Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.
<TEI> <text> <body> <pb facs="#f0005" n="5"/> <div> <p><lb/><hi rendition="#in">H</hi>einrich Zimmer ist am 11. Dezember 1851 in Castellaun auf dem<lb/> Hunsrück geboren, in ländlichen Verhältnissen, denen er die Gabe leben-<lb/> diger Anschauung und den offenen, allen Realitäten der Welt aufgeschlosse-<lb/> nen Blick verdanken mag. Als ‘Schulhalter’ im nahegelegenen Hasselbach<lb/> hat er seine Laufbahn begonnen, die ihn zum Range eines Neubegründers<lb/> der keltischen Philologie emporführen sollte. Erst als Neunzehnjähriger<lb/> ist er, getrieben von einem lebhaften Verlangen nach höherer wissenschaft-<lb/> licher Ausbildung, aus dem Lehrerseminar in Neuwied übergetreten in das<lb/> Gymnasium zu Kreuznach, wo er, dem Schulziel bald vorauseilend und<lb/> auf selbstgewählten Wegen seine geistige Entwicklung fördernd, an Homer,<lb/> Aeschylus und Sophocles, aber auch schon an altgermanischen Sprachstudien<lb/> seinen rastlosen Eifer übte und sich zu selbständiger Arbeit erzog. Mit<lb/> dem Herbste 1873 erfolgte der Übergang an die Universität Straßburg.<lb/> Dort hat ihn, nach kurzem Schwanken, die unvergleichliche Wirkung, die<lb/> von Wilhelm Scherers Persönlichkeit und Lehre ausging, in ihren Bann<lb/> gezogen und für das Studium der Germanistik und der indogermanischen<lb/> Sprachwissenschaft gewonnen. Wie ein in seine Zukunft vorausdeutendes<lb/> Omen erscheint es dem rückwärts gewandten Blick, daß eine Vorlesung<lb/> über die Germania des Tacitus den Lernbegierigen in das Universitäts-<lb/> studium einführte, und gern malt man sich aus, wie die lebendigen Worte<lb/> des Interpreten in die Seele des empfänglichen Hörers ein Bild nicht bloß<lb/> des deutschen Altertums, sondern auch seines Wiedererweckers, Karl<lb/> Müllenhoffs, unverlierbar einprägten. Denn wie kaum ein zweites fordert<lb/> dieses Buch, das die Vorzeit unseres Volkes aus geschichtslosem Dunkel<lb/> emporhebt, zu vollem Verständnis die souverän den Doppelstoff der Wörter<lb/> und der Sachen meisternde Personalunion von Historie und Grammatik,</p> <p><lb/> 1*</p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0005]
Heinrich Zimmer ist am 11. Dezember 1851 in Castellaun auf dem
Hunsrück geboren, in ländlichen Verhältnissen, denen er die Gabe leben-
diger Anschauung und den offenen, allen Realitäten der Welt aufgeschlosse-
nen Blick verdanken mag. Als ‘Schulhalter’ im nahegelegenen Hasselbach
hat er seine Laufbahn begonnen, die ihn zum Range eines Neubegründers
der keltischen Philologie emporführen sollte. Erst als Neunzehnjähriger
ist er, getrieben von einem lebhaften Verlangen nach höherer wissenschaft-
licher Ausbildung, aus dem Lehrerseminar in Neuwied übergetreten in das
Gymnasium zu Kreuznach, wo er, dem Schulziel bald vorauseilend und
auf selbstgewählten Wegen seine geistige Entwicklung fördernd, an Homer,
Aeschylus und Sophocles, aber auch schon an altgermanischen Sprachstudien
seinen rastlosen Eifer übte und sich zu selbständiger Arbeit erzog. Mit
dem Herbste 1873 erfolgte der Übergang an die Universität Straßburg.
Dort hat ihn, nach kurzem Schwanken, die unvergleichliche Wirkung, die
von Wilhelm Scherers Persönlichkeit und Lehre ausging, in ihren Bann
gezogen und für das Studium der Germanistik und der indogermanischen
Sprachwissenschaft gewonnen. Wie ein in seine Zukunft vorausdeutendes
Omen erscheint es dem rückwärts gewandten Blick, daß eine Vorlesung
über die Germania des Tacitus den Lernbegierigen in das Universitäts-
studium einführte, und gern malt man sich aus, wie die lebendigen Worte
des Interpreten in die Seele des empfänglichen Hörers ein Bild nicht bloß
des deutschen Altertums, sondern auch seines Wiedererweckers, Karl
Müllenhoffs, unverlierbar einprägten. Denn wie kaum ein zweites fordert
dieses Buch, das die Vorzeit unseres Volkes aus geschichtslosem Dunkel
emporhebt, zu vollem Verständnis die souverän den Doppelstoff der Wörter
und der Sachen meisternde Personalunion von Historie und Grammatik,
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