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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die Schattenseiten der Arbeitsteilung, ihre Beseitigung.
wird der Reichtum an Talenten grenzenlos überschätzt. Eine solche Einrichtung bedeutete
einen ungeheuren Kräfteverlust, die Nichtausnutzung aller eigentümlichen Begabungen
und Talente, die mittelmäßige Arbeit aller und die Vernichtung der größten Lust-
gefühle, die mit der Thätigkeit im rechten Specialberuf gegeben sind. Die Gesellschaft
wäre in einen Taubenschlag verwandelt.

Aber einen berechtigten Keim enthalten diese Vorschläge, wie alle socialistischen
und individualistischen Anklagen gegen die Arbeitsteilung. Vor allem unsere Erziehung
muß nicht bloß die Specialgeschicklichkeit, sondern auch beim Arbeiter seinen Verstand,
sein technisches Können im allgemeinen ausbilden; er wird dann auch leichter, wenn es
nötig ist, von einem Beruf zum anderen übergehen können, ohne daß damit die
Arbeitsteilung aufhört.

Der heutige Fabrikarbeiter muß die entsprechende Zeit für seine Familienwirtschaft
und seine Muße erhalten; ebenso muß die verheiratete Arbeiterfrau mehr als bisher
ihrer Wirtschaft, ihre Kinder müssen der Schule und dem Spielplatz zurückgegeben werden;
die mechanische Arbeit für andere, für fremde Zwecke darf in der Jugend nicht zu früh
beginnen, im Alter nicht zu lange dauern; sie muß möglichst so gestaltet werden, daß
der Arbeiter sie als gesellschaftlichen Zweck, als sociale Pflicht begreift, Freude und
Verständnis für sie haben kann; sie muß durch genügenden Lohn, durch die Möglichkeit,
an Sparkassen, Kranken- und anderen Hülfskassen teilzunehmen, als ein gleichberechtigtes
Glied im Gesamtorganismus der Volkswirtschaft anerkannt sein. Sie muß in der
Erziehung, in der Schul- und Wehrpflicht, in der Geselligkeit, im Vereinswesen, in der
Teilnahme an Gemeinde-, Kirchen- und öffentlichen Angelegenheiten die entsprechenden
Gegengewichte erhalten. Dann wird die Arbeitsteilung nicht mehr von den Socialisten
als der Meuchelmord des Volkes angegriffen werden können. Und so weit wir von
einem Ideal dieser Art noch entfernt sind, die Erkenntnis, daß die Grenzüberschreitungen
der Arbeitsteilung rückgängig gemacht werden müssen, ist heute eine ziemlich verbreitete.
Man könnte sagen, ein großer Teil der besten Reformen unserer Zeit, allgemeine Schul-
und Wehrpflicht, lokale Selbstverwaltung, unbezahlte Ehrenämter, Geschworenenthätigkeit,
Einführung von Vertretungen neben den Beamten in Gemeinde und Staat seien
Reaktionen gegen ein Übermaß der Arbeitsteilung, Versuche, die harmonische Aus-
bildung mit ihr ins Gleichgewicht zu bringen.

5. Das Wesen des Eigentums und die Grundzüge seiner Verteilung.
Die rechtsphilosophische Litteratur (S. 48), die socialistische (S. 93--99), die socialreformatorische
und wirtschaftsgeschichtliche (S. 116--123, z. B. Maine, Schäffle, A. Wagner), die anthropo-
logische (S. 139), die kulturgeschichtlich-technische (S. 187), die siedlungsgeschichtliche (S. 254), endlich
die Litteratur über Dorf- und Grundherrschaft, Gemeinde- und Staatswirtschaft (S. 277--278) wieder-
holen wir hier nicht, so vielfach sie auch in einzelnen Teilen hieher gehört, einzelne Seiten des
Eigentumsproblems erörtert. Es ist somit hier nur einiges nachzutragen.
Allgemeines: Thiers, Propriete. Deutsch 1848. --
Leist, Über die Natur des Eigentums.
1859. --
Samter, Gesellschaftliches und Privateigentum. 1877; -- Ders., Das Eigentum in seiner
socialen Bedeutung. 1879. --
Dargun, Ursprung und Entwickelungsgeschichte des Eigentums. Z. f.
vergl. Rechtsw. 5. --
R. Hildebrand, Recht und Sitte auf den verschiedenen Kulturstufen. 1, 1896.
Altertum: B. Hildebrand, Die sociale Frage der Verteilung des Grundeigentums im klassischen
Altertum. J. f. N. 1. F. 12, 1869. --
M. Weber, Die römische Agrargeschichte. 1891.
Geschichte der neueren Eigentumsverteilung: Laboulaye, Histoire du droit de propriete
fonciere en Occident.
1839. --
Systems of land tenures in various countries. (Cobden Club)
1870. --
Cliffe Leslie, Land systems and industrial economy of Ireland, England and con-
tinental countries
. 1870. --
Liebknecht, Zur Grund- und Bodenfrage. 2. Aufl. 1876. --
v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigentumsverteilung. 2 Bde. 1882--1884. --
Scrutton, Commons and common fields. 1887. -- Hasbach, Die englischen Landarbeiter und
die Einhegungen. 1894. --
Rachfahl, Zur Geschichte des Grundeigentums J. f. N. 3. F. 19, 1900.

123. Begriff und Bedeutung. Das Eigentum primitiver Jäger-
und Hackbaustämme
. Wenn wir vom Eigentum und vom Eigentumsrecht sprechen
wollen, so müssen wir uns zunächst alles dessen erinnern, was oben (S. 51--55) über

Die Schattenſeiten der Arbeitsteilung, ihre Beſeitigung.
wird der Reichtum an Talenten grenzenlos überſchätzt. Eine ſolche Einrichtung bedeutete
einen ungeheuren Kräfteverluſt, die Nichtausnutzung aller eigentümlichen Begabungen
und Talente, die mittelmäßige Arbeit aller und die Vernichtung der größten Luſt-
gefühle, die mit der Thätigkeit im rechten Specialberuf gegeben ſind. Die Geſellſchaft
wäre in einen Taubenſchlag verwandelt.

Aber einen berechtigten Keim enthalten dieſe Vorſchläge, wie alle ſocialiſtiſchen
und individualiſtiſchen Anklagen gegen die Arbeitsteilung. Vor allem unſere Erziehung
muß nicht bloß die Specialgeſchicklichkeit, ſondern auch beim Arbeiter ſeinen Verſtand,
ſein techniſches Können im allgemeinen ausbilden; er wird dann auch leichter, wenn es
nötig iſt, von einem Beruf zum anderen übergehen können, ohne daß damit die
Arbeitsteilung aufhört.

Der heutige Fabrikarbeiter muß die entſprechende Zeit für ſeine Familienwirtſchaft
und ſeine Muße erhalten; ebenſo muß die verheiratete Arbeiterfrau mehr als bisher
ihrer Wirtſchaft, ihre Kinder müſſen der Schule und dem Spielplatz zurückgegeben werden;
die mechaniſche Arbeit für andere, für fremde Zwecke darf in der Jugend nicht zu früh
beginnen, im Alter nicht zu lange dauern; ſie muß möglichſt ſo geſtaltet werden, daß
der Arbeiter ſie als geſellſchaftlichen Zweck, als ſociale Pflicht begreift, Freude und
Verſtändnis für ſie haben kann; ſie muß durch genügenden Lohn, durch die Möglichkeit,
an Sparkaſſen, Kranken- und anderen Hülfskaſſen teilzunehmen, als ein gleichberechtigtes
Glied im Geſamtorganismus der Volkswirtſchaft anerkannt ſein. Sie muß in der
Erziehung, in der Schul- und Wehrpflicht, in der Geſelligkeit, im Vereinsweſen, in der
Teilnahme an Gemeinde-, Kirchen- und öffentlichen Angelegenheiten die entſprechenden
Gegengewichte erhalten. Dann wird die Arbeitsteilung nicht mehr von den Socialiſten
als der Meuchelmord des Volkes angegriffen werden können. Und ſo weit wir von
einem Ideal dieſer Art noch entfernt ſind, die Erkenntnis, daß die Grenzüberſchreitungen
der Arbeitsteilung rückgängig gemacht werden müſſen, iſt heute eine ziemlich verbreitete.
Man könnte ſagen, ein großer Teil der beſten Reformen unſerer Zeit, allgemeine Schul-
und Wehrpflicht, lokale Selbſtverwaltung, unbezahlte Ehrenämter, Geſchworenenthätigkeit,
Einführung von Vertretungen neben den Beamten in Gemeinde und Staat ſeien
Reaktionen gegen ein Übermaß der Arbeitsteilung, Verſuche, die harmoniſche Aus-
bildung mit ihr ins Gleichgewicht zu bringen.

5. Das Weſen des Eigentums und die Grundzüge ſeiner Verteilung.
Die rechtsphiloſophiſche Litteratur (S. 48), die ſocialiſtiſche (S. 93—99), die ſocialreformatoriſche
und wirtſchaftsgeſchichtliche (S. 116—123, z. B. Maine, Schäffle, A. Wagner), die anthropo-
logiſche (S. 139), die kulturgeſchichtlich-techniſche (S. 187), die ſiedlungsgeſchichtliche (S. 254), endlich
die Litteratur über Dorf- und Grundherrſchaft, Gemeinde- und Staatswirtſchaft (S. 277—278) wieder-
holen wir hier nicht, ſo vielfach ſie auch in einzelnen Teilen hieher gehört, einzelne Seiten des
Eigentumsproblems erörtert. Es iſt ſomit hier nur einiges nachzutragen.
Allgemeines: Thiers, Propriété. Deutſch 1848. —
Leiſt, Über die Natur des Eigentums.
1859. —
Samter, Geſellſchaftliches und Privateigentum. 1877; — Derſ., Das Eigentum in ſeiner
ſocialen Bedeutung. 1879. —
Dargun, Urſprung und Entwickelungsgeſchichte des Eigentums. Z. f.
vergl. Rechtsw. 5. —
R. Hildebrand, Recht und Sitte auf den verſchiedenen Kulturſtufen. 1, 1896.
Altertum: B. Hildebrand, Die ſociale Frage der Verteilung des Grundeigentums im klaſſiſchen
Altertum. J. f. N. 1. F. 12, 1869. —
M. Weber, Die römiſche Agrargeſchichte. 1891.
Geſchichte der neueren Eigentumsverteilung: Laboulaye, Histoire du droit de propriété
foncière en Occident.
1839. —
Systems of land tenures in various countries. (Cobden Club)
1870. —
Cliffe Leslie, Land systems and industrial economy of Ireland, England and con-
tinental countries
. 1870. —
Liebknecht, Zur Grund- und Bodenfrage. 2. Aufl. 1876. —
v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigentumsverteilung. 2 Bde. 1882—1884. —
Scrutton, Commons and common fields. 1887. — Hasbach, Die engliſchen Landarbeiter und
die Einhegungen. 1894. —
Rachfahl, Zur Geſchichte des Grundeigentums J. f. N. 3. F. 19, 1900.

123. Begriff und Bedeutung. Das Eigentum primitiver Jäger-
und Hackbauſtämme
. Wenn wir vom Eigentum und vom Eigentumsrecht ſprechen
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[367/0383] Die Schattenſeiten der Arbeitsteilung, ihre Beſeitigung. wird der Reichtum an Talenten grenzenlos überſchätzt. Eine ſolche Einrichtung bedeutete einen ungeheuren Kräfteverluſt, die Nichtausnutzung aller eigentümlichen Begabungen und Talente, die mittelmäßige Arbeit aller und die Vernichtung der größten Luſt- gefühle, die mit der Thätigkeit im rechten Specialberuf gegeben ſind. Die Geſellſchaft wäre in einen Taubenſchlag verwandelt. Aber einen berechtigten Keim enthalten dieſe Vorſchläge, wie alle ſocialiſtiſchen und individualiſtiſchen Anklagen gegen die Arbeitsteilung. Vor allem unſere Erziehung muß nicht bloß die Specialgeſchicklichkeit, ſondern auch beim Arbeiter ſeinen Verſtand, ſein techniſches Können im allgemeinen ausbilden; er wird dann auch leichter, wenn es nötig iſt, von einem Beruf zum anderen übergehen können, ohne daß damit die Arbeitsteilung aufhört. Der heutige Fabrikarbeiter muß die entſprechende Zeit für ſeine Familienwirtſchaft und ſeine Muße erhalten; ebenſo muß die verheiratete Arbeiterfrau mehr als bisher ihrer Wirtſchaft, ihre Kinder müſſen der Schule und dem Spielplatz zurückgegeben werden; die mechaniſche Arbeit für andere, für fremde Zwecke darf in der Jugend nicht zu früh beginnen, im Alter nicht zu lange dauern; ſie muß möglichſt ſo geſtaltet werden, daß der Arbeiter ſie als geſellſchaftlichen Zweck, als ſociale Pflicht begreift, Freude und Verſtändnis für ſie haben kann; ſie muß durch genügenden Lohn, durch die Möglichkeit, an Sparkaſſen, Kranken- und anderen Hülfskaſſen teilzunehmen, als ein gleichberechtigtes Glied im Geſamtorganismus der Volkswirtſchaft anerkannt ſein. Sie muß in der Erziehung, in der Schul- und Wehrpflicht, in der Geſelligkeit, im Vereinsweſen, in der Teilnahme an Gemeinde-, Kirchen- und öffentlichen Angelegenheiten die entſprechenden Gegengewichte erhalten. Dann wird die Arbeitsteilung nicht mehr von den Socialiſten als der Meuchelmord des Volkes angegriffen werden können. Und ſo weit wir von einem Ideal dieſer Art noch entfernt ſind, die Erkenntnis, daß die Grenzüberſchreitungen der Arbeitsteilung rückgängig gemacht werden müſſen, iſt heute eine ziemlich verbreitete. Man könnte ſagen, ein großer Teil der beſten Reformen unſerer Zeit, allgemeine Schul- und Wehrpflicht, lokale Selbſtverwaltung, unbezahlte Ehrenämter, Geſchworenenthätigkeit, Einführung von Vertretungen neben den Beamten in Gemeinde und Staat ſeien Reaktionen gegen ein Übermaß der Arbeitsteilung, Verſuche, die harmoniſche Aus- bildung mit ihr ins Gleichgewicht zu bringen. 5. Das Weſen des Eigentums und die Grundzüge ſeiner Verteilung. Die rechtsphiloſophiſche Litteratur (S. 48), die ſocialiſtiſche (S. 93—99), die ſocialreformatoriſche und wirtſchaftsgeſchichtliche (S. 116—123, z. B. Maine, Schäffle, A. Wagner), die anthropo- logiſche (S. 139), die kulturgeſchichtlich-techniſche (S. 187), die ſiedlungsgeſchichtliche (S. 254), endlich die Litteratur über Dorf- und Grundherrſchaft, Gemeinde- und Staatswirtſchaft (S. 277—278) wieder- holen wir hier nicht, ſo vielfach ſie auch in einzelnen Teilen hieher gehört, einzelne Seiten des Eigentumsproblems erörtert. Es iſt ſomit hier nur einiges nachzutragen. Allgemeines: Thiers, Propriété. Deutſch 1848. — Leiſt, Über die Natur des Eigentums. 1859. — Samter, Geſellſchaftliches und Privateigentum. 1877; — Derſ., Das Eigentum in ſeiner ſocialen Bedeutung. 1879. — Dargun, Urſprung und Entwickelungsgeſchichte des Eigentums. Z. f. vergl. Rechtsw. 5. — R. Hildebrand, Recht und Sitte auf den verſchiedenen Kulturſtufen. 1, 1896. Altertum: B. Hildebrand, Die ſociale Frage der Verteilung des Grundeigentums im klaſſiſchen Altertum. J. f. N. 1. F. 12, 1869. — M. Weber, Die römiſche Agrargeſchichte. 1891. Geſchichte der neueren Eigentumsverteilung: Laboulaye, Histoire du droit de propriété foncière en Occident. 1839. —Systems of land tenures in various countries. (Cobden Club) 1870. — Cliffe Leslie, Land systems and industrial economy of Ireland, England and con- tinental countries. 1870. — Liebknecht, Zur Grund- und Bodenfrage. 2. Aufl. 1876. — v. Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigentumsverteilung. 2 Bde. 1882—1884. — Scrutton, Commons and common fields. 1887. — Hasbach, Die engliſchen Landarbeiter und die Einhegungen. 1894. — Rachfahl, Zur Geſchichte des Grundeigentums J. f. N. 3. F. 19, 1900. 123. Begriff und Bedeutung. Das Eigentum primitiver Jäger- und Hackbauſtämme. Wenn wir vom Eigentum und vom Eigentumsrecht ſprechen wollen, ſo müſſen wir uns zunächſt alles deſſen erinnern, was oben (S. 51—55) über

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/383>, abgerufen am 30.12.2024.