Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887.IV. Ein recht schwüler Maitag war's damals im Jahre 1774, und der Flieder stand in der Blüthe. In vollen weißen und blaßlila Rispen bauschte er hinüber über die Mauern der Abtei, hob sich ab gegen die Finsterniß aufziehender Gewitterwolken und nickte grüßend nieder zu der tief unter ihm, in blauer Ferne verschimmernden Hauptstadt. Primeln und Maiglöckchen lachten zu seinen Füßen, aus den glatten Nasenplätzen heraus. Die ganze Natur feierte den herrlichen Gottesdienst der Jahresauferstehung. Und ein betäubender Duft schwebte über Allem; fast war es, als wolle der Frühling alle Engel herunterlocken aus dem Himmel - oder zum wenigsten den Nonnen ihre entsagungsvolle Andacht recht schwer werden lassen. - Es war Nachmittag, und in einer der Kapellen der Abtei beschäftigte sich eine Laienschwester IV. Ein recht schwüler Maitag war’s damals im Jahre 1774, und der Flieder stand in der Blüthe. In vollen weißen und blaßlila Rispen bauschte er hinüber über die Mauern der Abtei, hob sich ab gegen die Finsterniß aufziehender Gewitterwolken und nickte grüßend nieder zu der tief unter ihm, in blauer Ferne verschimmernden Hauptstadt. Primeln und Maiglöckchen lachten zu seinen Füßen, aus den glatten Nasenplätzen heraus. Die ganze Natur feierte den herrlichen Gottesdienst der Jahresauferstehung. Und ein betäubender Duft schwebte über Allem; fast war es, als wolle der Frühling alle Engel herunterlocken aus dem Himmel – oder zum wenigsten den Nonnen ihre entsagungsvolle Andacht recht schwer werden lassen. – Es war Nachmittag, und in einer der Kapellen der Abtei beschäftigte sich eine Laienschwester <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0056" n="56"/> <div n="1"> <head>IV.</head> <p>Ein recht schwüler Maitag war’s damals im Jahre 1774, und der Flieder stand in der Blüthe.</p> <p>In vollen weißen und blaßlila Rispen bauschte er hinüber über die Mauern der Abtei, hob sich ab gegen die Finsterniß aufziehender Gewitterwolken und nickte grüßend nieder zu der tief unter ihm, in blauer Ferne verschimmernden Hauptstadt. Primeln und Maiglöckchen lachten zu seinen Füßen, aus den glatten Nasenplätzen heraus. Die ganze Natur feierte den herrlichen Gottesdienst der Jahresauferstehung.</p> <p>Und ein betäubender Duft schwebte über Allem; fast war es, als wolle der Frühling alle Engel herunterlocken aus dem Himmel – oder zum wenigsten den Nonnen ihre entsagungsvolle Andacht recht schwer werden lassen. –</p> <p>Es war Nachmittag, und in einer der Kapellen der Abtei beschäftigte sich eine Laienschwester </p> </div> </body> </text> </TEI> [56/0056]
IV. Ein recht schwüler Maitag war’s damals im Jahre 1774, und der Flieder stand in der Blüthe.
In vollen weißen und blaßlila Rispen bauschte er hinüber über die Mauern der Abtei, hob sich ab gegen die Finsterniß aufziehender Gewitterwolken und nickte grüßend nieder zu der tief unter ihm, in blauer Ferne verschimmernden Hauptstadt. Primeln und Maiglöckchen lachten zu seinen Füßen, aus den glatten Nasenplätzen heraus. Die ganze Natur feierte den herrlichen Gottesdienst der Jahresauferstehung.
Und ein betäubender Duft schwebte über Allem; fast war es, als wolle der Frühling alle Engel herunterlocken aus dem Himmel – oder zum wenigsten den Nonnen ihre entsagungsvolle Andacht recht schwer werden lassen. –
Es war Nachmittag, und in einer der Kapellen der Abtei beschäftigte sich eine Laienschwester
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Zitationshilfe: | Schubin, Ossip: Etiquette. Eine Rococo-Arabeske. Berlin, 1887, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schubin_etiquette_1887/56>, abgerufen am 16.07.2024. |