Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬
gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig
possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine
persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬
phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬
genehme Reminiscenzen meiner übergrossen Seligkeit,
wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der
kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und
wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem
Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden
in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬
kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin
zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches
Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬
liche Mittel.

Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als
man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬
de verdankst Du, dass ich Dir nicht auch noch seine
Hexe oder sein Erntefest bringe.



Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende
meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬
manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬
streichen; das kann in einigen Tagen geschehen.
Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar
wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel

Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬
gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig
possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine
persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬
phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬
genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit,
wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der
kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und
wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem
Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden
in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬
kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin
zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches
Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬
liche Mittel.

Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als
man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬
de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine
Hexe oder sein Erntefest bringe.



Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende
meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬
manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬
streichen; das kann in einigen Tagen geschehen.
Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar
wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0233" n="207"/>
Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬<lb/>
gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig<lb/>
possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine<lb/>
persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬<lb/>
phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬<lb/>
genehme Reminiscenzen meiner übergro&#x017F;sen Seligkeit,<lb/>
wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der<lb/>
kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und<lb/>
wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem<lb/>
Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden<lb/>
in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬<lb/>
kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin<lb/>
zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches<lb/>
Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬<lb/>
liche Mittel.</p><lb/>
        <p>Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als<lb/>
man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬<lb/>
de verdankst Du, da&#x017F;s ich Dir nicht auch noch seine<lb/>
Hexe oder sein Erntefest bringe.</p><lb/>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Agrigent</hi>.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>iehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende<lb/>
meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬<lb/>
manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe<lb/>
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬<lb/>
streichen; das kann in einigen Tagen geschehen.<lb/>
Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar<lb/>
wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0233] Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬ gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬ phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬ genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit, wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬ kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬ liche Mittel. Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬ de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe. Agrigent. Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬ manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬ streichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/233
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/233>, abgerufen am 22.12.2024.