Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege
in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬
gend immer nach Rimini herunter. Bloss von Bologn
bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse.
Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt
waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In
Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich
kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken,
wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬
hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und
zog in bunten Gruppen in den Strassen herum. Nur
hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬
ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu.
Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬
was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬
dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht
auf dem Rücken, ein grosser schwerer Knotenstock in
der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des
Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich
mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche
Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬
haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit;
einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬
lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich
trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬
kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬
becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut
als Helm hätte brauchen können; und ein anderes


Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege
in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬
gend immer nach Rimini herunter. Bloſs von Bologn
bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse.
Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt
waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In
Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich
kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken,
wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬
hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und
zog in bunten Gruppen in den Straſsen herum. Nur
hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬
ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu.
Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬
was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬
dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht
auf dem Rücken, ein groſser schwerer Knotenstock in
der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des
Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich
mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche
Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬
haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit;
einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬
lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich
trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬
kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬
becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut
als Helm hätte brauchen können; und ein anderes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0145" n="[119]"/>
      <div>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Ankona</hi>.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">V</hi>on Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege<lb/>
in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬<lb/>
gend immer nach Rimini herunter. Blo&#x017F;s von Bologn<lb/>
bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse.<lb/>
Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt<lb/>
waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In<lb/>
Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich<lb/>
kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken,<lb/>
wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬<lb/>
hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und<lb/>
zog in bunten Gruppen in den Stra&#x017F;sen herum. Nur<lb/>
hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬<lb/>
ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu.<lb/>
Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬<lb/>
was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬<lb/>
dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht<lb/>
auf dem Rücken, ein gro&#x017F;ser schwerer Knotenstock in<lb/>
der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des<lb/>
Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich<lb/>
mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche<lb/>
Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬<lb/>
haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit;<lb/>
einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬<lb/>
lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich<lb/>
trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬<lb/>
kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬<lb/>
becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut<lb/>
als Helm hätte brauchen können; und ein anderes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[119]/0145] Ankona. Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬ gend immer nach Rimini herunter. Bloſs von Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬ hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Straſsen herum. Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬ ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬ was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬ dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein groſser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬ haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬ lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬ kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬ becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein anderes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/145
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [119]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/145>, abgerufen am 22.12.2024.