Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Agamemnons Geschlecht und Haus .

Troja war gefallen. Die heimsegelnde Flotte der
Hellenen, vom Sturme halb vernichtet, hatte sich in
ihren Ueberbleibseln wieder zusammengefunden, und auf der
beruhigten See fuhren die Abtheilungen der Griechen
jede ihrer Heimat zu. Agamemnon, dessen Schiffe, von
der Herrscherin Juno beschützt, keinen Schaden genom¬
men hatten, steuerte rüstig auf die Küste des Peloponne¬
ses los. Schon nahete er dem spitzigen Felsenhaupte des
Vorgebirges Malea in Lakonien, als ihn plötzlich aufs
Neue das Ungestüm eines Orkanes ergriff und ihn mit
allen Fahrzeugen in die offene Flut des Meeres zurück¬
warf. Seufzend mit aufgehobenen Händen flehte der
Völkerfürst empor zum Himmel und bat die Götter, ihn
nicht nach so vielem Ungemach und nach mühselig voll¬
brachtem Willen der Himmlischen im Angesichte seiner
Heimat mit so vielen tapferen Männern verderben zu las¬
sen. Er wußte nicht, daß dießmal der Sturm sein Freund
und von warnenden Gottheiten ihm zugesendet war: denn
ihm wäre besser gewesen, an die fernste Barbarenküste
verschlagen, in der Verbannung sein Leben zu beschließen,
als seinen Fuß in den heimischen Königspallast Mycene's
zu setzen.

Auf Agamemnons Geschlecht ruhete ein Fluch; von
seinem Urahn Tantalus her war es unter Gräueln

1*
Agamemnons Geſchlecht und Haus .

Troja war gefallen. Die heimſegelnde Flotte der
Hellenen, vom Sturme halb vernichtet, hatte ſich in
ihren Ueberbleibſeln wieder zuſammengefunden, und auf der
beruhigten See fuhren die Abtheilungen der Griechen
jede ihrer Heimat zu. Agamemnon, deſſen Schiffe, von
der Herrſcherin Juno beſchützt, keinen Schaden genom¬
men hatten, ſteuerte rüſtig auf die Küſte des Peloponne¬
ſes los. Schon nahete er dem ſpitzigen Felſenhaupte des
Vorgebirges Malea in Lakonien, als ihn plötzlich aufs
Neue das Ungeſtüm eines Orkanes ergriff und ihn mit
allen Fahrzeugen in die offene Flut des Meeres zurück¬
warf. Seufzend mit aufgehobenen Händen flehte der
Völkerfürſt empor zum Himmel und bat die Götter, ihn
nicht nach ſo vielem Ungemach und nach mühſelig voll¬
brachtem Willen der Himmliſchen im Angeſichte ſeiner
Heimat mit ſo vielen tapferen Männern verderben zu laſ¬
ſen. Er wußte nicht, daß dießmal der Sturm ſein Freund
und von warnenden Gottheiten ihm zugeſendet war: denn
ihm wäre beſſer geweſen, an die fernſte Barbarenküſte
verſchlagen, in der Verbannung ſein Leben zu beſchließen,
als ſeinen Fuß in den heimiſchen Königspallaſt Mycene's
zu ſetzen.

Auf Agamemnons Geschlecht ruhete ein Fluch; von
ſeinem Urahn Tantalus her war es unter Gräueln

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="[3]"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Agamemnons Ge&#x017F;chlecht und Haus</hi> <hi rendition="#b #g">.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Troja war gefallen. Die heim&#x017F;egelnde Flotte der<lb/>
Hellenen, vom Sturme halb vernichtet, hatte &#x017F;ich in<lb/>
ihren Ueberbleib&#x017F;eln wieder zu&#x017F;ammengefunden, und auf der<lb/>
beruhigten See fuhren die Abtheilungen der Griechen<lb/>
jede ihrer Heimat zu. Agamemnon, de&#x017F;&#x017F;en Schiffe, von<lb/>
der Herr&#x017F;cherin Juno be&#x017F;chützt, keinen Schaden genom¬<lb/>
men hatten, &#x017F;teuerte rü&#x017F;tig auf die Kü&#x017F;te des Peloponne¬<lb/>
&#x017F;es los. Schon nahete er dem &#x017F;pitzigen Fel&#x017F;enhaupte des<lb/>
Vorgebirges Malea in Lakonien, als ihn plötzlich aufs<lb/>
Neue das Unge&#x017F;tüm eines Orkanes ergriff und ihn mit<lb/>
allen Fahrzeugen in die offene Flut des Meeres zurück¬<lb/>
warf. Seufzend mit aufgehobenen Händen flehte der<lb/>
Völkerfür&#x017F;t empor zum Himmel und bat die Götter, ihn<lb/>
nicht nach &#x017F;o vielem Ungemach und nach müh&#x017F;elig voll¬<lb/>
brachtem Willen der Himmli&#x017F;chen im Ange&#x017F;ichte &#x017F;einer<lb/>
Heimat mit &#x017F;o vielen tapferen Männern verderben zu la&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en. Er wußte nicht, daß dießmal der Sturm &#x017F;ein Freund<lb/>
und von warnenden Gottheiten ihm zuge&#x017F;endet war: denn<lb/>
ihm wäre be&#x017F;&#x017F;er gewe&#x017F;en, an die fern&#x017F;te Barbarenkü&#x017F;te<lb/>
ver&#x017F;chlagen, in der Verbannung &#x017F;ein Leben zu be&#x017F;chließen,<lb/>
als &#x017F;einen Fuß in den heimi&#x017F;chen Königspalla&#x017F;t Mycene's<lb/>
zu &#x017F;etzen.</p><lb/>
            <p>Auf Agamemnons Geschlecht ruhete ein Fluch; von<lb/>
&#x017F;einem Urahn Tantalus her war es unter Gräueln<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">1*<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0025] Agamemnons Geſchlecht und Haus . Troja war gefallen. Die heimſegelnde Flotte der Hellenen, vom Sturme halb vernichtet, hatte ſich in ihren Ueberbleibſeln wieder zuſammengefunden, und auf der beruhigten See fuhren die Abtheilungen der Griechen jede ihrer Heimat zu. Agamemnon, deſſen Schiffe, von der Herrſcherin Juno beſchützt, keinen Schaden genom¬ men hatten, ſteuerte rüſtig auf die Küſte des Peloponne¬ ſes los. Schon nahete er dem ſpitzigen Felſenhaupte des Vorgebirges Malea in Lakonien, als ihn plötzlich aufs Neue das Ungeſtüm eines Orkanes ergriff und ihn mit allen Fahrzeugen in die offene Flut des Meeres zurück¬ warf. Seufzend mit aufgehobenen Händen flehte der Völkerfürſt empor zum Himmel und bat die Götter, ihn nicht nach ſo vielem Ungemach und nach mühſelig voll¬ brachtem Willen der Himmliſchen im Angeſichte ſeiner Heimat mit ſo vielen tapferen Männern verderben zu laſ¬ ſen. Er wußte nicht, daß dießmal der Sturm ſein Freund und von warnenden Gottheiten ihm zugeſendet war: denn ihm wäre beſſer geweſen, an die fernſte Barbarenküſte verſchlagen, in der Verbannung ſein Leben zu beſchließen, als ſeinen Fuß in den heimiſchen Königspallaſt Mycene's zu ſetzen. Auf Agamemnons Geschlecht ruhete ein Fluch; von ſeinem Urahn Tantalus her war es unter Gräueln 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/25
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/25>, abgerufen am 22.12.2024.