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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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werden. Es giebt also eine rauche Wahrschein-
lichkeit, eine nasse Wahrscheinlichkeit.

Man überlege also, ob es leichter und künstli-
cher sey, nach der alten, oder nach der neuen
Mode
zu schreiben? Es lebe die letzte! Sie ist
am geschicktesten, den Geist eines gelehrten
Schriftstellers sowohl, als seines Lesers, zu tum-
meln,
das heißt ohne Gleichniß: seine Kräfte auf
die Probe zu stellen.

Denken.

Hr. Witzling in der deutsch. Schaub.
6 Theil
hat folgendes dem Erfinder entwendet:

Allein, was wahr und falsch, was Tugend,
Pralerey,
Was stetes Gut, was bös, was Gott u. jeder sey:
Da denket keiner an! Haller, 38 S.

a. St. daran denket keiner! Jenes gehöret zum
niedersächsischen Dialecte. Ein neuer Dich-
ter muß, wie Homer, alle mögliche Dialecte
der deutschen Sprache in seinen Accent ver-
wandeln. So kann einer z. E. bayerisch, öster-
reichisch, pommerisch, schwäbisch, schweize-
risch
und pfälzisch in einem Athen reden, ohne zu
fürchten, daß er nicht deutsch rede; denn die
Sprache sinket unter ihm, oder der Dichter unter
der Sprache.

Der. Gottsched

hat in dem 2 Hauptstücke,
164 S. 11 §. s. größ. Sprachk.
Unrecht. Man
muß sagen: der Klopstock hat Offenbarun-
gen gesehen;
und also wie der Klopstock alle-
zeit das Geschlechtswort vor das Nennwort
setzen. Z. E. der Noah, der Nimrod, der

Meßias;
G 2

De
werden. Es giebt alſo eine rauche Wahrſchein-
lichkeit, eine naſſe Wahrſcheinlichkeit.

Man uͤberlege alſo, ob es leichter und kuͤnſtli-
cher ſey, nach der alten, oder nach der neuen
Mode
zu ſchreiben? Es lebe die letzte! Sie iſt
am geſchickteſten, den Geiſt eines gelehrten
Schriftſtellers ſowohl, als ſeines Leſers, zu tum-
meln,
das heißt ohne Gleichniß: ſeine Kraͤfte auf
die Probe zu ſtellen.

Denken.

Hr. Witzling in der deutſch. Schaub.
6 Theil
hat folgendes dem Erfinder entwendet:

Allein, was wahr und falſch, was Tugend,
Pralerey,
Was ſtetes Gut, was boͤs, was Gott u. jeder ſey:
Da denket keiner an! Haller, 38 S.

a. St. daran denket keiner! Jenes gehoͤret zum
niederſaͤchſiſchen Dialecte. Ein neuer Dich-
ter muß, wie Homer, alle moͤgliche Dialecte
der deutſchen Sprache in ſeinen Accent ver-
wandeln. So kann einer z. E. bayeriſch, oͤſter-
reichiſch, pommeriſch, ſchwaͤbiſch, ſchweize-
riſch
und pfaͤlziſch in einem Athen reden, ohne zu
fuͤrchten, daß er nicht deutſch rede; denn die
Sprache ſinket unter ihm, oder der Dichter unter
der Sprache.

Der. Gottſched

hat in dem 2 Hauptſtuͤcke,
164 S. 11 §. ſ. groͤß. Sprachk.
Unrecht. Man
muß ſagen: der Klopſtock hat Offenbarun-
gen geſehen;
und alſo wie der Klopſtock alle-
zeit das Geſchlechtswort vor das Nennwort
ſetzen. Z. E. der Noah, der Nimrod, der

Meßias;
G 2
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[99/0125] De werden. Es giebt alſo eine rauche Wahrſchein- lichkeit, eine naſſe Wahrſcheinlichkeit. Man uͤberlege alſo, ob es leichter und kuͤnſtli- cher ſey, nach der alten, oder nach der neuen Mode zu ſchreiben? Es lebe die letzte! Sie iſt am geſchickteſten, den Geiſt eines gelehrten Schriftſtellers ſowohl, als ſeines Leſers, zu tum- meln, das heißt ohne Gleichniß: ſeine Kraͤfte auf die Probe zu ſtellen. Denken. Hr. Witzling in der deutſch. Schaub. 6 Theil hat folgendes dem Erfinder entwendet: Allein, was wahr und falſch, was Tugend, Pralerey, Was ſtetes Gut, was boͤs, was Gott u. jeder ſey: Da denket keiner an! Haller, 38 S. a. St. daran denket keiner! Jenes gehoͤret zum niederſaͤchſiſchen Dialecte. Ein neuer Dich- ter muß, wie Homer, alle moͤgliche Dialecte der deutſchen Sprache in ſeinen Accent ver- wandeln. So kann einer z. E. bayeriſch, oͤſter- reichiſch, pommeriſch, ſchwaͤbiſch, ſchweize- riſch und pfaͤlziſch in einem Athen reden, ohne zu fuͤrchten, daß er nicht deutſch rede; denn die Sprache ſinket unter ihm, oder der Dichter unter der Sprache. Der. Gottſched hat in dem 2 Hauptſtuͤcke, 164 S. 11 §. ſ. groͤß. Sprachk. Unrecht. Man muß ſagen: der Klopſtock hat Offenbarun- gen geſehen; und alſo wie der Klopſtock alle- zeit das Geſchlechtswort vor das Nennwort ſetzen. Z. E. der Noah, der Nimrod, der Meßias; G 2

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/125>, abgerufen am 21.11.2024.