Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

Gleich nach Verlesung dieses, mit meinem Brod-
Messer unversehener weise durchschnittenen Briefs,
wurde mir das Hertze um etliche Centner leichter,
ich mußte aber doch überhaupt 5. Wochen weniger
2. Tage pausiren, ehe sich meine Freyheit vor 53.
Thalr. Unkosten und Straf-Gelder erhalten ließ.
Allein was halffs? da ich nunmehro den Vorsatz
gefasset, wieder umzukehren, meine vorige fleißige
Lebens-Art von neuen anzufangen, und die Tochter
dem Vater nach Jacobs Weise abzuverdienen, wur-
de ich eines Abends, da ich mit meiner Liebste in der
Haus-Thür stund, von einem vorbey gehenden
Meuchelmörder, unversehens durch und durch ge-
stochen, so, daß ich augenblicklich zu Boden sanck,
weil aber der Mord-Stich nur durch die Weichen
gegangen war, und keinen von den edelsten Theilen
berühret hatte, wurde ich binnen 6. Wochen wie-
derum in den Stand gesetzt auszugehen. Jedoch
gleich am ersten Abende meines Ausgangs, hatte
ein unbekandter Bothe, einen an mich gestelleten
Brief ins Haus gegeben, den ich also gesetzt befand:

Monsieur,

Wenn euch eures Lebens wegen zu rathen
stehet, so fasset entweder den Schluß,
aufs eiligste diesen Ort zu verlassen, oder eure,
der Sage nach höchst-geliebte
Eleonora gäntz-
lich, und zwar vermittelst einer öffentlichen

Prostitution zu quittiren. Das letztere wird eurem,
vermuthlich redlichen Gemüthe, vielleicht
unmöglich seyn, derowegen überleget das
erste, und bedenckt euer bestes, denn einer
solchen Zusammen-Verschwörung, als eurent-

wegen

Gleich nach Verleſung dieſes, mit meinem Brod-
Meſſer unverſehener weiſe durchſchnittenen Briefs,
wurde mir das Hertze um etliche Centner leichter,
ich mußte aber doch uͤberhaupt 5. Wochen weniger
2. Tage pauſiren, ehe ſich meine Freyheit vor 53.
Thalr. Unkoſten und Straf-Gelder erhalten ließ.
Allein was halffs? da ich nunmehro den Vorſatz
gefaſſet, wieder umzukehren, meine vorige fleißige
Lebens-Art von neuen anzufangen, und die Tochter
dem Vater nach Jacobs Weiſe abzuverdienen, wur-
de ich eines Abends, da ich mit meiner Liebſte in der
Haus-Thuͤr ſtund, von einem vorbey gehenden
Meuchelmoͤrder, unverſehens durch und durch ge-
ſtochen, ſo, daß ich augenblicklich zu Boden ſanck,
weil aber der Mord-Stich nur durch die Weichen
gegangen war, und keinen von den edelſten Theilen
beruͤhret hatte, wurde ich binnen 6. Wochen wie-
derum in den Stand geſetzt auszugehen. Jedoch
gleich am erſten Abende meines Ausgangs, hatte
ein unbekandter Bothe, einen an mich geſtelleten
Brief ins Haus gegeben, den ich alſo geſetzt befand:

Monſieur,

Wenn euch eures Lebens wegen zu rathen
ſtehet, ſo faſſet entweder den Schluß,
aufs eiligſte dieſen Ort zu verlaſſen, oder eure,
der Sage nach hoͤchſt-geliebte
Eleonora gaͤntz-
lich, und zwar vermittelſt einer oͤffentlichen

Proſtitution zu quittiren. Das letztere wiꝛd eurem,
vermuthlich redlichen Gemuͤthe, vielleicht
unmoͤglich ſeyn, derowegen uͤberleget das
erſte, und bedenckt euer beſtes, denn einer
ſolchen Zuſammen-Verſchwoͤrung, als eurent-

wegen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0226" n="212"/>
          <p>Gleich nach Verle&#x017F;ung die&#x017F;es, mit meinem Brod-<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;er unver&#x017F;ehener wei&#x017F;e durch&#x017F;chnittenen Briefs,<lb/>
wurde mir das Hertze um etliche Centner leichter,<lb/>
ich mußte aber doch u&#x0364;berhaupt 5. Wochen weniger<lb/>
2. Tage <hi rendition="#aq">pau&#x017F;ir</hi>en, ehe &#x017F;ich meine Freyheit vor 53.<lb/>
Thalr. Unko&#x017F;ten und Straf-Gelder erhalten ließ.<lb/>
Allein was halffs? da ich nunmehro den Vor&#x017F;atz<lb/>
gefa&#x017F;&#x017F;et, wieder umzukehren, meine vorige fleißige<lb/>
Lebens-Art von neuen anzufangen, und die Tochter<lb/>
dem Vater nach Jacobs Wei&#x017F;e abzuverdienen, wur-<lb/>
de ich eines Abends, da ich mit meiner Lieb&#x017F;te in der<lb/>
Haus-Thu&#x0364;r &#x017F;tund, von einem vorbey gehenden<lb/>
Meuchelmo&#x0364;rder, unver&#x017F;ehens durch und durch ge-<lb/>
&#x017F;tochen, &#x017F;o, daß ich augenblicklich zu Boden &#x017F;anck,<lb/>
weil aber der Mord-Stich nur durch die Weichen<lb/>
gegangen war, und keinen von den edel&#x017F;ten Theilen<lb/>
beru&#x0364;hret hatte, wurde ich binnen 6. Wochen wie-<lb/>
derum in den Stand ge&#x017F;etzt auszugehen. Jedoch<lb/>
gleich am er&#x017F;ten Abende meines Ausgangs, hatte<lb/>
ein unbekandter Bothe, einen an mich ge&#x017F;telleten<lb/>
Brief ins Haus gegeben, den ich al&#x017F;o ge&#x017F;etzt befand:</p><lb/>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="letter">
                <salute> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Mon&#x017F;ieur</hi>,</hi> </hi> </salute><lb/>
                <p> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#in">W</hi>enn euch eures Lebens wegen zu rathen<lb/>
&#x017F;tehet, &#x017F;o fa&#x017F;&#x017F;et entweder den Schluß,<lb/>
aufs eilig&#x017F;te die&#x017F;en Ort zu verla&#x017F;&#x017F;en, oder eure,<lb/>
der Sage nach ho&#x0364;ch&#x017F;t-geliebte</hi> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Eleonora</hi> </hi> <hi rendition="#fr">ga&#x0364;ntz-<lb/>
lich, und zwar vermittel&#x017F;t einer o&#x0364;ffentlichen</hi><lb/> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">Pro&#x017F;titution</hi> </hi> <hi rendition="#fr">zu</hi> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#i">quitti</hi> </hi> <hi rendition="#fr">ren. Das letztere wi&#xA75B;d eurem,<lb/>
vermuthlich redlichen Gemu&#x0364;the, vielleicht<lb/>
unmo&#x0364;glich &#x017F;eyn, derowegen u&#x0364;berleget das<lb/>
er&#x017F;te, und bedenckt euer be&#x017F;tes, denn einer<lb/>
&#x017F;olchen Zu&#x017F;ammen-Ver&#x017F;chwo&#x0364;rung, als eurent-</hi><lb/>
                  <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">wegen</hi> </fw><lb/>
                </p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0226] Gleich nach Verleſung dieſes, mit meinem Brod- Meſſer unverſehener weiſe durchſchnittenen Briefs, wurde mir das Hertze um etliche Centner leichter, ich mußte aber doch uͤberhaupt 5. Wochen weniger 2. Tage pauſiren, ehe ſich meine Freyheit vor 53. Thalr. Unkoſten und Straf-Gelder erhalten ließ. Allein was halffs? da ich nunmehro den Vorſatz gefaſſet, wieder umzukehren, meine vorige fleißige Lebens-Art von neuen anzufangen, und die Tochter dem Vater nach Jacobs Weiſe abzuverdienen, wur- de ich eines Abends, da ich mit meiner Liebſte in der Haus-Thuͤr ſtund, von einem vorbey gehenden Meuchelmoͤrder, unverſehens durch und durch ge- ſtochen, ſo, daß ich augenblicklich zu Boden ſanck, weil aber der Mord-Stich nur durch die Weichen gegangen war, und keinen von den edelſten Theilen beruͤhret hatte, wurde ich binnen 6. Wochen wie- derum in den Stand geſetzt auszugehen. Jedoch gleich am erſten Abende meines Ausgangs, hatte ein unbekandter Bothe, einen an mich geſtelleten Brief ins Haus gegeben, den ich alſo geſetzt befand: Monſieur, Wenn euch eures Lebens wegen zu rathen ſtehet, ſo faſſet entweder den Schluß, aufs eiligſte dieſen Ort zu verlaſſen, oder eure, der Sage nach hoͤchſt-geliebte Eleonora gaͤntz- lich, und zwar vermittelſt einer oͤffentlichen Proſtitution zu quittiren. Das letztere wiꝛd eurem, vermuthlich redlichen Gemuͤthe, vielleicht unmoͤglich ſeyn, derowegen uͤberleget das erſte, und bedenckt euer beſtes, denn einer ſolchen Zuſammen-Verſchwoͤrung, als eurent- wegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/226
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/226>, abgerufen am 21.11.2024.