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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
auch für die gemeinsam zu tragenden Lasten kräftig genug zu machen; stets ist im selben
Dorfe eine Besitzung genau so groß wie die andere; in den verschiedenen Gegenden sind
sie je nach Bodengüte und Wirtschaftsart verschieden groß; alle sind spannfähig, ermög-
lichen die Haltung von 2, 4 oder 8 Pferden. Jede umfaßt die Hausstelle, den Hof, das
nahe gelegene Gartenland als festes Eigentum, das zugewiesene, in den Gewannendörfern
im Gemenge liegende Ackerland als festes, erbliches Nutzungsrecht, endlich das Mit-
benutzungsrecht von Wald und Weide, von Fischwasser und Jagd als ideellen Anteil an
der Allmende, an dem mark- oder dorfgenossenschaftlichen Gemeinbesitz. Der gesamte Besitz.
heißt, wie wir schon sahen, die Hufe, englisch hide, er umfaßt 15--50 ha, wovon im
Anfange und auf besserem Boden meist nur 8 ha unter dem Pfluge waren.

Wenn offenbar von Anfang an da und dort Mehrhufner vorkommen, d. h. An-
gesehenen mehrere Hufen schon bei der ersten Verteilung zugewiesen wurden, wenn früh
die Halb- und Viertelhufner durch Erbteilung entstanden, und sie in vielen Gegenden
bereits im 16. Jahrhundert die Mehrheit ausmachen, so ist doch der ganz überwiegende
Charakter der Hufenverfassung der der Gleichheit, das dauernde Vorherrschen von spann-
fähigen Besitzungen, die ihren Mann voll ernähren und beschäftigen. So lange über-
flüssiger Boden in Menge vorhanden war, hat man den jüngeren Söhnen die Errichtung
neuer Hufen gestattet. Aber als dies nicht mehr möglich war, hat man in den meisten
germanischen Ländern doch auf Erhaltung der Hufenverfassung, d. h. spannfähiger Nah-
rungen hingewirkt. Sie lagen im Interesse des öffentlichen Kriegsdienstes (die karo-
lingische Heeresverfassung baute sich auf ihr auf), wie später der Grundherren. Die
Familie verwuchs mit der Hufe; gewisse Schranken hinderten die Teilung und Ver-
äußerung; es bildete sich nach und nach das besondere bäuerliche Individualerbrecht
mit Bevorzugung eines Erben aus. Die ganze Institution ruhte auf dem Gedanken
des Familieneigentums, der Hufe als normaler Wirtschaftseinheit, die durch den Lauf
der Generationen erhalten werden sollte. Und die Wirkung war im ganzen eine so
starke, daß trotz der mannigfachsten Wandlungen, Bevölkerungszu- und -abnahmen,
Bauernbedrückungen und -beraubungen in einem großen Teile Europas sich im Anschluß
an diese 12--15 Jahrhunderte alte Hufenverfassung ein Eigentum von 7,5--50 ha als
vorherrschend bis heute erhalten hat.

Es war eine Verfassung, welche in ihrem Ursprunge demokratischen Charakter hat,
nur aus den socialen und politischen Anschauungen der betreffenden Völker und ihrer
technischen Wirtschaftsstufe sich ganz erklären läßt, in ihrer Konsequenz aber eine aristo-
kratische Färbung erhielt: für die wachsende Bevölkerung blieb kein Raum für immer
weitere Hufenbildung: die jüngeren, überzähligen Söhne mußten abwandern oder sich
außerhalb der Flur auf einem Stück Gartenland oft ohne Gespann als Kossäten ansiedeln
oder gar als Kätner, Häusler, Büdner mit einem Gartenstück sich begnügen oder auch
als Pächter kleine Stellen übernehmen und zugleich beim Bauern auf Arbeit gehen
(Heuerlinge), endlich als in natura bezahlte Tagelöhner (Instleute) eine Existenz suchen.
Wo in älterer Zeit in den eigentlich germanischen Gebieten periodische Neuvermessungen
und -verteilungen vorkommen, haben sie nicht den Zweck, an alle Gemeindeglieder gleiche
Anteile auf Kosten der älteren größeren Stellen zu geben, sondern nur den einer besseren
Einteilung der Gewanne, einer Zusammenlegung der dem einzelnen gehörigen Grundstücke.
Das ist auch das Grundprincip der neueren Güterzusammenlegungs-, Separations-,
Arrondierungs-, Feldwegregulierungsmaßregeln und -gesetze von 1770 bis zur Gegenwart.

Nicht auf demselben principiellen Boden steht die eigentümliche agrarische Ent-
wickelung in Irland und Schottland, sowie in den slavischen Ländern. Die irischen und
schottischen Kelten haben eine ausgebildete Klanverfassung mit starker Verfügungsgewalt
des Häuptlings gehabt: in Schottland erhielt sich lange eine gemeinsame Bearbeitung
des Bodens und Verteilung der Nahrung durch den Häuptling. In Irland war es
noch 1605 eigentlich rechtens, daß jedes Landlos nach dem Tode des Inhabers von
dem Häuptlinge eingezogen und an die Mitglieder der Sept verteilt wurde; der Haupt-
gewährsmann hiefür, Dawis, führt damals schon die trostlose Wirtschaft und die Klein-
heit der Stellen darauf zurück. In Wahrheit aber beruhte diese Kleinheit damals schon

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
auch für die gemeinſam zu tragenden Laſten kräftig genug zu machen; ſtets iſt im ſelben
Dorfe eine Beſitzung genau ſo groß wie die andere; in den verſchiedenen Gegenden ſind
ſie je nach Bodengüte und Wirtſchaftsart verſchieden groß; alle ſind ſpannfähig, ermög-
lichen die Haltung von 2, 4 oder 8 Pferden. Jede umfaßt die Hausſtelle, den Hof, das
nahe gelegene Gartenland als feſtes Eigentum, das zugewieſene, in den Gewannendörfern
im Gemenge liegende Ackerland als feſtes, erbliches Nutzungsrecht, endlich das Mit-
benutzungsrecht von Wald und Weide, von Fiſchwaſſer und Jagd als ideellen Anteil an
der Allmende, an dem mark- oder dorfgenoſſenſchaftlichen Gemeinbeſitz. Der geſamte Beſitz.
heißt, wie wir ſchon ſahen, die Hufe, engliſch hide, er umfaßt 15—50 ha, wovon im
Anfange und auf beſſerem Boden meiſt nur 8 ha unter dem Pfluge waren.

Wenn offenbar von Anfang an da und dort Mehrhufner vorkommen, d. h. An-
geſehenen mehrere Hufen ſchon bei der erſten Verteilung zugewieſen wurden, wenn früh
die Halb- und Viertelhufner durch Erbteilung entſtanden, und ſie in vielen Gegenden
bereits im 16. Jahrhundert die Mehrheit ausmachen, ſo iſt doch der ganz überwiegende
Charakter der Hufenverfaſſung der der Gleichheit, das dauernde Vorherrſchen von ſpann-
fähigen Beſitzungen, die ihren Mann voll ernähren und beſchäftigen. So lange über-
flüſſiger Boden in Menge vorhanden war, hat man den jüngeren Söhnen die Errichtung
neuer Hufen geſtattet. Aber als dies nicht mehr möglich war, hat man in den meiſten
germaniſchen Ländern doch auf Erhaltung der Hufenverfaſſung, d. h. ſpannfähiger Nah-
rungen hingewirkt. Sie lagen im Intereſſe des öffentlichen Kriegsdienſtes (die karo-
lingiſche Heeresverfaſſung baute ſich auf ihr auf), wie ſpäter der Grundherren. Die
Familie verwuchs mit der Hufe; gewiſſe Schranken hinderten die Teilung und Ver-
äußerung; es bildete ſich nach und nach das beſondere bäuerliche Individualerbrecht
mit Bevorzugung eines Erben aus. Die ganze Inſtitution ruhte auf dem Gedanken
des Familieneigentums, der Hufe als normaler Wirtſchaftseinheit, die durch den Lauf
der Generationen erhalten werden ſollte. Und die Wirkung war im ganzen eine ſo
ſtarke, daß trotz der mannigfachſten Wandlungen, Bevölkerungszu- und -abnahmen,
Bauernbedrückungen und -beraubungen in einem großen Teile Europas ſich im Anſchluß
an dieſe 12—15 Jahrhunderte alte Hufenverfaſſung ein Eigentum von 7,5—50 ha als
vorherrſchend bis heute erhalten hat.

Es war eine Verfaſſung, welche in ihrem Urſprunge demokratiſchen Charakter hat,
nur aus den ſocialen und politiſchen Anſchauungen der betreffenden Völker und ihrer
techniſchen Wirtſchaftsſtufe ſich ganz erklären läßt, in ihrer Konſequenz aber eine ariſto-
kratiſche Färbung erhielt: für die wachſende Bevölkerung blieb kein Raum für immer
weitere Hufenbildung: die jüngeren, überzähligen Söhne mußten abwandern oder ſich
außerhalb der Flur auf einem Stück Gartenland oft ohne Geſpann als Koſſäten anſiedeln
oder gar als Kätner, Häusler, Büdner mit einem Gartenſtück ſich begnügen oder auch
als Pächter kleine Stellen übernehmen und zugleich beim Bauern auf Arbeit gehen
(Heuerlinge), endlich als in natura bezahlte Tagelöhner (Inſtleute) eine Exiſtenz ſuchen.
Wo in älterer Zeit in den eigentlich germaniſchen Gebieten periodiſche Neuvermeſſungen
und -verteilungen vorkommen, haben ſie nicht den Zweck, an alle Gemeindeglieder gleiche
Anteile auf Koſten der älteren größeren Stellen zu geben, ſondern nur den einer beſſeren
Einteilung der Gewanne, einer Zuſammenlegung der dem einzelnen gehörigen Grundſtücke.
Das iſt auch das Grundprincip der neueren Güterzuſammenlegungs-, Separations-,
Arrondierungs-, Feldwegregulierungsmaßregeln und -geſetze von 1770 bis zur Gegenwart.

Nicht auf demſelben principiellen Boden ſteht die eigentümliche agrariſche Ent-
wickelung in Irland und Schottland, ſowie in den ſlaviſchen Ländern. Die iriſchen und
ſchottiſchen Kelten haben eine ausgebildete Klanverfaſſung mit ſtarker Verfügungsgewalt
des Häuptlings gehabt: in Schottland erhielt ſich lange eine gemeinſame Bearbeitung
des Bodens und Verteilung der Nahrung durch den Häuptling. In Irland war es
noch 1605 eigentlich rechtens, daß jedes Landlos nach dem Tode des Inhabers von
dem Häuptlinge eingezogen und an die Mitglieder der Sept verteilt wurde; der Haupt-
gewährsmann hiefür, Dawis, führt damals ſchon die troſtloſe Wirtſchaft und die Klein-
heit der Stellen darauf zurück. In Wahrheit aber beruhte dieſe Kleinheit damals ſchon

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[374/0390] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. auch für die gemeinſam zu tragenden Laſten kräftig genug zu machen; ſtets iſt im ſelben Dorfe eine Beſitzung genau ſo groß wie die andere; in den verſchiedenen Gegenden ſind ſie je nach Bodengüte und Wirtſchaftsart verſchieden groß; alle ſind ſpannfähig, ermög- lichen die Haltung von 2, 4 oder 8 Pferden. Jede umfaßt die Hausſtelle, den Hof, das nahe gelegene Gartenland als feſtes Eigentum, das zugewieſene, in den Gewannendörfern im Gemenge liegende Ackerland als feſtes, erbliches Nutzungsrecht, endlich das Mit- benutzungsrecht von Wald und Weide, von Fiſchwaſſer und Jagd als ideellen Anteil an der Allmende, an dem mark- oder dorfgenoſſenſchaftlichen Gemeinbeſitz. Der geſamte Beſitz. heißt, wie wir ſchon ſahen, die Hufe, engliſch hide, er umfaßt 15—50 ha, wovon im Anfange und auf beſſerem Boden meiſt nur 8 ha unter dem Pfluge waren. Wenn offenbar von Anfang an da und dort Mehrhufner vorkommen, d. h. An- geſehenen mehrere Hufen ſchon bei der erſten Verteilung zugewieſen wurden, wenn früh die Halb- und Viertelhufner durch Erbteilung entſtanden, und ſie in vielen Gegenden bereits im 16. Jahrhundert die Mehrheit ausmachen, ſo iſt doch der ganz überwiegende Charakter der Hufenverfaſſung der der Gleichheit, das dauernde Vorherrſchen von ſpann- fähigen Beſitzungen, die ihren Mann voll ernähren und beſchäftigen. So lange über- flüſſiger Boden in Menge vorhanden war, hat man den jüngeren Söhnen die Errichtung neuer Hufen geſtattet. Aber als dies nicht mehr möglich war, hat man in den meiſten germaniſchen Ländern doch auf Erhaltung der Hufenverfaſſung, d. h. ſpannfähiger Nah- rungen hingewirkt. Sie lagen im Intereſſe des öffentlichen Kriegsdienſtes (die karo- lingiſche Heeresverfaſſung baute ſich auf ihr auf), wie ſpäter der Grundherren. Die Familie verwuchs mit der Hufe; gewiſſe Schranken hinderten die Teilung und Ver- äußerung; es bildete ſich nach und nach das beſondere bäuerliche Individualerbrecht mit Bevorzugung eines Erben aus. Die ganze Inſtitution ruhte auf dem Gedanken des Familieneigentums, der Hufe als normaler Wirtſchaftseinheit, die durch den Lauf der Generationen erhalten werden ſollte. Und die Wirkung war im ganzen eine ſo ſtarke, daß trotz der mannigfachſten Wandlungen, Bevölkerungszu- und -abnahmen, Bauernbedrückungen und -beraubungen in einem großen Teile Europas ſich im Anſchluß an dieſe 12—15 Jahrhunderte alte Hufenverfaſſung ein Eigentum von 7,5—50 ha als vorherrſchend bis heute erhalten hat. Es war eine Verfaſſung, welche in ihrem Urſprunge demokratiſchen Charakter hat, nur aus den ſocialen und politiſchen Anſchauungen der betreffenden Völker und ihrer techniſchen Wirtſchaftsſtufe ſich ganz erklären läßt, in ihrer Konſequenz aber eine ariſto- kratiſche Färbung erhielt: für die wachſende Bevölkerung blieb kein Raum für immer weitere Hufenbildung: die jüngeren, überzähligen Söhne mußten abwandern oder ſich außerhalb der Flur auf einem Stück Gartenland oft ohne Geſpann als Koſſäten anſiedeln oder gar als Kätner, Häusler, Büdner mit einem Gartenſtück ſich begnügen oder auch als Pächter kleine Stellen übernehmen und zugleich beim Bauern auf Arbeit gehen (Heuerlinge), endlich als in natura bezahlte Tagelöhner (Inſtleute) eine Exiſtenz ſuchen. Wo in älterer Zeit in den eigentlich germaniſchen Gebieten periodiſche Neuvermeſſungen und -verteilungen vorkommen, haben ſie nicht den Zweck, an alle Gemeindeglieder gleiche Anteile auf Koſten der älteren größeren Stellen zu geben, ſondern nur den einer beſſeren Einteilung der Gewanne, einer Zuſammenlegung der dem einzelnen gehörigen Grundſtücke. Das iſt auch das Grundprincip der neueren Güterzuſammenlegungs-, Separations-, Arrondierungs-, Feldwegregulierungsmaßregeln und -geſetze von 1770 bis zur Gegenwart. Nicht auf demſelben principiellen Boden ſteht die eigentümliche agrariſche Ent- wickelung in Irland und Schottland, ſowie in den ſlaviſchen Ländern. Die iriſchen und ſchottiſchen Kelten haben eine ausgebildete Klanverfaſſung mit ſtarker Verfügungsgewalt des Häuptlings gehabt: in Schottland erhielt ſich lange eine gemeinſame Bearbeitung des Bodens und Verteilung der Nahrung durch den Häuptling. In Irland war es noch 1605 eigentlich rechtens, daß jedes Landlos nach dem Tode des Inhabers von dem Häuptlinge eingezogen und an die Mitglieder der Sept verteilt wurde; der Haupt- gewährsmann hiefür, Dawis, führt damals ſchon die troſtloſe Wirtſchaft und die Klein- heit der Stellen darauf zurück. In Wahrheit aber beruhte dieſe Kleinheit damals ſchon

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/390>, abgerufen am 27.04.2024.