Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Semper, Karl: Die Philippinen und ihre Bewohner. Sechs Skizzen. Würzburg, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VI.
Die neueste christliche Zeit.

Es blieb also das einheimische Clanwesen die Grundlage der neuen socialen Ordnung. Durch die Zwischenstufe der europäischen Priesterclasse, die sich rasch über alle Dörfer verbreitete, und deren einzelne Mitglieder an die Stelle der früheren heidnischen Fürsten--der bagani's oder reyezuelo's--getreten waren, wurde das eines gemeinsamen natürlichen Bandes bis dahin entbehrende Leben der Bewohner in sehr künstlicher Weise mit dem fremden Staate verknüpft. Während in dem Verhältniss der unteren, die eigentliche Bevölkerung bildenden Classen zu einander keine oder nur eine sehr unbedeutende Veränderung eintrat, blieb die Beziehung zwischen den Gouverneuren des Landes und ihren Untergebenen eine so lockere, der ganze Schematismus der Verwaltung der Colonie dem einheimischen Verstande so unverständlich und fremd, dass sich dabei kein allgemein verbreiteter würdiger Bürgersinn ausbilden konnte. Es war dies aus verschiedenen Gründen unmöglich. Nach unten hin bekümmerten sich der militairische Gouverneur und der juristische Alcalde gar nicht weiter um das Volk, weil ihnen einestheils die Grenzen ihrer Thätigkeit von Spanien aus zu eng gezogen waren und sie andererseits sich in ihrem Verkehr mit den Bewohnern bis in die neueste Zeit hinein immer der Mönche bedienen mussten. Diese aber suchten gegen die Angriffe von oben her vor Allem ihre Gerechtsame, theils die persönlichen der Priester des Dorfes, theils die des Mönchsordens, dem sie angehörten, zu vertheidigen; während

VI.
Die neueste christliche Zeit.

Es blieb also das einheimische Clanwesen die Grundlage der neuen socialen Ordnung. Durch die Zwischenstufe der europäischen Priesterclasse, die sich rasch über alle Dörfer verbreitete, und deren einzelne Mitglieder an die Stelle der früheren heidnischen Fürsten—der bagani’s oder reyezuelo’s—getreten waren, wurde das eines gemeinsamen natürlichen Bandes bis dahin entbehrende Leben der Bewohner in sehr künstlicher Weise mit dem fremden Staate verknüpft. Während in dem Verhältniss der unteren, die eigentliche Bevölkerung bildenden Classen zu einander keine oder nur eine sehr unbedeutende Veränderung eintrat, blieb die Beziehung zwischen den Gouverneuren des Landes und ihren Untergebenen eine so lockere, der ganze Schematismus der Verwaltung der Colonie dem einheimischen Verstande so unverständlich und fremd, dass sich dabei kein allgemein verbreiteter würdiger Bürgersinn ausbilden konnte. Es war dies aus verschiedenen Gründen unmöglich. Nach unten hin bekümmerten sich der militairische Gouverneur und der juristische Alcalde gar nicht weiter um das Volk, weil ihnen einestheils die Grenzen ihrer Thätigkeit von Spanien aus zu eng gezogen waren und sie andererseits sich in ihrem Verkehr mit den Bewohnern bis in die neueste Zeit hinein immer der Mönche bedienen mussten. Diese aber suchten gegen die Angriffe von oben her vor Allem ihre Gerechtsame, theils die persönlichen der Priester des Dorfes, theils die des Mönchsordens, dem sie angehörten, zu vertheidigen; während

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0079" n="79"/>
        </p>
      </div>
      <div n="1">
        <head>VI.</head><lb/>
        <head>Die neueste christliche Zeit.</head><lb/>
        <p>Es blieb also das einheimische Clanwesen die Grundlage der neuen socialen
                     Ordnung. Durch die Zwischenstufe der europäischen Priesterclasse, die sich
                     rasch über alle Dörfer verbreitete, und deren einzelne Mitglieder an
                     die Stelle der früheren heidnischen Fürsten&#x2014;der bagani&#x2019;s
                     oder reyezuelo&#x2019;s&#x2014;getreten waren, wurde das eines gemeinsamen
                     natürlichen Bandes bis dahin entbehrende Leben der Bewohner in sehr
                     künstlicher Weise mit dem fremden Staate verknüpft. Während in
                     dem Verhältniss der unteren, die eigentliche Bevölkerung bildenden
                     Classen zu einander keine oder nur eine sehr unbedeutende Veränderung
                     eintrat, blieb die Beziehung zwischen den Gouverneuren des Landes und ihren
                     Untergebenen eine so lockere, der ganze Schematismus der Verwaltung der Colonie
                     dem einheimischen Verstande so unverständlich und fremd, dass sich dabei
                     kein allgemein verbreiteter würdiger Bürgersinn ausbilden konnte. Es
                     war dies aus verschiedenen Gründen unmöglich. Nach unten hin
                     bekümmerten sich der militairische Gouverneur und der juristische Alcalde
                     gar nicht weiter um das Volk, weil ihnen einestheils die Grenzen ihrer
                     Thätigkeit von Spanien aus zu eng gezogen waren und sie andererseits sich
                     in ihrem Verkehr mit den Bewohnern bis in die neueste Zeit hinein immer der
                     Mönche bedienen mussten. Diese aber suchten gegen die Angriffe von oben her
                     vor Allem ihre Gerechtsame, theils die persönlichen der Priester des
                     Dorfes, theils die des Mönchsordens, dem sie angehörten, zu
                     vertheidigen; während
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0079] VI. Die neueste christliche Zeit. Es blieb also das einheimische Clanwesen die Grundlage der neuen socialen Ordnung. Durch die Zwischenstufe der europäischen Priesterclasse, die sich rasch über alle Dörfer verbreitete, und deren einzelne Mitglieder an die Stelle der früheren heidnischen Fürsten—der bagani’s oder reyezuelo’s—getreten waren, wurde das eines gemeinsamen natürlichen Bandes bis dahin entbehrende Leben der Bewohner in sehr künstlicher Weise mit dem fremden Staate verknüpft. Während in dem Verhältniss der unteren, die eigentliche Bevölkerung bildenden Classen zu einander keine oder nur eine sehr unbedeutende Veränderung eintrat, blieb die Beziehung zwischen den Gouverneuren des Landes und ihren Untergebenen eine so lockere, der ganze Schematismus der Verwaltung der Colonie dem einheimischen Verstande so unverständlich und fremd, dass sich dabei kein allgemein verbreiteter würdiger Bürgersinn ausbilden konnte. Es war dies aus verschiedenen Gründen unmöglich. Nach unten hin bekümmerten sich der militairische Gouverneur und der juristische Alcalde gar nicht weiter um das Volk, weil ihnen einestheils die Grenzen ihrer Thätigkeit von Spanien aus zu eng gezogen waren und sie andererseits sich in ihrem Verkehr mit den Bewohnern bis in die neueste Zeit hinein immer der Mönche bedienen mussten. Diese aber suchten gegen die Angriffe von oben her vor Allem ihre Gerechtsame, theils die persönlichen der Priester des Dorfes, theils die des Mönchsordens, dem sie angehörten, zu vertheidigen; während

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2012-11-06T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
gutenberg.org: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-06T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-06T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Die Transkription enspricht den DTA-Richtlinien.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/semper_philippinen_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/semper_philippinen_1869/79
Zitationshilfe: Semper, Karl: Die Philippinen und ihre Bewohner. Sechs Skizzen. Würzburg, 1869, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semper_philippinen_1869/79>, abgerufen am 21.12.2024.