Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬ gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬ phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬ genehme Reminiscenzen meiner übergrossen Seligkeit, wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬ kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬ liche Mittel.
Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬ de verdankst Du, dass ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe.
Agrigent.
Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬ manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬ streichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬ gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬ phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬ genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit, wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬ kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬ liche Mittel.
Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬ de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe.
Agrigent.
Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬ manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬ streichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
<TEI><text><body><div><p><pbfacs="#f0233"n="207"/>
Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬<lb/>
gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig<lb/>
possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine<lb/>
persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬<lb/>
phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬<lb/>
genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit,<lb/>
wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der<lb/>
kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und<lb/>
wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem<lb/>
Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden<lb/>
in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬<lb/>
kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin<lb/>
zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches<lb/>
Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬<lb/>
liche Mittel.</p><lb/><p>Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als<lb/>
man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬<lb/>
de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine<lb/>
Hexe oder sein Erntefest bringe.</p><lb/></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/><div><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#g">Agrigent</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">S</hi>iehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende<lb/>
meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬<lb/>
manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe<lb/>
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬<lb/>
streichen; das kann in einigen Tagen geschehen.<lb/>
Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar<lb/>
wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel<lb/></p></div></body></text></TEI>
[207/0233]
Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬
gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig
possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine
persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬
phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬
genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit,
wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der
kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und
wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem
Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden
in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬
kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin
zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches
Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬
liche Mittel.
Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als
man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬
de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine
Hexe oder sein Erntefest bringe.
Agrigent.
Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende
meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬
manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬
streichen; das kann in einigen Tagen geschehen.
Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar
wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/233>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.