Joseph Steiner, ein Candidat der Chirurgie und mein Schüler in den theoretischen Vorträgen der Geburtshilfe, schrieb mir unter ddo. Pest, den 30. März 1858 folgenden Brief:
"Euer Hochwohlgeboren Herr Professor!
"Durchdrungen von der Wahrheit Ihrer Vorträge über Puerperalfieber, welche ich zu besuchen im Laufe des Win- tersemesters das Glück hatte, fühle ich mich veranlasst, Muth- massungen hier anzuführen, in wieferne es möglich ist, dass auch an der Gratzer Gebäranstalt Infectionen aller Art statt- finden konnten.
"Als ich in Gratz das erste Jahr Chirurgie hörte, war im allgemeinen Krankenhause ein Gasthaus, welches die Verpfle- gung der Kranken versah, und auch der Sammelplatz aller Studirenden war; später aber ging die Leitung der Küche in die der barmherzigen Schwestern über, und das Gasthaus wurde entfernt. Die Studirenden mussten daher den Sections- saal als den Ort ihrer Zusammenkunft wählen, der Sections- saal war somit jener Ort, wo sich Collegen trafen, und wo sie gemeinschaftlich die Zeit abwarteten, um zu den verschie- denen Vorlesungen zu gehen. Nachmittags müssen die Studi- renden des I. Jahrganges seciren, für welche das Seciren obligat ist, die Studirenden der anderen Jahrgänge hingegen und die Rigorosanten sollten der Verordnung gemäss auch praepariren, doch kommen diese nur, um den Anfängern zu zeigen, wie sie zu praepariren haben, die Rigorosanten sind daher fleissige Besucher des Sectionssaales, und unterlassen es auch nicht, die Anfänger in allen Zweigen der Anatomie zu unterweisen, bis sie von der Zeit abberufen, die einen sich für das Rigorosum vorbereiten, die andern aber ihre Inspec- tion im Gebärhause fortsetzen. Was die letzteren betrifft, so waren diese stets die fleissigsten Besucher des Sectionssaales, indem das Gebärhaus nur durch eine Strasse vom Kranken- haus getrennt ist, es ist den Inspectionirenden daher nicht zu verargen, wenn sie anstatt 24 Stunden nacheinander im Ge-
Joseph Steiner, ein Candidat der Chirurgie und mein Schüler in den theoretischen Vorträgen der Geburtshilfe, schrieb mir unter ddo. Pest, den 30. März 1858 folgenden Brief:
»Euer Hochwohlgeboren Herr Professor!
»Durchdrungen von der Wahrheit Ihrer Vorträge über Puerperalfieber, welche ich zu besuchen im Laufe des Win- tersemesters das Glück hatte, fühle ich mich veranlasst, Muth- massungen hier anzuführen, in wieferne es möglich ist, dass auch an der Gratzer Gebäranstalt Infectionen aller Art statt- finden konnten.
»Als ich in Gratz das erste Jahr Chirurgie hörte, war im allgemeinen Krankenhause ein Gasthaus, welches die Verpfle- gung der Kranken versah, und auch der Sammelplatz aller Studirenden war; später aber ging die Leitung der Küche in die der barmherzigen Schwestern über, und das Gasthaus wurde entfernt. Die Studirenden mussten daher den Sections- saal als den Ort ihrer Zusammenkunft wählen, der Sections- saal war somit jener Ort, wo sich Collegen trafen, und wo sie gemeinschaftlich die Zeit abwarteten, um zu den verschie- denen Vorlesungen zu gehen. Nachmittags müssen die Studi- renden des I. Jahrganges seciren, für welche das Seciren obligat ist, die Studirenden der anderen Jahrgänge hingegen und die Rigorosanten sollten der Verordnung gemäss auch praepariren, doch kommen diese nur, um den Anfängern zu zeigen, wie sie zu praepariren haben, die Rigorosanten sind daher fleissige Besucher des Sectionssaales, und unterlassen es auch nicht, die Anfänger in allen Zweigen der Anatomie zu unterweisen, bis sie von der Zeit abberufen, die einen sich für das Rigorosum vorbereiten, die andern aber ihre Inspec- tion im Gebärhause fortsetzen. Was die letzteren betrifft, so waren diese stets die fleissigsten Besucher des Sectionssaales, indem das Gebärhaus nur durch eine Strasse vom Kranken- haus getrennt ist, es ist den Inspectionirenden daher nicht zu verargen, wenn sie anstatt 24 Stunden nacheinander im Ge-
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[410/0422]
Joseph Steiner, ein Candidat der Chirurgie und mein
Schüler in den theoretischen Vorträgen der Geburtshilfe,
schrieb mir unter ddo. Pest, den 30. März 1858 folgenden Brief:
»Euer Hochwohlgeboren Herr Professor!
»Durchdrungen von der Wahrheit Ihrer Vorträge über
Puerperalfieber, welche ich zu besuchen im Laufe des Win-
tersemesters das Glück hatte, fühle ich mich veranlasst, Muth-
massungen hier anzuführen, in wieferne es möglich ist, dass
auch an der Gratzer Gebäranstalt Infectionen aller Art statt-
finden konnten.
»Als ich in Gratz das erste Jahr Chirurgie hörte, war im
allgemeinen Krankenhause ein Gasthaus, welches die Verpfle-
gung der Kranken versah, und auch der Sammelplatz aller
Studirenden war; später aber ging die Leitung der Küche in
die der barmherzigen Schwestern über, und das Gasthaus
wurde entfernt. Die Studirenden mussten daher den Sections-
saal als den Ort ihrer Zusammenkunft wählen, der Sections-
saal war somit jener Ort, wo sich Collegen trafen, und wo
sie gemeinschaftlich die Zeit abwarteten, um zu den verschie-
denen Vorlesungen zu gehen. Nachmittags müssen die Studi-
renden des I. Jahrganges seciren, für welche das Seciren
obligat ist, die Studirenden der anderen Jahrgänge hingegen
und die Rigorosanten sollten der Verordnung gemäss auch
praepariren, doch kommen diese nur, um den Anfängern zu
zeigen, wie sie zu praepariren haben, die Rigorosanten sind
daher fleissige Besucher des Sectionssaales, und unterlassen
es auch nicht, die Anfänger in allen Zweigen der Anatomie
zu unterweisen, bis sie von der Zeit abberufen, die einen sich
für das Rigorosum vorbereiten, die andern aber ihre Inspec-
tion im Gebärhause fortsetzen. Was die letzteren betrifft, so
waren diese stets die fleissigsten Besucher des Sectionssaales,
indem das Gebärhaus nur durch eine Strasse vom Kranken-
haus getrennt ist, es ist den Inspectionirenden daher nicht zu
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Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/semmelweis_kindbettfieber_1861/422>, abgerufen am 21.11.2024.
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