Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode. von Fressen und Saufen, civilisierte durch Kleider- und Festluxus gefehlt; verschwende-rische Fürsten und Völker haben, statt sparsam die Mittel zusammen zu halten, durch Bauten und Vergnügungen sich erschöpft; die sinkende Kultur des Altertums und der Despotismus der neueren Zeit zeigen genug solcher Beispiele. Die Verbreitung der Trunkenheit und des Alkoholgenusses der neueren Zeit beweist, wie wenig wir noch über solche Irrwege hinaus sind. Jede Bedürfnissteigerung, zumal die rasch möglich werdende und eintretende, ist Die Gefahr jeder Bedürfnissteigerung liegt im Egoismus, in der Genußsucht, im 5. Die menschlichen Triebe. Über die Litteratur siehe den vorigen Abschnitt. 13. Allgemeines. Die Lust- und Schmerzgefühle, die zur Bedürfnisbefriedigung Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. von Freſſen und Saufen, civiliſierte durch Kleider- und Feſtluxus gefehlt; verſchwende-riſche Fürſten und Völker haben, ſtatt ſparſam die Mittel zuſammen zu halten, durch Bauten und Vergnügungen ſich erſchöpft; die ſinkende Kultur des Altertums und der Despotismus der neueren Zeit zeigen genug ſolcher Beiſpiele. Die Verbreitung der Trunkenheit und des Alkoholgenuſſes der neueren Zeit beweiſt, wie wenig wir noch über ſolche Irrwege hinaus ſind. Jede Bedürfnisſteigerung, zumal die raſch möglich werdende und eintretende, iſt Die Gefahr jeder Bedürfnisſteigerung liegt im Egoismus, in der Genußſucht, im 5. Die menſchlichen Triebe. Über die Litteratur ſiehe den vorigen Abſchnitt. 13. Allgemeines. Die Luſt- und Schmerzgefühle, die zur Bedürfnisbefriedigung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0042" n="26"/><fw place="top" type="header">Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. 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Jede ſtarke Bedürfnisſteigerung<lb/> erzeugt die Gefahr, daß das Genußleben an ſich für einzelne oder weite Kreiſe zu ſehr<lb/> an Bedeutung gewinne gegenüber der Arbeit und dem Ernſt des Lebens. Es entſteht<lb/> die Möglichkeit, daß die erſten Schritte auf dieſer Bahn die Thatkraft ſteigern, die<lb/> ſpäteren ſie lähmen. Vor allem aber handelt es ſich um die Art der Bedürfnisſteigerung<lb/> und ihre Rückwirkung auf die ſittlichen Eigenſchaften. Es dürfen nicht die gemeinen,<lb/> ſinnlichen Bedürfniſſe auf Koſten der höheren geſteigert werden. Es dürfen mancherlei<lb/> zweiſchneidige Genußmittel nicht in die Hände halb kultivierter, ſittlich ſchwacher Ele-<lb/> mente fallen: ſie werden bei höchſter Selbſtbeherrſchung vielleicht Gutes wirken, wenigſtens<lb/> nicht ſchaden, ſonſt aber nur zerſtören. Allein <hi rendition="#g">die</hi> Bedürfnisſteigerung iſt die normale,<lb/> welche die geiſtigen und körperlichen Kräfte, vor allem die Fähigkeit zur Arbeit erhöht,<lb/> welche das innere Leben ebenſo bereichert wie das äußere, welche den ſocialen Tugenden<lb/> keinen Eintrag thut.</p><lb/> <p>Die Gefahr jeder Bedürfnisſteigerung liegt im Egoismus, in der Genußſucht, im<lb/> ſybaritiſchen Kultus der Eitelkeit, die ſie bei falſcher Geſtaltung herbeiführen kann. Es<lb/> war kriechende Schmeichelei der früheren Jahrhunderte, jeden Wahnſinn fürſtlicher Ver-<lb/> ſchwendung zu preiſen; es war knabenhafte Demagogie, dem Arbeiter von der Sparſamkeit<lb/> abzuraten, weil die Bedürfnisſteigerung ſtets wichtiger ſei. So redete Laſſalle von einer<lb/> verdammten Bedürfnisloſigkeit der unteren Klaſſen, die ein Hindernis der Kultur und<lb/> der Entwickelung ſei.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">5. 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Die Natur hat dem<lb/> Menſchen nicht etwa einen Eſſenstrieb mitgegeben, ſondern Hunger und Durſt haben als<lb/> qualvolle Gefühle, welche die Nerven aufregen, Menſchen und Tiere veranlaßt, nach<lb/> dieſem und jenem Gegenſtand zu beißen und ihn zu verſchlingen; und aus den Er-<lb/> fahrungen, Erinnerungen und Erlebniſſen von Jahrtauſenden, aus den körperlichen und<lb/> geiſtigen damit verknüpften Umbildungen iſt der heutige Trieb, Nahrung aufzunehmen,<lb/> entſtanden, der in gewiſſem Sinne freilich als elementare, konſtante Kraft, auf der anderen<lb/> Seite aber in ſeinen Äußerungen doch als etwas hiſtoriſch Gewordenes erſcheint. Jeder ſo<lb/> mit der Entwickelungsgeſchichte gewordene, auf beſtimmten Gefühlscentren beruhende Trieb<lb/> regt den körperlichen Mechanismus wie unſer Seelenleben an, mit einer Art mechaniſcher<lb/> Abfolge in beſtimmter Weiſe zu handeln. Wir ſprechen wenigſtens mit Vorliebe da<lb/> von einem Trieb, wo wir glauben, das Handeln auf ein „Getriebenſein“ zurückführen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0042]
Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
von Freſſen und Saufen, civiliſierte durch Kleider- und Feſtluxus gefehlt; verſchwende-
riſche Fürſten und Völker haben, ſtatt ſparſam die Mittel zuſammen zu halten, durch
Bauten und Vergnügungen ſich erſchöpft; die ſinkende Kultur des Altertums und der
Despotismus der neueren Zeit zeigen genug ſolcher Beiſpiele. Die Verbreitung der
Trunkenheit und des Alkoholgenuſſes der neueren Zeit beweiſt, wie wenig wir noch
über ſolche Irrwege hinaus ſind.
Jede Bedürfnisſteigerung, zumal die raſch möglich werdende und eintretende, iſt
für jede Klaſſe und jedes Volk eine Prüfung, die nur beſtanden wird, wenn die ſittlichen
Kräfte geſund ſind, wenn Beſonnenheit und richtiges Urteil den Umbildungsprozeß
beherrſchen, wenn die Mehrproduktion und die Sparſamkeit gleichen Schritt mit den
vermehrten und richtig regulierten Bedürfniſſen hält. Jede ſtarke Bedürfnisſteigerung
erzeugt die Gefahr, daß das Genußleben an ſich für einzelne oder weite Kreiſe zu ſehr
an Bedeutung gewinne gegenüber der Arbeit und dem Ernſt des Lebens. Es entſteht
die Möglichkeit, daß die erſten Schritte auf dieſer Bahn die Thatkraft ſteigern, die
ſpäteren ſie lähmen. Vor allem aber handelt es ſich um die Art der Bedürfnisſteigerung
und ihre Rückwirkung auf die ſittlichen Eigenſchaften. Es dürfen nicht die gemeinen,
ſinnlichen Bedürfniſſe auf Koſten der höheren geſteigert werden. Es dürfen mancherlei
zweiſchneidige Genußmittel nicht in die Hände halb kultivierter, ſittlich ſchwacher Ele-
mente fallen: ſie werden bei höchſter Selbſtbeherrſchung vielleicht Gutes wirken, wenigſtens
nicht ſchaden, ſonſt aber nur zerſtören. Allein die Bedürfnisſteigerung iſt die normale,
welche die geiſtigen und körperlichen Kräfte, vor allem die Fähigkeit zur Arbeit erhöht,
welche das innere Leben ebenſo bereichert wie das äußere, welche den ſocialen Tugenden
keinen Eintrag thut.
Die Gefahr jeder Bedürfnisſteigerung liegt im Egoismus, in der Genußſucht, im
ſybaritiſchen Kultus der Eitelkeit, die ſie bei falſcher Geſtaltung herbeiführen kann. Es
war kriechende Schmeichelei der früheren Jahrhunderte, jeden Wahnſinn fürſtlicher Ver-
ſchwendung zu preiſen; es war knabenhafte Demagogie, dem Arbeiter von der Sparſamkeit
abzuraten, weil die Bedürfnisſteigerung ſtets wichtiger ſei. So redete Laſſalle von einer
verdammten Bedürfnisloſigkeit der unteren Klaſſen, die ein Hindernis der Kultur und
der Entwickelung ſei.
5. Die menſchlichen Triebe.
Über die Litteratur ſiehe den vorigen Abſchnitt.
13. Allgemeines. Die Luſt- und Schmerzgefühle, die zur Bedürfnisbefriedigung
Anlaß geben, erſcheinen als Triebe, ſofern ſie bleibende Dispoſitionen des Menſchen zu
einem der Art, aber nicht dem Gegenſtande nach beſtimmten Begehren darſtellen. Was
der Inſtinkt im Tier, iſt der Trieb im Menſchen. Er giebt die Anſtöße zum Handeln,
die immer wieder in gleicher Richtung von der Thätigkeit unſeres Nervenlebens, haupt-
ſächlich von den elementaren Gefühlen ausgehen. Aber die heute vorhandenen, in
beſtimmter Art auftretenden Triebe dürfen wir deshalb doch nicht als etwas ganz Un-
veränderliches, mit der Menſchennatur von jeher an ſich Gegebenes betrachten, ſo wenig
wie unſer Gehirn und unſere Nerven ſtets ganz dieſelben waren. Die Natur hat dem
Menſchen nicht etwa einen Eſſenstrieb mitgegeben, ſondern Hunger und Durſt haben als
qualvolle Gefühle, welche die Nerven aufregen, Menſchen und Tiere veranlaßt, nach
dieſem und jenem Gegenſtand zu beißen und ihn zu verſchlingen; und aus den Er-
fahrungen, Erinnerungen und Erlebniſſen von Jahrtauſenden, aus den körperlichen und
geiſtigen damit verknüpften Umbildungen iſt der heutige Trieb, Nahrung aufzunehmen,
entſtanden, der in gewiſſem Sinne freilich als elementare, konſtante Kraft, auf der anderen
Seite aber in ſeinen Äußerungen doch als etwas hiſtoriſch Gewordenes erſcheint. Jeder ſo
mit der Entwickelungsgeſchichte gewordene, auf beſtimmten Gefühlscentren beruhende Trieb
regt den körperlichen Mechanismus wie unſer Seelenleben an, mit einer Art mechaniſcher
Abfolge in beſtimmter Weiſe zu handeln. Wir ſprechen wenigſtens mit Vorliebe da
von einem Trieb, wo wir glauben, das Handeln auf ein „Getriebenſein“ zurückführen
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