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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Verfassung, die Vorzüge und Schattenseiten der Aktiengesellschaften.
stand zu wählen, die Rechnung zu prüfen, die Gewinnverteilung zu genehmigen. Außer in
besonderen Fällen erscheinen aber die Aktionäre nicht; auch wenn sie erscheinen, bestehen
sie aus Kapitalisten, die sich nicht kennen, die verschiedenen Berufen, Orten, Staaten
angehören. Die meisten Generalversammlungen sind, so lange die Geschäfte gut gehen,
schlecht besuchte Komödien, die von den Leitern der Form wegen rasch abgespielt werden.
Aber die Generalversammlung ist nötig, um eventuell eine schlechte Leitung zu stürzen,
Mißbräuche zur Sprache zu bringen, eine Minoritat der Aktionäre in eine Majorität
zu verwandeln. Sie ist das Organ der Stimmungsausgleichung zwischen den leitenden
Persönlichkeiten und den rentenbeziehenden Kapitalisten.

Der Schwerpunkt jeder Aktiengesellschaft kann nur in einer kleinen Zahl leitender
Persönlichkeiten liegen; sie gliedern sich meist a) in den Vorstand, der aus einem oder
mehreren Direktoren besteht und mit Hülfe von Beamten die laufenden Geschäfte führt,
b) in den Aufsichtsrat, welcher meist den Vorstand wählt, sich häufig versammelt, die
wichtigsten Fragen mit dem Vorstande entscheidet und den letzteren kontrollieren soll.
Alles Gedeihen und alle Blüte der Aktiengesellschaften hängt davon ab, daß in diesen
Organen die rechten Leute sitzen, d. h. Leute mit so viel Geschäftskenntnis, Energie,
Interesse zur Sache und Ehrlichkeit, daß sie mit Geschick, Hingebung und Treue für
die Gesellschaft arbeiten. Sie müssen teils gut bezahlt, teils durch großen Aktienbesitz
interessiert sein; ihre Pflichten müssen privat- und strafrechtlich, durch Instruktionen richtig
bestimmt sein. Sie und die wachsende Zahl der Beamten müssen fähig sein, gute Geschäfte,
technische Fortschritte, organisatorische und kaufmännische Verbesserungen durchzuführen
und doch zugleich sich als Verwalter fremden Vermögens, wie der Rechtsanwalt, der
Vormund, der Konkursverwalter, der Staatsbeamte zu fühlen. Es handelt sich um
das sittliche und pädagogische Problem, ob es möglich sei, Leute zu finden und zu
erziehen, welche Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit mit Energie, Geschäftsklugheit, Organi-
sations- und Spekulationstalent verbinden.

Das Problem ist deshalb so schwierig zu lösen, weil von der Gründung an für
diese Kreise die Möglichkeit vorhanden ist, mit kleinen Unredlichkeiten oder gar nur mit
formal unantastbaren Schlauheiten große Gewinne zu machen. Man gründet Gesell-
schaften, nur um die Aktien mit Agio zu verkaufen, um eigene Kapitalien und Geschäfte
der Aktiengesellschaft hoch anzurechnen; man übernimmt die Leitung, um sich regelmäßigen
einträglichen Absatz oder billigen Kredit oder sonst Vorteile der Art zu verschaffen, um
eine Patronage für Verwandte auszuüben, um Aufsichtsratstantiemen ohne viel Arbeit
einzustreichen, die Ministergehalte übersteigen.

Aber trotz alledem bleibt es wahr, daß seit den Tagen der großen älteren Compagnien
es gut geleitete Aktiengesellschaften gab; es waren die, in welchen die sogenannten
Hauptparticipanten, die großen und reichen Kaufleute, Reeder, Bankiers, welche die
Aktiengesellschaft gegründet hatten, auch dauernd den größeren Teil des Kapitals und die
Haupstellen in der Leitung behielten, sich verantwortlich fühlten. Seit die Gründung
von Aktiengesellschaften arbeitsteilig ein Hauptgeschäft bestimmter großer Banken ge-
worden ist, erscheint es als deren Pflicht und Ehre, für gute und pflichttreue Direktoren
zu sorgen, einen leitenden und kontrollierenden Einfluß zu behalten. Viel kann auch
eine gesunde kaufmännische Presse und die ganze Öffentlichkeit, eine richtig geleitete
Börsenspekulation thun, welche die Aktien je nach der Qualität der guten oder schlechten
Leitung wertet, sowie eine Staatsverwaltung und Rechtsprechung, welche die Mißstände
bekämpft und bestraft. Im ganzen wird man immer sagen können: so sehr die Aktien-
gesellschaften den Reiz zur Spekulation und Agiotage steigerten, große Mißbräuche in der
Gründung und Verwaltung ermöglichten, so ist es doch nach und nach gelungen, anständige
und reelle Gepflogenheiten in den besseren Gesellschaften zum Siege zu bringen, durch
ehrliche Direktoren und Aufsichtsräte, die zugleich Hauptteilhaber und große Geschäfts-
talente waren, die ganze Institution zu legitimieren.

Und so groß die Schattenseiten auch heute noch sein mögen, die Vorteile für die
Volkswirtschaft zeigten sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt stärker. Sie liegen in dem
großen Kapital und Kredit, welche nie von privaten Einzelunternehmern so zu beschaffen

Die Verfaſſung, die Vorzüge und Schattenſeiten der Aktiengeſellſchaften.
ſtand zu wählen, die Rechnung zu prüfen, die Gewinnverteilung zu genehmigen. Außer in
beſonderen Fällen erſcheinen aber die Aktionäre nicht; auch wenn ſie erſcheinen, beſtehen
ſie aus Kapitaliſten, die ſich nicht kennen, die verſchiedenen Berufen, Orten, Staaten
angehören. Die meiſten Generalverſammlungen ſind, ſo lange die Geſchäfte gut gehen,
ſchlecht beſuchte Komödien, die von den Leitern der Form wegen raſch abgeſpielt werden.
Aber die Generalverſammlung iſt nötig, um eventuell eine ſchlechte Leitung zu ſtürzen,
Mißbräuche zur Sprache zu bringen, eine Minoritat der Aktionäre in eine Majorität
zu verwandeln. Sie iſt das Organ der Stimmungsausgleichung zwiſchen den leitenden
Perſönlichkeiten und den rentenbeziehenden Kapitaliſten.

Der Schwerpunkt jeder Aktiengeſellſchaft kann nur in einer kleinen Zahl leitender
Perſönlichkeiten liegen; ſie gliedern ſich meiſt a) in den Vorſtand, der aus einem oder
mehreren Direktoren beſteht und mit Hülfe von Beamten die laufenden Geſchäfte führt,
b) in den Aufſichtsrat, welcher meiſt den Vorſtand wählt, ſich häufig verſammelt, die
wichtigſten Fragen mit dem Vorſtande entſcheidet und den letzteren kontrollieren ſoll.
Alles Gedeihen und alle Blüte der Aktiengeſellſchaften hängt davon ab, daß in dieſen
Organen die rechten Leute ſitzen, d. h. Leute mit ſo viel Geſchäftskenntnis, Energie,
Intereſſe zur Sache und Ehrlichkeit, daß ſie mit Geſchick, Hingebung und Treue für
die Geſellſchaft arbeiten. Sie müſſen teils gut bezahlt, teils durch großen Aktienbeſitz
intereſſiert ſein; ihre Pflichten müſſen privat- und ſtrafrechtlich, durch Inſtruktionen richtig
beſtimmt ſein. Sie und die wachſende Zahl der Beamten müſſen fähig ſein, gute Geſchäfte,
techniſche Fortſchritte, organiſatoriſche und kaufmänniſche Verbeſſerungen durchzuführen
und doch zugleich ſich als Verwalter fremden Vermögens, wie der Rechtsanwalt, der
Vormund, der Konkursverwalter, der Staatsbeamte zu fühlen. Es handelt ſich um
das ſittliche und pädagogiſche Problem, ob es möglich ſei, Leute zu finden und zu
erziehen, welche Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit mit Energie, Geſchäftsklugheit, Organi-
ſations- und Spekulationstalent verbinden.

Das Problem iſt deshalb ſo ſchwierig zu löſen, weil von der Gründung an für
dieſe Kreiſe die Möglichkeit vorhanden iſt, mit kleinen Unredlichkeiten oder gar nur mit
formal unantaſtbaren Schlauheiten große Gewinne zu machen. Man gründet Geſell-
ſchaften, nur um die Aktien mit Agio zu verkaufen, um eigene Kapitalien und Geſchäfte
der Aktiengeſellſchaft hoch anzurechnen; man übernimmt die Leitung, um ſich regelmäßigen
einträglichen Abſatz oder billigen Kredit oder ſonſt Vorteile der Art zu verſchaffen, um
eine Patronage für Verwandte auszuüben, um Aufſichtsratstantiemen ohne viel Arbeit
einzuſtreichen, die Miniſtergehalte überſteigen.

Aber trotz alledem bleibt es wahr, daß ſeit den Tagen der großen älteren Compagnien
es gut geleitete Aktiengeſellſchaften gab; es waren die, in welchen die ſogenannten
Hauptparticipanten, die großen und reichen Kaufleute, Reeder, Bankiers, welche die
Aktiengeſellſchaft gegründet hatten, auch dauernd den größeren Teil des Kapitals und die
Haupſtellen in der Leitung behielten, ſich verantwortlich fühlten. Seit die Gründung
von Aktiengeſellſchaften arbeitsteilig ein Hauptgeſchäft beſtimmter großer Banken ge-
worden iſt, erſcheint es als deren Pflicht und Ehre, für gute und pflichttreue Direktoren
zu ſorgen, einen leitenden und kontrollierenden Einfluß zu behalten. Viel kann auch
eine geſunde kaufmänniſche Preſſe und die ganze Öffentlichkeit, eine richtig geleitete
Börſenſpekulation thun, welche die Aktien je nach der Qualität der guten oder ſchlechten
Leitung wertet, ſowie eine Staatsverwaltung und Rechtſprechung, welche die Mißſtände
bekämpft und beſtraft. Im ganzen wird man immer ſagen können: ſo ſehr die Aktien-
geſellſchaften den Reiz zur Spekulation und Agiotage ſteigerten, große Mißbräuche in der
Gründung und Verwaltung ermöglichten, ſo iſt es doch nach und nach gelungen, anſtändige
und reelle Gepflogenheiten in den beſſeren Geſellſchaften zum Siege zu bringen, durch
ehrliche Direktoren und Aufſichtsräte, die zugleich Hauptteilhaber und große Geſchäfts-
talente waren, die ganze Inſtitution zu legitimieren.

Und ſo groß die Schattenſeiten auch heute noch ſein mögen, die Vorteile für die
Volkswirtſchaft zeigten ſich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ſtärker. Sie liegen in dem
großen Kapital und Kredit, welche nie von privaten Einzelunternehmern ſo zu beſchaffen

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[443/0459] Die Verfaſſung, die Vorzüge und Schattenſeiten der Aktiengeſellſchaften. ſtand zu wählen, die Rechnung zu prüfen, die Gewinnverteilung zu genehmigen. Außer in beſonderen Fällen erſcheinen aber die Aktionäre nicht; auch wenn ſie erſcheinen, beſtehen ſie aus Kapitaliſten, die ſich nicht kennen, die verſchiedenen Berufen, Orten, Staaten angehören. Die meiſten Generalverſammlungen ſind, ſo lange die Geſchäfte gut gehen, ſchlecht beſuchte Komödien, die von den Leitern der Form wegen raſch abgeſpielt werden. Aber die Generalverſammlung iſt nötig, um eventuell eine ſchlechte Leitung zu ſtürzen, Mißbräuche zur Sprache zu bringen, eine Minoritat der Aktionäre in eine Majorität zu verwandeln. Sie iſt das Organ der Stimmungsausgleichung zwiſchen den leitenden Perſönlichkeiten und den rentenbeziehenden Kapitaliſten. Der Schwerpunkt jeder Aktiengeſellſchaft kann nur in einer kleinen Zahl leitender Perſönlichkeiten liegen; ſie gliedern ſich meiſt a) in den Vorſtand, der aus einem oder mehreren Direktoren beſteht und mit Hülfe von Beamten die laufenden Geſchäfte führt, b) in den Aufſichtsrat, welcher meiſt den Vorſtand wählt, ſich häufig verſammelt, die wichtigſten Fragen mit dem Vorſtande entſcheidet und den letzteren kontrollieren ſoll. Alles Gedeihen und alle Blüte der Aktiengeſellſchaften hängt davon ab, daß in dieſen Organen die rechten Leute ſitzen, d. h. Leute mit ſo viel Geſchäftskenntnis, Energie, Intereſſe zur Sache und Ehrlichkeit, daß ſie mit Geſchick, Hingebung und Treue für die Geſellſchaft arbeiten. Sie müſſen teils gut bezahlt, teils durch großen Aktienbeſitz intereſſiert ſein; ihre Pflichten müſſen privat- und ſtrafrechtlich, durch Inſtruktionen richtig beſtimmt ſein. Sie und die wachſende Zahl der Beamten müſſen fähig ſein, gute Geſchäfte, techniſche Fortſchritte, organiſatoriſche und kaufmänniſche Verbeſſerungen durchzuführen und doch zugleich ſich als Verwalter fremden Vermögens, wie der Rechtsanwalt, der Vormund, der Konkursverwalter, der Staatsbeamte zu fühlen. Es handelt ſich um das ſittliche und pädagogiſche Problem, ob es möglich ſei, Leute zu finden und zu erziehen, welche Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit mit Energie, Geſchäftsklugheit, Organi- ſations- und Spekulationstalent verbinden. Das Problem iſt deshalb ſo ſchwierig zu löſen, weil von der Gründung an für dieſe Kreiſe die Möglichkeit vorhanden iſt, mit kleinen Unredlichkeiten oder gar nur mit formal unantaſtbaren Schlauheiten große Gewinne zu machen. Man gründet Geſell- ſchaften, nur um die Aktien mit Agio zu verkaufen, um eigene Kapitalien und Geſchäfte der Aktiengeſellſchaft hoch anzurechnen; man übernimmt die Leitung, um ſich regelmäßigen einträglichen Abſatz oder billigen Kredit oder ſonſt Vorteile der Art zu verſchaffen, um eine Patronage für Verwandte auszuüben, um Aufſichtsratstantiemen ohne viel Arbeit einzuſtreichen, die Miniſtergehalte überſteigen. Aber trotz alledem bleibt es wahr, daß ſeit den Tagen der großen älteren Compagnien es gut geleitete Aktiengeſellſchaften gab; es waren die, in welchen die ſogenannten Hauptparticipanten, die großen und reichen Kaufleute, Reeder, Bankiers, welche die Aktiengeſellſchaft gegründet hatten, auch dauernd den größeren Teil des Kapitals und die Haupſtellen in der Leitung behielten, ſich verantwortlich fühlten. Seit die Gründung von Aktiengeſellſchaften arbeitsteilig ein Hauptgeſchäft beſtimmter großer Banken ge- worden iſt, erſcheint es als deren Pflicht und Ehre, für gute und pflichttreue Direktoren zu ſorgen, einen leitenden und kontrollierenden Einfluß zu behalten. Viel kann auch eine geſunde kaufmänniſche Preſſe und die ganze Öffentlichkeit, eine richtig geleitete Börſenſpekulation thun, welche die Aktien je nach der Qualität der guten oder ſchlechten Leitung wertet, ſowie eine Staatsverwaltung und Rechtſprechung, welche die Mißſtände bekämpft und beſtraft. Im ganzen wird man immer ſagen können: ſo ſehr die Aktien- geſellſchaften den Reiz zur Spekulation und Agiotage ſteigerten, große Mißbräuche in der Gründung und Verwaltung ermöglichten, ſo iſt es doch nach und nach gelungen, anſtändige und reelle Gepflogenheiten in den beſſeren Geſellſchaften zum Siege zu bringen, durch ehrliche Direktoren und Aufſichtsräte, die zugleich Hauptteilhaber und große Geſchäfts- talente waren, die ganze Inſtitution zu legitimieren. Und ſo groß die Schattenſeiten auch heute noch ſein mögen, die Vorteile für die Volkswirtſchaft zeigten ſich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ſtärker. Sie liegen in dem großen Kapital und Kredit, welche nie von privaten Einzelunternehmern ſo zu beſchaffen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/459>, abgerufen am 26.04.2024.