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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
sächlich aber aus den jüngeren Söhnen des Mittelstandes sich rekrutiert. Die liberalen
Berufe haben dem ganzen Mittelstande, der sonst überwiegend dem Geschäfte und dem
Erwerbe lebt, eine edlere Denkungsart eingeimpft und gewisse geistige Schwungfedern
verliehen, den nackten egoistischen Klasseninteressen anderer Kreise ideale Gegengewichte
gegeben; diese Kreise haben vielleicht zeitweise mit abstrakten Idealen Staat und Gesell-
schaft zu sehr beeinflußt. Im ganzen aber wurden sie die eigentlichen Träger des
wissenschaftlichen Fortschrittes, des Idealismus, der vornehmen Gesinnung. Der Stand
unserer heutigen Geistlichen und Lehrer, unserer Ärzte und Gelehrten, unserer Künstler
und Beamten übt durch seine Berufsthätigkeit wie durch die im ganzen diskrete und
anständige Art seiner Entlohnung einen außerordentlich großen Einfluß auf die Weiter-
entwickelung von Gesellschaft und Volkswirtschaft aus.

Diese Entwickelung nun im einzelnen für die verschiedenen hieher gehörigen Berufs-
kreise darzulegen, in jedem einzelnen die weitere Teilung der Arbeit zu verfolgen, würde
zu viel Raum fordern; es gehörte dazu eine Schilderung der Erziehungseinrichtungen,
der Carrierebedingungen, der verschiedenen Staffeln in jeder Laufbahn, der Art und Höhe
der Bezahlung; es müßte nachgewiesen werden, aus welchen socialen Schichten und warum
aus ihnen der einzelne Stand sich rekrutiert. Man müßte bei der Besprechung der
Beamtencarriere zuerst eine Geschichte der Ämter geben, zeigen, wie die höheren, mittleren,
untergeordneten Ämter, wie die Berufe der Offiziere, Richter, Verwaltungsbeamten
nebeneinander entstanden sind, wie erbliche, Wahl-, Ernennungsämter nach und neben-
einander vorkamen, wie das Besoldungswesen und die unbesoldeten Ehrenämter sich
gestalteten. Es würde all' das hier zu weit führen. Nur das sei zum Schluß bemerkt,
daß die ganze Entwickelung des staatlichen Verfassungs- und Verwaltungsapparates
unter dem Gesichtspunkte der Arbeitsteilung betrachtet werden kann, und sich von ihm
aus eine Reihe fruchtbarer wissenschaftlicher Gedankenreihen eröffnet. --

Die persönliche Arbeitsgliederung wird im Anschluß an die Natur-
und Verkehrsverhältnisse zur räumlichen Arbeitsteilung; diese drückt sich aus
in der geographischen Verteilung der landwirtschaftlichen und gewerblichen Produktions-
zweige, in den gesamten Wohnungs- und Siedlungsverhältnissen der Menschen mit
Rücksicht auf ihren Beruf. Wir haben diese Dinge bei der Erörterung der Siedlung
schon besprochen, müssen hier aber mit ein paar Worten auf sie zurückkommen.

Wo Stadt und Dorf nebeneinander entstehen, da ist der erste große Schritt
räumlicher Arbeitsteilung vollzogen: die Landwirtschaft sucht das Land, Gewerbe und
Verkehr die Stadt auf. Es entstanden die stadtwirtschaftlichen Systeme mit ihrer räum-
lichen Gliederung. Die Stadt selbst hatte in ihrem Centrum Markt, Kirche, Rathaus,
Münze, Wage, Gasthäuser, in ihrer Peripherie die Wohnungen, dann die landwirtschaft-
lichen Gebäude, die Wein- und anderen Gärten, sowie ihr Ackerland und ihre Weide.
Die Dörfer in nächster Nähe der Stadt fingen an, die rasch verderblichen, schwer trans-
portablen Rohprodukte, Gemüse, Milch, Blumen, Stroh, Heu, Kartoffeln zu erzeugen;
von den etwas entfernteren Dörfern kam mehr nur Getreide, von den ferner liegenden
Landbezirken das Vieh, die Wolle und ähnliche leichter transportable Produkte. Thünen
hat, indem er die Einwirkung der Transportkosten auf den Standort der Landwirtschafts-
zweige studierte, in seinem isolierten Staate (s. S. 117) diese örtliche Arbeitsteilung der
Bezirke, wie sie unter dem Einflusse eines einheitlichen städtischen Marktes sich gestalten
muß, zuerst richtig erfaßt, sie gleichsam in ein abstraktes Schema gebracht. Es sind die
Zustände, die zugleich die ältere Stadtwirtschaftspolitik erklären, wie wir sie bereits kennen
gelernt haben, wie sie am deutlichsten sich herausbildeten, wo in einem Kleinstaate nur
ein beherrschender städtischer Mittelpunkt vorhanden war.

Wo Wasserverkehr ist, oder ein verbesserter Landverkehr entsteht, beginnt die
Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Städten und Gegenden. Nur zur Blütezeit der
antiken Weltreiche und in der neueren Zeit hat diese fortschreitende räumliche Arbeits-
teilung eine größere Bedeutung erhalten. Sie war Schritt für Schritt verknüpft mit
der Herstellung größerer Staaten und freier Märkte in ihrem Innern; das Hinterland
mußte seine Küsten und Flußmündungen zu erwerben suchen, die Industriegegend bedurfte

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ſächlich aber aus den jüngeren Söhnen des Mittelſtandes ſich rekrutiert. Die liberalen
Berufe haben dem ganzen Mittelſtande, der ſonſt überwiegend dem Geſchäfte und dem
Erwerbe lebt, eine edlere Denkungsart eingeimpft und gewiſſe geiſtige Schwungfedern
verliehen, den nackten egoiſtiſchen Klaſſenintereſſen anderer Kreiſe ideale Gegengewichte
gegeben; dieſe Kreiſe haben vielleicht zeitweiſe mit abſtrakten Idealen Staat und Geſell-
ſchaft zu ſehr beeinflußt. Im ganzen aber wurden ſie die eigentlichen Träger des
wiſſenſchaftlichen Fortſchrittes, des Idealismus, der vornehmen Geſinnung. Der Stand
unſerer heutigen Geiſtlichen und Lehrer, unſerer Ärzte und Gelehrten, unſerer Künſtler
und Beamten übt durch ſeine Berufsthätigkeit wie durch die im ganzen diskrete und
anſtändige Art ſeiner Entlohnung einen außerordentlich großen Einfluß auf die Weiter-
entwickelung von Geſellſchaft und Volkswirtſchaft aus.

Dieſe Entwickelung nun im einzelnen für die verſchiedenen hieher gehörigen Berufs-
kreiſe darzulegen, in jedem einzelnen die weitere Teilung der Arbeit zu verfolgen, würde
zu viel Raum fordern; es gehörte dazu eine Schilderung der Erziehungseinrichtungen,
der Carrierebedingungen, der verſchiedenen Staffeln in jeder Laufbahn, der Art und Höhe
der Bezahlung; es müßte nachgewieſen werden, aus welchen ſocialen Schichten und warum
aus ihnen der einzelne Stand ſich rekrutiert. Man müßte bei der Beſprechung der
Beamtencarriere zuerſt eine Geſchichte der Ämter geben, zeigen, wie die höheren, mittleren,
untergeordneten Ämter, wie die Berufe der Offiziere, Richter, Verwaltungsbeamten
nebeneinander entſtanden ſind, wie erbliche, Wahl-, Ernennungsämter nach und neben-
einander vorkamen, wie das Beſoldungsweſen und die unbeſoldeten Ehrenämter ſich
geſtalteten. Es würde all’ das hier zu weit führen. Nur das ſei zum Schluß bemerkt,
daß die ganze Entwickelung des ſtaatlichen Verfaſſungs- und Verwaltungsapparates
unter dem Geſichtspunkte der Arbeitsteilung betrachtet werden kann, und ſich von ihm
aus eine Reihe fruchtbarer wiſſenſchaftlicher Gedankenreihen eröffnet. —

Die perſönliche Arbeitsgliederung wird im Anſchluß an die Natur-
und Verkehrsverhältniſſe zur räumlichen Arbeitsteilung; dieſe drückt ſich aus
in der geographiſchen Verteilung der landwirtſchaftlichen und gewerblichen Produktions-
zweige, in den geſamten Wohnungs- und Siedlungsverhältniſſen der Menſchen mit
Rückſicht auf ihren Beruf. Wir haben dieſe Dinge bei der Erörterung der Siedlung
ſchon beſprochen, müſſen hier aber mit ein paar Worten auf ſie zurückkommen.

Wo Stadt und Dorf nebeneinander entſtehen, da iſt der erſte große Schritt
räumlicher Arbeitsteilung vollzogen: die Landwirtſchaft ſucht das Land, Gewerbe und
Verkehr die Stadt auf. Es entſtanden die ſtadtwirtſchaftlichen Syſteme mit ihrer räum-
lichen Gliederung. Die Stadt ſelbſt hatte in ihrem Centrum Markt, Kirche, Rathaus,
Münze, Wage, Gaſthäuſer, in ihrer Peripherie die Wohnungen, dann die landwirtſchaft-
lichen Gebäude, die Wein- und anderen Gärten, ſowie ihr Ackerland und ihre Weide.
Die Dörfer in nächſter Nähe der Stadt fingen an, die raſch verderblichen, ſchwer trans-
portablen Rohprodukte, Gemüſe, Milch, Blumen, Stroh, Heu, Kartoffeln zu erzeugen;
von den etwas entfernteren Dörfern kam mehr nur Getreide, von den ferner liegenden
Landbezirken das Vieh, die Wolle und ähnliche leichter transportable Produkte. Thünen
hat, indem er die Einwirkung der Transportkoſten auf den Standort der Landwirtſchafts-
zweige ſtudierte, in ſeinem iſolierten Staate (ſ. S. 117) dieſe örtliche Arbeitsteilung der
Bezirke, wie ſie unter dem Einfluſſe eines einheitlichen ſtädtiſchen Marktes ſich geſtalten
muß, zuerſt richtig erfaßt, ſie gleichſam in ein abſtraktes Schema gebracht. Es ſind die
Zuſtände, die zugleich die ältere Stadtwirtſchaftspolitik erklären, wie wir ſie bereits kennen
gelernt haben, wie ſie am deutlichſten ſich herausbildeten, wo in einem Kleinſtaate nur
ein beherrſchender ſtädtiſcher Mittelpunkt vorhanden war.

Wo Waſſerverkehr iſt, oder ein verbeſſerter Landverkehr entſteht, beginnt die
Arbeitsteilung zwiſchen verſchiedenen Städten und Gegenden. Nur zur Blütezeit der
antiken Weltreiche und in der neueren Zeit hat dieſe fortſchreitende räumliche Arbeits-
teilung eine größere Bedeutung erhalten. Sie war Schritt für Schritt verknüpft mit
der Herſtellung größerer Staaten und freier Märkte in ihrem Innern; das Hinterland
mußte ſeine Küſten und Flußmündungen zu erwerben ſuchen, die Induſtriegegend bedurfte

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[354/0370] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. ſächlich aber aus den jüngeren Söhnen des Mittelſtandes ſich rekrutiert. Die liberalen Berufe haben dem ganzen Mittelſtande, der ſonſt überwiegend dem Geſchäfte und dem Erwerbe lebt, eine edlere Denkungsart eingeimpft und gewiſſe geiſtige Schwungfedern verliehen, den nackten egoiſtiſchen Klaſſenintereſſen anderer Kreiſe ideale Gegengewichte gegeben; dieſe Kreiſe haben vielleicht zeitweiſe mit abſtrakten Idealen Staat und Geſell- ſchaft zu ſehr beeinflußt. Im ganzen aber wurden ſie die eigentlichen Träger des wiſſenſchaftlichen Fortſchrittes, des Idealismus, der vornehmen Geſinnung. Der Stand unſerer heutigen Geiſtlichen und Lehrer, unſerer Ärzte und Gelehrten, unſerer Künſtler und Beamten übt durch ſeine Berufsthätigkeit wie durch die im ganzen diskrete und anſtändige Art ſeiner Entlohnung einen außerordentlich großen Einfluß auf die Weiter- entwickelung von Geſellſchaft und Volkswirtſchaft aus. Dieſe Entwickelung nun im einzelnen für die verſchiedenen hieher gehörigen Berufs- kreiſe darzulegen, in jedem einzelnen die weitere Teilung der Arbeit zu verfolgen, würde zu viel Raum fordern; es gehörte dazu eine Schilderung der Erziehungseinrichtungen, der Carrierebedingungen, der verſchiedenen Staffeln in jeder Laufbahn, der Art und Höhe der Bezahlung; es müßte nachgewieſen werden, aus welchen ſocialen Schichten und warum aus ihnen der einzelne Stand ſich rekrutiert. Man müßte bei der Beſprechung der Beamtencarriere zuerſt eine Geſchichte der Ämter geben, zeigen, wie die höheren, mittleren, untergeordneten Ämter, wie die Berufe der Offiziere, Richter, Verwaltungsbeamten nebeneinander entſtanden ſind, wie erbliche, Wahl-, Ernennungsämter nach und neben- einander vorkamen, wie das Beſoldungsweſen und die unbeſoldeten Ehrenämter ſich geſtalteten. Es würde all’ das hier zu weit führen. Nur das ſei zum Schluß bemerkt, daß die ganze Entwickelung des ſtaatlichen Verfaſſungs- und Verwaltungsapparates unter dem Geſichtspunkte der Arbeitsteilung betrachtet werden kann, und ſich von ihm aus eine Reihe fruchtbarer wiſſenſchaftlicher Gedankenreihen eröffnet. — Die perſönliche Arbeitsgliederung wird im Anſchluß an die Natur- und Verkehrsverhältniſſe zur räumlichen Arbeitsteilung; dieſe drückt ſich aus in der geographiſchen Verteilung der landwirtſchaftlichen und gewerblichen Produktions- zweige, in den geſamten Wohnungs- und Siedlungsverhältniſſen der Menſchen mit Rückſicht auf ihren Beruf. Wir haben dieſe Dinge bei der Erörterung der Siedlung ſchon beſprochen, müſſen hier aber mit ein paar Worten auf ſie zurückkommen. Wo Stadt und Dorf nebeneinander entſtehen, da iſt der erſte große Schritt räumlicher Arbeitsteilung vollzogen: die Landwirtſchaft ſucht das Land, Gewerbe und Verkehr die Stadt auf. Es entſtanden die ſtadtwirtſchaftlichen Syſteme mit ihrer räum- lichen Gliederung. Die Stadt ſelbſt hatte in ihrem Centrum Markt, Kirche, Rathaus, Münze, Wage, Gaſthäuſer, in ihrer Peripherie die Wohnungen, dann die landwirtſchaft- lichen Gebäude, die Wein- und anderen Gärten, ſowie ihr Ackerland und ihre Weide. Die Dörfer in nächſter Nähe der Stadt fingen an, die raſch verderblichen, ſchwer trans- portablen Rohprodukte, Gemüſe, Milch, Blumen, Stroh, Heu, Kartoffeln zu erzeugen; von den etwas entfernteren Dörfern kam mehr nur Getreide, von den ferner liegenden Landbezirken das Vieh, die Wolle und ähnliche leichter transportable Produkte. Thünen hat, indem er die Einwirkung der Transportkoſten auf den Standort der Landwirtſchafts- zweige ſtudierte, in ſeinem iſolierten Staate (ſ. S. 117) dieſe örtliche Arbeitsteilung der Bezirke, wie ſie unter dem Einfluſſe eines einheitlichen ſtädtiſchen Marktes ſich geſtalten muß, zuerſt richtig erfaßt, ſie gleichſam in ein abſtraktes Schema gebracht. Es ſind die Zuſtände, die zugleich die ältere Stadtwirtſchaftspolitik erklären, wie wir ſie bereits kennen gelernt haben, wie ſie am deutlichſten ſich herausbildeten, wo in einem Kleinſtaate nur ein beherrſchender ſtädtiſcher Mittelpunkt vorhanden war. Wo Waſſerverkehr iſt, oder ein verbeſſerter Landverkehr entſteht, beginnt die Arbeitsteilung zwiſchen verſchiedenen Städten und Gegenden. Nur zur Blütezeit der antiken Weltreiche und in der neueren Zeit hat dieſe fortſchreitende räumliche Arbeits- teilung eine größere Bedeutung erhalten. Sie war Schritt für Schritt verknüpft mit der Herſtellung größerer Staaten und freier Märkte in ihrem Innern; das Hinterland mußte ſeine Küſten und Flußmündungen zu erwerben ſuchen, die Induſtriegegend bedurfte

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/370>, abgerufen am 26.04.2024.