Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Odysseus entdeckt sich den guten Hirten.

Nun geschah es, daß sich beim Hinausgehen aus
dem Palaste der Rinderhirt und der Sauhirt begegneten,
und ihnen folgte auf dem Fuße der Held Odysseus. Als
sie Pforte und Vorhof hinter sich hatten, holte er jene
ein, und sprach zu ihnen leise und vertraulich: "Ihr
Freunde, ich möchte wohl ein Wort mit euch reden,
wenn ich mich auf euch verlassen kann; sonst schwiege
ich lieber. Wie wär' es, wenn den Odysseus jetzt plötz¬
lich ein Gott aus der Fremde zurückführte? würdet ihr
die Freier vertheidigen, oder ihn? redet unverhohlen, ganz
wie es euch ums Herz ist." "O Jupiter im Olymp,"
rief der Rinderhirt zuerst, "wenn mir dieser Wunsch ge¬
währt würde, wenn der Held käme! du solltest sehen,
wie sich meine Arme regen würden!" Ebenso flehte
Eumäus zu allen Göttern, daß sie dem Odysseus Heim¬
kehr verleihen möchten.

Als nun dieser ihres Herzens Gesinnung erkannt
hatte, da sprach er: "Nun denn, ihr Kinder, so ver¬
nehmt's: ich selber bin Odysseus! Nach unsäglichen
Leiden komme ich im zwanzigsten Jahr zurück in meine
Heimath, und ich sehe, daß ich euch beiden willkommen
bin, euch allein unter allem Gesinde; denn keinen unter
Allen hörte ich jemals um meine Wiederkehr zu den
Göttern flehen. Dafür will ich auch jedem von euch,
wenn ich die Freier bezwungen habe, ein Weib geben,
Aecker schenken, Häuser bauen, ganz nahe bei meinem

Odyſſeus entdeckt ſich den guten Hirten.

Nun geſchah es, daß ſich beim Hinausgehen aus
dem Palaſte der Rinderhirt und der Sauhirt begegneten,
und ihnen folgte auf dem Fuße der Held Odyſſeus. Als
ſie Pforte und Vorhof hinter ſich hatten, holte er jene
ein, und ſprach zu ihnen leiſe und vertraulich: „Ihr
Freunde, ich möchte wohl ein Wort mit euch reden,
wenn ich mich auf euch verlaſſen kann; ſonſt ſchwiege
ich lieber. Wie wär' es, wenn den Odyſſeus jetzt plötz¬
lich ein Gott aus der Fremde zurückführte? würdet ihr
die Freier vertheidigen, oder ihn? redet unverhohlen, ganz
wie es euch ums Herz iſt.“ „O Jupiter im Olymp,“
rief der Rinderhirt zuerſt, „wenn mir dieſer Wunſch ge¬
währt würde, wenn der Held käme! du ſollteſt ſehen,
wie ſich meine Arme regen würden!“ Ebenſo flehte
Eumäus zu allen Göttern, daß ſie dem Odyſſeus Heim¬
kehr verleihen möchten.

Als nun dieſer ihres Herzens Geſinnung erkannt
hatte, da ſprach er: „Nun denn, ihr Kinder, ſo ver¬
nehmt's: ich ſelber bin Odyſſeus! Nach unſäglichen
Leiden komme ich im zwanzigſten Jahr zurück in meine
Heimath, und ich ſehe, daß ich euch beiden willkommen
bin, euch allein unter allem Geſinde; denn keinen unter
Allen hörte ich jemals um meine Wiederkehr zu den
Göttern flehen. Dafür will ich auch jedem von euch,
wenn ich die Freier bezwungen habe, ein Weib geben,
Aecker ſchenken, Häuſer bauen, ganz nahe bei meinem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0276" n="254"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Ody&#x017F;&#x017F;eus entdeckt &#x017F;ich den guten Hirten.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Nun ge&#x017F;chah es, daß &#x017F;ich beim Hinausgehen aus<lb/>
dem Pala&#x017F;te der Rinderhirt und der Sauhirt begegneten,<lb/>
und ihnen folgte auf dem Fuße der Held Ody&#x017F;&#x017F;eus. Als<lb/>
&#x017F;ie Pforte und Vorhof hinter &#x017F;ich hatten, holte er jene<lb/>
ein, und &#x017F;prach zu ihnen lei&#x017F;e und vertraulich: &#x201E;Ihr<lb/>
Freunde, ich möchte wohl ein Wort mit euch reden,<lb/>
wenn ich mich auf euch verla&#x017F;&#x017F;en kann; &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;chwiege<lb/>
ich lieber. Wie wär' es, wenn den Ody&#x017F;&#x017F;eus jetzt plötz¬<lb/>
lich ein Gott aus der Fremde zurückführte? würdet ihr<lb/>
die Freier vertheidigen, oder ihn? redet unverhohlen, ganz<lb/>
wie es euch ums Herz i&#x017F;t.&#x201C; &#x201E;O Jupiter im Olymp,&#x201C;<lb/>
rief der Rinderhirt zuer&#x017F;t, &#x201E;wenn mir die&#x017F;er Wun&#x017F;ch ge¬<lb/>
währt würde, wenn der Held käme! du &#x017F;ollte&#x017F;t &#x017F;ehen,<lb/>
wie &#x017F;ich meine Arme regen würden!&#x201C; Eben&#x017F;o flehte<lb/>
Eumäus zu allen Göttern, daß &#x017F;ie dem Ody&#x017F;&#x017F;eus Heim¬<lb/>
kehr verleihen möchten.</p><lb/>
            <p>Als nun die&#x017F;er ihres Herzens Ge&#x017F;innung erkannt<lb/>
hatte, da &#x017F;prach er: &#x201E;Nun denn, ihr Kinder, &#x017F;o ver¬<lb/>
nehmt's: ich &#x017F;elber bin Ody&#x017F;&#x017F;eus! Nach un&#x017F;äglichen<lb/>
Leiden komme ich im zwanzig&#x017F;ten Jahr zurück in meine<lb/>
Heimath, und ich &#x017F;ehe, daß ich euch beiden willkommen<lb/>
bin, euch allein unter allem Ge&#x017F;inde; denn keinen unter<lb/>
Allen hörte ich jemals um meine Wiederkehr zu den<lb/>
Göttern flehen. Dafür will ich auch jedem von euch,<lb/>
wenn ich die Freier bezwungen habe, ein Weib geben,<lb/>
Aecker &#x017F;chenken, Häu&#x017F;er bauen, ganz nahe bei meinem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0276] Odyſſeus entdeckt ſich den guten Hirten. Nun geſchah es, daß ſich beim Hinausgehen aus dem Palaſte der Rinderhirt und der Sauhirt begegneten, und ihnen folgte auf dem Fuße der Held Odyſſeus. Als ſie Pforte und Vorhof hinter ſich hatten, holte er jene ein, und ſprach zu ihnen leiſe und vertraulich: „Ihr Freunde, ich möchte wohl ein Wort mit euch reden, wenn ich mich auf euch verlaſſen kann; ſonſt ſchwiege ich lieber. Wie wär' es, wenn den Odyſſeus jetzt plötz¬ lich ein Gott aus der Fremde zurückführte? würdet ihr die Freier vertheidigen, oder ihn? redet unverhohlen, ganz wie es euch ums Herz iſt.“ „O Jupiter im Olymp,“ rief der Rinderhirt zuerſt, „wenn mir dieſer Wunſch ge¬ währt würde, wenn der Held käme! du ſollteſt ſehen, wie ſich meine Arme regen würden!“ Ebenſo flehte Eumäus zu allen Göttern, daß ſie dem Odyſſeus Heim¬ kehr verleihen möchten. Als nun dieſer ihres Herzens Geſinnung erkannt hatte, da ſprach er: „Nun denn, ihr Kinder, ſo ver¬ nehmt's: ich ſelber bin Odyſſeus! Nach unſäglichen Leiden komme ich im zwanzigſten Jahr zurück in meine Heimath, und ich ſehe, daß ich euch beiden willkommen bin, euch allein unter allem Geſinde; denn keinen unter Allen hörte ich jemals um meine Wiederkehr zu den Göttern flehen. Dafür will ich auch jedem von euch, wenn ich die Freier bezwungen habe, ein Weib geben, Aecker ſchenken, Häuſer bauen, ganz nahe bei meinem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/276
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/276>, abgerufen am 03.12.2024.