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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BÄDER UND WASCHUNGEN.
jenen hohen Grad der Verwöhnung verfallen, durch den sie
bei jedem unsanften Lüftchen, bei der geringsten Temperatur-
veränderung (wogegen Ihr sie ja selbst bei der grössten Sorg-
falt auch im Hause niemals unbedingt schützen könnt) einer Er-
krankung ausgesetzt sind. Nächst der falschen Ernährungsweise
liegt hierin sicherlich ein Hauptgrund des übergrossen Sterblich-
keitsverhältnisses des ersten Lebensjahres. Und muss sich
denn nicht bei Beobachtung der angegebenen Vorsichtsmaass-
regeln, bei der sanften Allmäligkeit der Uebergänge, bei Er-
haltung der gleichmässigen Körperwärme durch genügende
Umhüllung, bei Mässigung der Einwirkung einer vielleicht zu
scharfen Luft durch Ueberlegung eines Schleiers, selbst die
ängstlichste Besorgniss beruhigen? Beobachtet nur die Kinder
selbst! Auch bei voller Winterkälte der Luft gibt sich die
Behaglichkeit ihres Zustandes in der Regel durch sofortiges
Verfallen in einen sanften Schlaf deutlich genug zu erkennen.
Kurz, genügende Erfahrungen bürgen für die Bewährtheit die-
ses Grundsatzes.

3) Bäder und Waschungen

sind aus der bei Kindern in erhöhtem Grade nothwendigen
Rücksicht auf allseitige Reinlichkeit wahrhaft unentbehrliche
Maassregeln, denn die freie Thätigkeit des gesammten Haut-
organes ist besonders im kindlichen Körper von der einfluss-
reichsten Bedeutung für den allgemeinen Gesundheitszustand.
Täglich ein warmes Bad, in den ersten zwei Lebenswochen
von 28°, später von 27° und in der zweiten Hälfte des ersten
Jahres von 26° R., trägt wesentlich zum Gedeihen des Kindes
bei. Im Bade wasche man mit einem weichen Schwamme die
ganze Körperoberfläche ab und lasse nach dem Bade den un-
bekleideten Körper so wenig wie möglich der Luft ausgesetzt.
Es ist am besten, einfaches Flusswasser dazu zu gebrauchen
und keiner Seifen sich zu bedienen, weil diese für die zarte
kindliche Haut meistens zu scharf sind. Nur bei mehr trocke-
ner und spröder Haut des Kindes thut man wohl, hin und
wieder mit einem Bade von Kleienabkochung abzuwechseln.
Die Tageszeit für das Bad kann beliebig bestimmt werden,

1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BÄDER UND WASCHUNGEN.
jenen hohen Grad der Verwöhnung verfallen, durch den sie
bei jedem unsanften Lüftchen, bei der geringsten Temperatur-
veränderung (wogegen Ihr sie ja selbst bei der grössten Sorg-
falt auch im Hause niemals unbedingt schützen könnt) einer Er-
krankung ausgesetzt sind. Nächst der falschen Ernährungsweise
liegt hierin sicherlich ein Hauptgrund des übergrossen Sterblich-
keitsverhältnisses des ersten Lebensjahres. Und muss sich
denn nicht bei Beobachtung der angegebenen Vorsichtsmaass-
regeln, bei der sanften Allmäligkeit der Uebergänge, bei Er-
haltung der gleichmässigen Körperwärme durch genügende
Umhüllung, bei Mässigung der Einwirkung einer vielleicht zu
scharfen Luft durch Ueberlegung eines Schleiers, selbst die
ängstlichste Besorgniss beruhigen? Beobachtet nur die Kinder
selbst! Auch bei voller Winterkälte der Luft gibt sich die
Behaglichkeit ihres Zustandes in der Regel durch sofortiges
Verfallen in einen sanften Schlaf deutlich genug zu erkennen.
Kurz, genügende Erfahrungen bürgen für die Bewährtheit die-
ses Grundsatzes.

3) Bäder und Waschungen

sind aus der bei Kindern in erhöhtem Grade nothwendigen
Rücksicht auf allseitige Reinlichkeit wahrhaft unentbehrliche
Maassregeln, denn die freie Thätigkeit des gesammten Haut-
organes ist besonders im kindlichen Körper von der einfluss-
reichsten Bedeutung für den allgemeinen Gesundheitszustand.
Täglich ein warmes Bad, in den ersten zwei Lebenswochen
von 28°, später von 27° und in der zweiten Hälfte des ersten
Jahres von 26° R., trägt wesentlich zum Gedeihen des Kindes
bei. Im Bade wasche man mit einem weichen Schwamme die
ganze Körperoberfläche ab und lasse nach dem Bade den un-
bekleideten Körper so wenig wie möglich der Luft ausgesetzt.
Es ist am besten, einfaches Flusswasser dazu zu gebrauchen
und keiner Seifen sich zu bedienen, weil diese für die zarte
kindliche Haut meistens zu scharf sind. Nur bei mehr trocke-
ner und spröder Haut des Kindes thut man wohl, hin und
wieder mit einem Bade von Kleienabkochung abzuwechseln.
Die Tageszeit für das Bad kann beliebig bestimmt werden,

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[46/0050] 1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BÄDER UND WASCHUNGEN. jenen hohen Grad der Verwöhnung verfallen, durch den sie bei jedem unsanften Lüftchen, bei der geringsten Temperatur- veränderung (wogegen Ihr sie ja selbst bei der grössten Sorg- falt auch im Hause niemals unbedingt schützen könnt) einer Er- krankung ausgesetzt sind. Nächst der falschen Ernährungsweise liegt hierin sicherlich ein Hauptgrund des übergrossen Sterblich- keitsverhältnisses des ersten Lebensjahres. Und muss sich denn nicht bei Beobachtung der angegebenen Vorsichtsmaass- regeln, bei der sanften Allmäligkeit der Uebergänge, bei Er- haltung der gleichmässigen Körperwärme durch genügende Umhüllung, bei Mässigung der Einwirkung einer vielleicht zu scharfen Luft durch Ueberlegung eines Schleiers, selbst die ängstlichste Besorgniss beruhigen? Beobachtet nur die Kinder selbst! Auch bei voller Winterkälte der Luft gibt sich die Behaglichkeit ihres Zustandes in der Regel durch sofortiges Verfallen in einen sanften Schlaf deutlich genug zu erkennen. Kurz, genügende Erfahrungen bürgen für die Bewährtheit die- ses Grundsatzes. 3) Bäder und Waschungen sind aus der bei Kindern in erhöhtem Grade nothwendigen Rücksicht auf allseitige Reinlichkeit wahrhaft unentbehrliche Maassregeln, denn die freie Thätigkeit des gesammten Haut- organes ist besonders im kindlichen Körper von der einfluss- reichsten Bedeutung für den allgemeinen Gesundheitszustand. Täglich ein warmes Bad, in den ersten zwei Lebenswochen von 28°, später von 27° und in der zweiten Hälfte des ersten Jahres von 26° R., trägt wesentlich zum Gedeihen des Kindes bei. Im Bade wasche man mit einem weichen Schwamme die ganze Körperoberfläche ab und lasse nach dem Bade den un- bekleideten Körper so wenig wie möglich der Luft ausgesetzt. Es ist am besten, einfaches Flusswasser dazu zu gebrauchen und keiner Seifen sich zu bedienen, weil diese für die zarte kindliche Haut meistens zu scharf sind. Nur bei mehr trocke- ner und spröder Haut des Kindes thut man wohl, hin und wieder mit einem Bade von Kleienabkochung abzuwechseln. Die Tageszeit für das Bad kann beliebig bestimmt werden,

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/50>, abgerufen am 21.11.2024.