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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Antike und moderne Eigentumsentwickelung.

Nur unter bestimmten Voraussetzungen werden die heutigen Eigentumsverhältnisse
des Grundeigentums unhaltbare: wenn der größere und mittlere Besitz seiner öffentlichen
Pflichten ganz vergißt, wenn die Mehrzahl der größeren Grundeigentümer zu bloß
genießenden Rentiers herabsinkt, wenn und wo ungesunde Zwergpachtverhältnisse oder
eine allgemeine Überschuldung siegen oder ganz überwiegend werden. Diesen Gefahren
kann entgegengearbeitet werden, und wird es längst, wie wir oben schon ausführten.
Der ältere Bauernschutz, unsere Ablösungsgesetze, unser neueres Anerbenrecht gehören
hieher. Über Erschwerung der Verschuldung verhandeln wir heute, mehr wird noch in
Zukunft geschehen. Im Osten der preußischen Monarchie hat man mit Erfolg begonnen,
unter Mitwirkung staatlicher Behörden und staatlichen Kredits zahlreiche mittlere und
kleine Bauernstellen zu schaffen. Die Anhäufung des zu großen Grundbesitzes in einer
Hand sollte erschwert, jedenfalls an Bedingungen im Interesse socialer Reform geknüpft
werden. Es könnte verfügt werden, daß die bestehenden mittleren Besitzungen ohne
genügende Gründe nicht verpachtet, sondern von Eigentümern bewirtschaftet werden
müssen, daß sie über ein Maximum nicht vergrößert, unter ein Minimum nicht ver-
kleinert werden dürfen, daß von solchen Besitzungen nur eine in derselben Hand sein
darf. Ansätze zu solcher Rechtsbildung haben wir in verschiedenen Staaten und in
der kolonialen Landgesetzgebung. Ein größerer Teil des Grund und Bodens kann
daneben ganz dem freien Verkehr überlassen bleiben.

Aller Grundbesitz, ebenso aller Haus-, Fabrik-, Bergwerksbesitz wird in steigendem
Maße in seiner Nutzung gesetzlichen Schranken im Gesamtinteresse unterworfen. Und
doch bleibt daneben der Verkehr damit frei; ein immer größerer Teil des heutigen Ver-
mögens ist nicht ererbt, sondern erworben; je beweglicher unsere Volkswirtschaft
geworden, desto weniger kann der Unfähige und Faule im ganzen sich halten. Freilich
verschwinden die Ausnahmen nicht, freilich hören glückliche Zufälle und Konjunkturen
nicht auf, den Dummen und Trägen einmal das große Los treffen zu lassen, und
überträgt das Erbrecht immer wieder die Vermögensverteilung der alten Generation,
ohne Rücksicht auf die Eigenschaften, auf die jüngere. Aber das sind keine Einwürfe,
die schwerwiegend genug gegenüber den entgegenstehenden günstigen Folgen wären. Nur
darf man als Ideal einer gerechten und durchführbaren Eigentumsordnung nicht eine
solche aufstellen, die jedem Individuum gleich viel oder in jedem Augenblick nach seinem
persönlichen Verdienst giebt. Soweit letzteres indirekt möglich ist, müssen die Institutionen
darauf hinwirken, direkt aber ist dies nie möglich, weil dazu eine allwissende Behörde
gehörte, deren Wirken doch von den einzelnen als ungerechter Despotismus empfunden
würde. Hauptsächlich ist aber nicht das augenblickliche Einzelinteresse aller Individuen der
richtige Maßstab, sondern das gesellschaftliche Gesamtinteresse in Gegenwart und Zukunft.

Dies kann daher auch allein maßgebend für die Frage sein, ob und wo Staat
und Gemeinde oder öffentliche von ihnen halb abhängige Anstalten, ob und wo
Stiftungen, Gesellschaften, Genossenschaften die Verwaltung eines steigenden Teils
alles Eigentums in den verschiedensten Rechtsformen den Individuen und Familien
abnehmen.

Aber es wird auch in Zukunft wie bisher eine breite Sphäre des Eigentums der
Individuen bestehen bleiben neben dem des Staates und der anderen höheren socialen
Organe; es liegt im Wesen des Individuums und der Gesellschaft, daß dem so sein muß.
So lange es Menschen giebt, wird es individuelles Eigentum geben, es ist nur erweitertes
Organ des Willens; menschliche und berufliche Ausbildung ist unmöglich ohne eine
freie Eigentumssphäre. Alle höhere Ausbildung der Individualität setzt die höhere,
sichere Ausbildung einer gewissen individuellen Sphäre der Freiheit d. h. des Eigentums
voraus. Und vollends wer daran festhält, daß eine gewisse aristokratische Gliederung
der Gesellschaft sich immer erhalten wird, kann auch in einer entsprechenden aristokratischen
Eigentumsverteilung nur die Konsequenz eines Gedankens sehen, dessen Ausschreitungen
man bekämpfen muß, der aber an sich nicht verschwinden wird.

Ebenso aber schließt alle höhere Staats- und Gesellschaftsverfassung gemeinschaft-
liches Eigentum und bestimmte Rechte der Gemeinschaft über das individuelle Eigentum

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Antike und moderne Eigentumsentwickelung.

Nur unter beſtimmten Vorausſetzungen werden die heutigen Eigentumsverhältniſſe
des Grundeigentums unhaltbare: wenn der größere und mittlere Beſitz ſeiner öffentlichen
Pflichten ganz vergißt, wenn die Mehrzahl der größeren Grundeigentümer zu bloß
genießenden Rentiers herabſinkt, wenn und wo ungeſunde Zwergpachtverhältniſſe oder
eine allgemeine Überſchuldung ſiegen oder ganz überwiegend werden. Dieſen Gefahren
kann entgegengearbeitet werden, und wird es längſt, wie wir oben ſchon ausführten.
Der ältere Bauernſchutz, unſere Ablöſungsgeſetze, unſer neueres Anerbenrecht gehören
hieher. Über Erſchwerung der Verſchuldung verhandeln wir heute, mehr wird noch in
Zukunft geſchehen. Im Oſten der preußiſchen Monarchie hat man mit Erfolg begonnen,
unter Mitwirkung ſtaatlicher Behörden und ſtaatlichen Kredits zahlreiche mittlere und
kleine Bauernſtellen zu ſchaffen. Die Anhäufung des zu großen Grundbeſitzes in einer
Hand ſollte erſchwert, jedenfalls an Bedingungen im Intereſſe ſocialer Reform geknüpft
werden. Es könnte verfügt werden, daß die beſtehenden mittleren Beſitzungen ohne
genügende Gründe nicht verpachtet, ſondern von Eigentümern bewirtſchaftet werden
müſſen, daß ſie über ein Maximum nicht vergrößert, unter ein Minimum nicht ver-
kleinert werden dürfen, daß von ſolchen Beſitzungen nur eine in derſelben Hand ſein
darf. Anſätze zu ſolcher Rechtsbildung haben wir in verſchiedenen Staaten und in
der kolonialen Landgeſetzgebung. Ein größerer Teil des Grund und Bodens kann
daneben ganz dem freien Verkehr überlaſſen bleiben.

Aller Grundbeſitz, ebenſo aller Haus-, Fabrik-, Bergwerksbeſitz wird in ſteigendem
Maße in ſeiner Nutzung geſetzlichen Schranken im Geſamtintereſſe unterworfen. Und
doch bleibt daneben der Verkehr damit frei; ein immer größerer Teil des heutigen Ver-
mögens iſt nicht ererbt, ſondern erworben; je beweglicher unſere Volkswirtſchaft
geworden, deſto weniger kann der Unfähige und Faule im ganzen ſich halten. Freilich
verſchwinden die Ausnahmen nicht, freilich hören glückliche Zufälle und Konjunkturen
nicht auf, den Dummen und Trägen einmal das große Los treffen zu laſſen, und
überträgt das Erbrecht immer wieder die Vermögensverteilung der alten Generation,
ohne Rückſicht auf die Eigenſchaften, auf die jüngere. Aber das ſind keine Einwürfe,
die ſchwerwiegend genug gegenüber den entgegenſtehenden günſtigen Folgen wären. Nur
darf man als Ideal einer gerechten und durchführbaren Eigentumsordnung nicht eine
ſolche aufſtellen, die jedem Individuum gleich viel oder in jedem Augenblick nach ſeinem
perſönlichen Verdienſt giebt. Soweit letzteres indirekt möglich iſt, müſſen die Inſtitutionen
darauf hinwirken, direkt aber iſt dies nie möglich, weil dazu eine allwiſſende Behörde
gehörte, deren Wirken doch von den einzelnen als ungerechter Despotismus empfunden
würde. Hauptſächlich iſt aber nicht das augenblickliche Einzelintereſſe aller Individuen der
richtige Maßſtab, ſondern das geſellſchaftliche Geſamtintereſſe in Gegenwart und Zukunft.

Dies kann daher auch allein maßgebend für die Frage ſein, ob und wo Staat
und Gemeinde oder öffentliche von ihnen halb abhängige Anſtalten, ob und wo
Stiftungen, Geſellſchaften, Genoſſenſchaften die Verwaltung eines ſteigenden Teils
alles Eigentums in den verſchiedenſten Rechtsformen den Individuen und Familien
abnehmen.

Aber es wird auch in Zukunft wie bisher eine breite Sphäre des Eigentums der
Individuen beſtehen bleiben neben dem des Staates und der anderen höheren ſocialen
Organe; es liegt im Weſen des Individuums und der Geſellſchaft, daß dem ſo ſein muß.
So lange es Menſchen giebt, wird es individuelles Eigentum geben, es iſt nur erweitertes
Organ des Willens; menſchliche und berufliche Ausbildung iſt unmöglich ohne eine
freie Eigentumsſphäre. Alle höhere Ausbildung der Individualität ſetzt die höhere,
ſichere Ausbildung einer gewiſſen individuellen Sphäre der Freiheit d. h. des Eigentums
voraus. Und vollends wer daran feſthält, daß eine gewiſſe ariſtokratiſche Gliederung
der Geſellſchaft ſich immer erhalten wird, kann auch in einer entſprechenden ariſtokratiſchen
Eigentumsverteilung nur die Konſequenz eines Gedankens ſehen, deſſen Ausſchreitungen
man bekämpfen muß, der aber an ſich nicht verſchwinden wird.

Ebenſo aber ſchließt alle höhere Staats- und Geſellſchaftsverfaſſung gemeinſchaft-
liches Eigentum und beſtimmte Rechte der Gemeinſchaft über das individuelle Eigentum

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[387/0403] Antike und moderne Eigentumsentwickelung. Nur unter beſtimmten Vorausſetzungen werden die heutigen Eigentumsverhältniſſe des Grundeigentums unhaltbare: wenn der größere und mittlere Beſitz ſeiner öffentlichen Pflichten ganz vergißt, wenn die Mehrzahl der größeren Grundeigentümer zu bloß genießenden Rentiers herabſinkt, wenn und wo ungeſunde Zwergpachtverhältniſſe oder eine allgemeine Überſchuldung ſiegen oder ganz überwiegend werden. Dieſen Gefahren kann entgegengearbeitet werden, und wird es längſt, wie wir oben ſchon ausführten. Der ältere Bauernſchutz, unſere Ablöſungsgeſetze, unſer neueres Anerbenrecht gehören hieher. Über Erſchwerung der Verſchuldung verhandeln wir heute, mehr wird noch in Zukunft geſchehen. Im Oſten der preußiſchen Monarchie hat man mit Erfolg begonnen, unter Mitwirkung ſtaatlicher Behörden und ſtaatlichen Kredits zahlreiche mittlere und kleine Bauernſtellen zu ſchaffen. Die Anhäufung des zu großen Grundbeſitzes in einer Hand ſollte erſchwert, jedenfalls an Bedingungen im Intereſſe ſocialer Reform geknüpft werden. Es könnte verfügt werden, daß die beſtehenden mittleren Beſitzungen ohne genügende Gründe nicht verpachtet, ſondern von Eigentümern bewirtſchaftet werden müſſen, daß ſie über ein Maximum nicht vergrößert, unter ein Minimum nicht ver- kleinert werden dürfen, daß von ſolchen Beſitzungen nur eine in derſelben Hand ſein darf. Anſätze zu ſolcher Rechtsbildung haben wir in verſchiedenen Staaten und in der kolonialen Landgeſetzgebung. Ein größerer Teil des Grund und Bodens kann daneben ganz dem freien Verkehr überlaſſen bleiben. Aller Grundbeſitz, ebenſo aller Haus-, Fabrik-, Bergwerksbeſitz wird in ſteigendem Maße in ſeiner Nutzung geſetzlichen Schranken im Geſamtintereſſe unterworfen. Und doch bleibt daneben der Verkehr damit frei; ein immer größerer Teil des heutigen Ver- mögens iſt nicht ererbt, ſondern erworben; je beweglicher unſere Volkswirtſchaft geworden, deſto weniger kann der Unfähige und Faule im ganzen ſich halten. Freilich verſchwinden die Ausnahmen nicht, freilich hören glückliche Zufälle und Konjunkturen nicht auf, den Dummen und Trägen einmal das große Los treffen zu laſſen, und überträgt das Erbrecht immer wieder die Vermögensverteilung der alten Generation, ohne Rückſicht auf die Eigenſchaften, auf die jüngere. Aber das ſind keine Einwürfe, die ſchwerwiegend genug gegenüber den entgegenſtehenden günſtigen Folgen wären. Nur darf man als Ideal einer gerechten und durchführbaren Eigentumsordnung nicht eine ſolche aufſtellen, die jedem Individuum gleich viel oder in jedem Augenblick nach ſeinem perſönlichen Verdienſt giebt. Soweit letzteres indirekt möglich iſt, müſſen die Inſtitutionen darauf hinwirken, direkt aber iſt dies nie möglich, weil dazu eine allwiſſende Behörde gehörte, deren Wirken doch von den einzelnen als ungerechter Despotismus empfunden würde. Hauptſächlich iſt aber nicht das augenblickliche Einzelintereſſe aller Individuen der richtige Maßſtab, ſondern das geſellſchaftliche Geſamtintereſſe in Gegenwart und Zukunft. Dies kann daher auch allein maßgebend für die Frage ſein, ob und wo Staat und Gemeinde oder öffentliche von ihnen halb abhängige Anſtalten, ob und wo Stiftungen, Geſellſchaften, Genoſſenſchaften die Verwaltung eines ſteigenden Teils alles Eigentums in den verſchiedenſten Rechtsformen den Individuen und Familien abnehmen. Aber es wird auch in Zukunft wie bisher eine breite Sphäre des Eigentums der Individuen beſtehen bleiben neben dem des Staates und der anderen höheren ſocialen Organe; es liegt im Weſen des Individuums und der Geſellſchaft, daß dem ſo ſein muß. So lange es Menſchen giebt, wird es individuelles Eigentum geben, es iſt nur erweitertes Organ des Willens; menſchliche und berufliche Ausbildung iſt unmöglich ohne eine freie Eigentumsſphäre. Alle höhere Ausbildung der Individualität ſetzt die höhere, ſichere Ausbildung einer gewiſſen individuellen Sphäre der Freiheit d. h. des Eigentums voraus. Und vollends wer daran feſthält, daß eine gewiſſe ariſtokratiſche Gliederung der Geſellſchaft ſich immer erhalten wird, kann auch in einer entſprechenden ariſtokratiſchen Eigentumsverteilung nur die Konſequenz eines Gedankens ſehen, deſſen Ausſchreitungen man bekämpfen muß, der aber an ſich nicht verſchwinden wird. Ebenſo aber ſchließt alle höhere Staats- und Geſellſchaftsverfaſſung gemeinſchaft- liches Eigentum und beſtimmte Rechte der Gemeinſchaft über das individuelle Eigentum 25*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/403>, abgerufen am 26.04.2024.