch stärker hat
sich der Einfluss des Karpfen bei dem oben erwähnten mit der Zahnformel
1. 1. 4 ausgestatteten Individuum geltend gemacht. Dergleichen Abweichun-
gen und Unbeständigkeiten in der Zahl und Anordnung der Zähne sind
auch von Dybowski (a. a. O.) bei diesem Blendling beobachtet worden.

Höchst überrascht wurde ich im Frühjahr 1862 durch eine eigenthüm-
liche Karpfenform, welche in grosser Anzahl aus einem in der Nähe von
Schwandorf gelegenen Karpfenteich der Oberpfalz nach München gebracht
war, um zu einem sehr niedrigen Preise verschleudert zu werden, weil diese
Fische keine echten Karpfen, sondern bastardartige, den Gareiseln (Karau-
schen) sehr nahestehende Halbfische darstellen sollten. Zu meinem grössten
Bedauern habe ich von diesen sogenannten Halbfischen nur fünf Exemplare
habhaft werden können, von denen vier Individuen eine Länge von 73/4 Zoll
und ein Individuum eine Länge von 12 Zoll besassen. Bei der ersten flüchtigen
Betrachtung schienen diese Fische der Spiegelkarpfen-Form anzugehören, da
sie ausser den sehr grossen Schuppen längs der Seitenlinien und ausser den
ganz nackten Hautstellen ober- und unterhalb der Seitenlinie zugleich einen
nach rückwärts sehr grob gesägten vorderen Knochenstrahl in der Rücken-
und Afterflosse, sowie eine tief halbmondförmig ausgeschnittene Schwanzflosse
an sich trugen. Bei näherer Untersuchung ergaben sich aber auffallende
Abweichungen von der gewöhnlichen Form der als Spiegelkarpf bekannten
Varietät des C. Carpio. Die Lippen waren sehr mager, und die vier Bartfäden
an denselben auffallend verkümmert. Bei einem Individuum war nur ein ein-
ziger dünner und kurzer Bartfaden an dem rechten Mundwinkel vorhanden,

Familie: Cyprinoidei.
während der Karpf immer eine sehr stark ausgeschnittene Schwanzflosse und
die Karausche eine nur sehr wenig ausgeschnittene Schwanzflosse besitzt.
Die Schuppen-Längsreihen der Karpfkarausche sind sowohl oberhalb wie un-
terhalb der Seitenlinie im Vergleich zu den Schuppenreihen des Karpfen mei-
stens um eine Reihe vermehrt und im Vergleich zu den Schuppenreihen der
Karausche um eine Reihe vermindert. Am deutlichsten trägt das Zahnsystem
des C. Kollarii die Vermischung der dreireihigen Zahnformel des Karpfen mit
der einreihigen Zahnformel der Karausche an sich, indem dasselbe aus zwei
Zahnreihen besteht, von denen die innere Reihe in Zahl und Form der Zähne
ganz mit der Zahnformel der Karausche übereinstimmt, zu welcher aber noch
als zweite Zahnreihe nach aussen ein einzeln stehender kleiner Zahn wahr-
scheinlich unter dem Einflusse des Cypr. Carpio hinzugekommen ist. Bei
einzelnen Individuen der von mir untersuchten Karpfkarauschen ist der Ein-
fluss der Karausche und des Karpfen noch dadurch zu einer besonderen Geltung
gekommen, dass in zwei Fällen die Einwirkung der Karausche auf dem rechten
Schlundknochen den äusseren kleinen Zahn gänzlich verdrängt, und in einem
dritten Falle unter dem Einflusse des Karpfen der linke Schlundknochen als
dritte Zahnreihe noch einen kleinen Zahn erhalten hatte. Noch stärker hat
sich der Einfluss des Karpfen bei dem oben erwähnten mit der Zahnformel
1. 1. 4 ausgestatteten Individuum geltend gemacht. Dergleichen Abweichun-
gen und Unbeständigkeiten in der Zahl und Anordnung der Zähne sind
auch von Dybowski (a. a. O.) bei diesem Blendling beobachtet worden.

Höchst überrascht wurde ich im Frühjahr 1862 durch eine eigenthüm-
liche Karpfenform, welche in grosser Anzahl aus einem in der Nähe von
Schwandorf gelegenen Karpfenteich der Oberpfalz nach München gebracht
war, um zu einem sehr niedrigen Preise verschleudert zu werden, weil diese
Fische keine echten Karpfen, sondern bastardartige, den Gareiseln (Karau-
schen) sehr nahestehende Halbfische darstellen sollten. Zu meinem grössten
Bedauern habe ich von diesen sogenannten Halbfischen nur fünf Exemplare
habhaft werden können, von denen vier Individuen eine Länge von 7¾ Zoll
und ein Individuum eine Länge von 12 Zoll besassen. Bei der ersten flüchtigen
Betrachtung schienen diese Fische der Spiegelkarpfen-Form anzugehören, da
sie ausser den sehr grossen Schuppen längs der Seitenlinien und ausser den
ganz nackten Hautstellen ober- und unterhalb der Seitenlinie zugleich einen
nach rückwärts sehr grob gesägten vorderen Knochenstrahl in der Rücken-
und Afterflosse, sowie eine tief halbmondförmig ausgeschnittene Schwanzflosse
an sich trugen. Bei näherer Untersuchung ergaben sich aber auffallende
Abweichungen von der gewöhnlichen Form der als Spiegelkarpf bekannten
Varietät des C. Carpio. Die Lippen waren sehr mager, und die vier Bartfäden
an denselben auffallend verkümmert. Bei einem Individuum war nur ein ein-
ziger dünner und kurzer Bartfaden an dem rechten Mundwinkel vorhanden,

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[96/0109] Familie: Cyprinoidei. während der Karpf immer eine sehr stark ausgeschnittene Schwanzflosse und die Karausche eine nur sehr wenig ausgeschnittene Schwanzflosse besitzt. Die Schuppen-Längsreihen der Karpfkarausche sind sowohl oberhalb wie un- terhalb der Seitenlinie im Vergleich zu den Schuppenreihen des Karpfen mei- stens um eine Reihe vermehrt und im Vergleich zu den Schuppenreihen der Karausche um eine Reihe vermindert. Am deutlichsten trägt das Zahnsystem des C. Kollarii die Vermischung der dreireihigen Zahnformel des Karpfen mit der einreihigen Zahnformel der Karausche an sich, indem dasselbe aus zwei Zahnreihen besteht, von denen die innere Reihe in Zahl und Form der Zähne ganz mit der Zahnformel der Karausche übereinstimmt, zu welcher aber noch als zweite Zahnreihe nach aussen ein einzeln stehender kleiner Zahn wahr- scheinlich unter dem Einflusse des Cypr. Carpio hinzugekommen ist. Bei einzelnen Individuen der von mir untersuchten Karpfkarauschen ist der Ein- fluss der Karausche und des Karpfen noch dadurch zu einer besonderen Geltung gekommen, dass in zwei Fällen die Einwirkung der Karausche auf dem rechten Schlundknochen den äusseren kleinen Zahn gänzlich verdrängt, und in einem dritten Falle unter dem Einflusse des Karpfen der linke Schlundknochen als dritte Zahnreihe noch einen kleinen Zahn erhalten hatte. Noch stärker hat sich der Einfluss des Karpfen bei dem oben erwähnten mit der Zahnformel 1. 1. 4 ausgestatteten Individuum geltend gemacht. Dergleichen Abweichun- gen und Unbeständigkeiten in der Zahl und Anordnung der Zähne sind auch von Dybowski (a. a. O.) bei diesem Blendling beobachtet worden. Höchst überrascht wurde ich im Frühjahr 1862 durch eine eigenthüm- liche Karpfenform, welche in grosser Anzahl aus einem in der Nähe von Schwandorf gelegenen Karpfenteich der Oberpfalz nach München gebracht war, um zu einem sehr niedrigen Preise verschleudert zu werden, weil diese Fische keine echten Karpfen, sondern bastardartige, den Gareiseln (Karau- schen) sehr nahestehende Halbfische darstellen sollten. Zu meinem grössten Bedauern habe ich von diesen sogenannten Halbfischen nur fünf Exemplare habhaft werden können, von denen vier Individuen eine Länge von 7¾ Zoll und ein Individuum eine Länge von 12 Zoll besassen. Bei der ersten flüchtigen Betrachtung schienen diese Fische der Spiegelkarpfen-Form anzugehören, da sie ausser den sehr grossen Schuppen längs der Seitenlinien und ausser den ganz nackten Hautstellen ober- und unterhalb der Seitenlinie zugleich einen nach rückwärts sehr grob gesägten vorderen Knochenstrahl in der Rücken- und Afterflosse, sowie eine tief halbmondförmig ausgeschnittene Schwanzflosse an sich trugen. Bei näherer Untersuchung ergaben sich aber auffallende Abweichungen von der gewöhnlichen Form der als Spiegelkarpf bekannten Varietät des C. Carpio. Die Lippen waren sehr mager, und die vier Bartfäden an denselben auffallend verkümmert. Bei einem Individuum war nur ein ein- ziger dünner und kurzer Bartfaden an dem rechten Mundwinkel vorhanden,

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Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/109>, abgerufen am 26.04.2024.