konte aber meine Verwirrung nicht besser verber- gen, als daß ich mich von ihr auf eine kurtze Zeit be- urlaubte, unter dem Vorwande: zu sehen, ob die Wirthin die Mahlzeit bald auftragen wolte, indem mich sehr hungerte.
Diese war gleich bereit, wir setzten uns zu Tische, und speiseten. Die van Bredal war betrübt, und ließ öffters Thränen fallen, ich aber blieb ebenfalls in meiner entstandenen Verwirrung, so, daß viel- leicht wenig Worte würden seyn gewechselt worden, wenn nicht ein fremder Knabe angekommen wäre, und der van Bredal einen versiegelten Brief über- bracht, denselben aber niemand anders, als ihr selbst, in die Hände geben wollen. Sie ging in gröster Verwunderung hin, uud ließ sich denselben geben, hieß den Bringer desselben warten, und sagte zu mir: Wo wird der Brief anders herkommen, als vom Dostart? Da sie denselben aber erbrochen, und gelesen, schüttelte sie den Kopff, und reichte mir den Brief, mit Bitte, ihn gleichfals zu lesen, wie mich nun dessen auf viefältiges Nöthigen nicht entbrechen konte, so fand ihn, meines Behalts, ohn- gefähr also gesetzt:
Madame!
ES ist zwar nicht zu zweiffeln, daß Diesel- ben annoch vielleicht einen alten Groll in Dero Hertzen gegen meine Person tragen kön- ten, allein, weiln das was vor einigen Jah- ren zwischen uns vorgegangen, aus keinem Frevel, sondern Seiten meiner, aus einer be- sondern Treue und allzu hefftiger Liebe ge- gen Dero schöne Person, geschehen so bitte
gehor-
konte aber meine Verwirrung nicht beſſer verber- gen, als daß ich mich von ihr auf eine kurtze Zeit be- urlaubte, unter dem Vorwande: zu ſehen, ob die Wirthin die Mahlzeit bald auftragen wolte, indem mich ſehr hungerte.
Dieſe war gleich bereit, wir ſetzten uns zu Tiſche, und ſpeiſeten. Die van Bredal war betruͤbt, und ließ oͤffters Thraͤnen fallen, ich aber blieb ebenfalls in meiner entſtandenen Verwirrung, ſo, daß viel- leicht wenig Worte wuͤrden ſeyn gewechſelt worden, wenn nicht ein fremder Knabe angekommen waͤre, und der van Bredal einen verſiegelten Brief uͤber- bracht, denſelben aber niemand anders, als ihr ſelbſt, in die Haͤnde geben wollen. Sie ging in groͤſter Verwunderung hin, uud ließ ſich denſelben geben, hieß den Bringer deſſelben warten, und ſagte zu mir: Wo wird der Brief anders herkommen, als vom Doſtart? Da ſie denſelben aber erbrochen, und geleſen, ſchuͤttelte ſie den Kopff, und reichte mir den Brief, mit Bitte, ihn gleichfals zu leſen, wie mich nun deſſen auf viefaͤltiges Noͤthigen nicht entbrechen konte, ſo fand ihn, meines Behalts, ohn- gefaͤhr alſo geſetzt:
Madame!
ES iſt zwar nicht zu zweiffeln, daß Dieſel- ben annoch vielleicht einen alten Groll in Dero Hertzen gegen meine Perſon tragen koͤn- ten, allein, weiln das was vor einigen Jah- ren zwiſchen uns vorgegangen, aus keinem Frevel, ſondern Seiten meiner, aus einer be- ſondern Treue und allzu hefftiger Liebe ge- gen Dero ſchoͤne Perſon, geſchehen ſo bitte
gehor-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0186"n="178"/>
konte aber meine Verwirrung nicht beſſer verber-<lb/>
gen, als daß ich mich von ihr auf eine kurtze Zeit be-<lb/>
urlaubte, unter dem Vorwande: zu ſehen, ob die<lb/>
Wirthin die Mahlzeit bald auftragen wolte, indem<lb/>
mich ſehr hungerte.</p><lb/><p>Dieſe war gleich bereit, wir ſetzten uns zu Tiſche,<lb/>
und ſpeiſeten. Die <hirendition="#aq">van Bredal</hi> war betruͤbt, und<lb/>
ließ oͤffters Thraͤnen fallen, ich aber blieb ebenfalls<lb/>
in meiner entſtandenen Verwirrung, ſo, daß viel-<lb/>
leicht wenig Worte wuͤrden ſeyn gewechſelt worden,<lb/>
wenn nicht ein fremder Knabe angekommen waͤre,<lb/>
und der <hirendition="#aq">van Bredal</hi> einen verſiegelten Brief uͤber-<lb/>
bracht, denſelben aber niemand anders, als ihr ſelbſt,<lb/>
in die Haͤnde geben wollen. Sie ging in groͤſter<lb/>
Verwunderung hin, uud ließ ſich denſelben geben,<lb/>
hieß den Bringer deſſelben warten, und ſagte zu<lb/>
mir: Wo wird der Brief anders herkommen, als<lb/>
vom <hirendition="#aq">Doſtart?</hi> Da ſie denſelben aber erbrochen,<lb/>
und geleſen, ſchuͤttelte ſie den Kopff, und reichte<lb/>
mir den Brief, mit Bitte, ihn gleichfals zu leſen,<lb/>
wie mich nun deſſen auf viefaͤltiges Noͤthigen nicht<lb/>
entbrechen konte, ſo fand ihn, meines Behalts, ohn-<lb/>
gefaͤhr alſo geſetzt:</p><lb/><floatingText><body><divtype="letter"><salute><hirendition="#c"><hirendition="#aq">Madame!</hi></hi></salute><lb/><p><hirendition="#in">E</hi><hirendition="#fr">S iſt zwar nicht zu zweiffeln, daß Dieſel-<lb/>
ben annoch vielleicht einen alten Groll in<lb/>
Dero Hertzen gegen meine Perſon tragen koͤn-<lb/>
ten, allein, weiln das was vor einigen Jah-<lb/>
ren zwiſchen uns vorgegangen, aus keinem<lb/>
Frevel, ſondern Seiten meiner, aus einer be-<lb/>ſondern Treue und allzu hefftiger Liebe ge-<lb/>
gen Dero ſchoͤne Perſon, geſchehen ſo bitte</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">gehor-</hi></fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[178/0186]
konte aber meine Verwirrung nicht beſſer verber-
gen, als daß ich mich von ihr auf eine kurtze Zeit be-
urlaubte, unter dem Vorwande: zu ſehen, ob die
Wirthin die Mahlzeit bald auftragen wolte, indem
mich ſehr hungerte.
Dieſe war gleich bereit, wir ſetzten uns zu Tiſche,
und ſpeiſeten. Die van Bredal war betruͤbt, und
ließ oͤffters Thraͤnen fallen, ich aber blieb ebenfalls
in meiner entſtandenen Verwirrung, ſo, daß viel-
leicht wenig Worte wuͤrden ſeyn gewechſelt worden,
wenn nicht ein fremder Knabe angekommen waͤre,
und der van Bredal einen verſiegelten Brief uͤber-
bracht, denſelben aber niemand anders, als ihr ſelbſt,
in die Haͤnde geben wollen. Sie ging in groͤſter
Verwunderung hin, uud ließ ſich denſelben geben,
hieß den Bringer deſſelben warten, und ſagte zu
mir: Wo wird der Brief anders herkommen, als
vom Doſtart? Da ſie denſelben aber erbrochen,
und geleſen, ſchuͤttelte ſie den Kopff, und reichte
mir den Brief, mit Bitte, ihn gleichfals zu leſen,
wie mich nun deſſen auf viefaͤltiges Noͤthigen nicht
entbrechen konte, ſo fand ihn, meines Behalts, ohn-
gefaͤhr alſo geſetzt:
Madame!
ES iſt zwar nicht zu zweiffeln, daß Dieſel-
ben annoch vielleicht einen alten Groll in
Dero Hertzen gegen meine Perſon tragen koͤn-
ten, allein, weiln das was vor einigen Jah-
ren zwiſchen uns vorgegangen, aus keinem
Frevel, ſondern Seiten meiner, aus einer be-
ſondern Treue und allzu hefftiger Liebe ge-
gen Dero ſchoͤne Perſon, geſchehen ſo bitte
gehor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/186>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.