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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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"Mylord,

"Ganz Europa weiss, dass Sie ein alter Geck sind,
an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur
dreyssig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre
ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie
sie Leute von Ehre zu fordern berechtiget sind. Aber
davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann,
wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Ver¬
mögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie
sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen,
meine Verachtung."

Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über
die Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt
seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte
das Blatt, das ich Dir gebe. Das lang gestreckte Schwein,
die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbro¬
chenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der
Krummstab, der grosse antike Weinkrug, der an dem
Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf
und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahr¬
heit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe lässt noch
kein Mädchen ruhig.

Auch seines Lebens letzten Rest
Beschäftigt noch Lucinde;
Wenn ihn die Sünde schon verlässt,
Verlässt er nicht die Sünde.
Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren
Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herum lief,
und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwe¬

„Mylord,

„Ganz Europa weiſs, daſs Sie ein alter Geck sind,
an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur
dreyſsig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre
ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie
sie Leute von Ehre zu fordern berechtiget sind. Aber
davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann,
wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Ver¬
mögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie
sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen,
meine Verachtung.“

Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über
die Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt
seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte
das Blatt, das ich Dir gebe. Das lang gestreckte Schwein,
die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbro¬
chenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der
Krummstab, der groſse antike Weinkrug, der an dem
Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf
und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahr¬
heit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe läſst noch
kein Mädchen ruhig.

Auch seines Lebens letzten Rest
Beschäftigt noch Lucinde;
Wenn ihn die Sünde schon verläſst,
Verläſst er nicht die Sünde.
Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren
Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herum lief,
und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwe¬

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[382 /0410] „Mylord, „Ganz Europa weiſs, daſs Sie ein alter Geck sind, an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreyſsig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern berechtiget sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Ver¬ mögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen, meine Verachtung.“ Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir gebe. Das lang gestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbro¬ chenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der Krummstab, der groſse antike Weinkrug, der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahr¬ heit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe läſst noch kein Mädchen ruhig. Auch seines Lebens letzten Rest Beschäftigt noch Lucinde; Wenn ihn die Sünde schon verläſst, Verläſst er nicht die Sünde. Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herum lief, und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwe¬

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 382 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/410>, abgerufen am 27.04.2024.