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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
einander in einer Art gleichgültiger Ferne gegenüberstellt, manche Rücksichten in den
Hintergrund drängt, die man in der Familie, im Stamm bisher gehabt, wie aber in
ihr doch weder große und immer größere Bewußtseinskreise und Kollektivkräfte, noch
ein gewisses Maß sympathischer Gefühle und Gemeinschaftsordnungen fehlen können.

4. Die individuellen Gefühle und die Bedürfnisse.
Über Gefühle und Triebe: Lotze, Medizinische Psychologie 1852 u. 1880. -- Ders., Mikro-
kosmus. 3 Bde. 1864--69. --
Wundt, Grundzüge der physiologischen Psychologie. 1874. -- Volk-
mann
, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkt des Realismus. 1875. --
Horwicz, Psychologische
Analysen auf physiologischer Grundlage, hauptsächl. 2. Abt., 2: Analyse der qualitativen Gefühle.
1878. --
Herbert Spencer, Principien der Psychologie. Deutsch 1882. -- Höffding, Psychologie
in Umrissen. 1887. --
Theobald Ziegler, Das Gefühl. 1893. -- Fechner, Über das höchste
Gut. 1846.
Über Bedürfnisse: Mischler, Grundsätze der Nationalökonomie. 1, 1856. --
A. Wagner,
Grundlegung der allg. oder theoret. Volkswirtschaftslehre. 1876. §§ 94--105; 1892. §§ 268 ff. --

Cohn, Grundlegung der Nationalökonomie. 1885. §§ 187--212. -- Wilhelm Böhmert,
Stanley Jevons und seine Bedeutung für die Theorie der Volkswirtschaftsl. J. f. G. V. 1891. --

Roscher, Über den Luxus, Ansichten der Volkswirtschaft. 1, 1878. 3. Aufl. -- Baudrillart,
Histoire du luxe prive et public.
1880. 4 Bde.

11. Die Gefühle. Die Grundlage alles individuellen Bewußtseins wie der
letzte Ausgangspunkt alles Handelns sind die Lust- und die Schmerzgefühle; die neuere
Psychologie hat ihre Bedeutung und ihren innigen Zusammenhang mit den Vorstellungen
einerseits, mit den aus ihnen entstehenden Trieben, Interessen, Willensanstößen und
Handlungen andererseits in ein richtigeres Licht gesetzt, als dies früher üblich war.
Lotze sagt: "Fragen wir nicht nach den Idealen, welche das Handeln bestimmen sollen,
sondern nach den Kräften, die es allenthalben wirklich in Bewegung setzen, so können
wir nicht leugnen, daß das Trachten nach Festhaltung und Wiedergewinnung der Lust
und nach Vermeidung des Wehe die einzigen Triebfedern aller praktischen Regsamkeit
sind." Zahlreiche Moralsysteme sind auf der Lust aufgebaut, andere haben sie aus-
schließen oder in ein Jenseits verlegen wollen; aber die Lehre von der Glückseligkeit und
vom höchsten Gute hat auch in der spiritualistischen Ethik wieder auf das Glück zurück-
geführt. Die Sehnsucht nach dem Glücke, das doch zuletzt aus der Abwesenheit der
Unlust und Anwesenheit der Lust entspringt, ist der unvertilgbarste Zug des menschlichen
Bewußtseins. Er ist identisch mit dem Leben überhaupt.

Was ist aber Lust und Schmerz? Was bedeuten sie? Sind alle diese Gefühle
etwas Einheitliches? Können wir die Lust der Appetitbefriedigung ohne weiteres gleich-
setzen mit der Freude an einem musikalischen Genuß und der idealen Stimmung, in
welche eine heroische That oder die Tröstung der Religion uns versetzt? Wir können
nur sagen: alle Lust und alles Glück befriedigt und erhebt uns, aller Schmerz drückt
und bekümmert uns. Und der Nervenphysiologe sagt uns, daß diese Gefühle mit Er-
regungen, mit Veränderungen in den Nervenzellen verbunden seien. Es finde, lehrt er
uns, in jeder Nervenzelle jederzeit ein Umsatz, eine Thätigkeit statt; es werden zeitweise,
besonders im Schlafe, kompliziertere Produkte geschaffen, in denen Kraft sich ansammelt;
bei der Auslösung der Kraft, bei der Thätigkeit gehen die komplizierteren Produkte
wieder in einfachere über. Hiebei, bei jeder Erregung der Nerven, entstehen Empfindungen,
welche bei einer gewissen Stärke als Lust und Schmerz wahrgenommen werden. Die
Lustempfindung ist bei gewisser Thätigkeit ausschließlich die Folge einer mittelstarken
Erregung, die beim Übermaß und beim Mangel ins Gegenteil sich verkehrt; bei anderer
Thätigkeit wächst die Freude entsprechend der Steigerung der Reizung.

Die ganzen Vorgänge sind außerordentlich kompliziert, sind auch heute noch keines-
wegs voll aufgehellt; was wir als These aufstellen können, ist von zahlreichen Ausnahmen
scheinbar durchbrochen. Aber das haben doch alle großen Denker der Vergangenheit und
der Gegenwart vermutet und behauptet, daß in den Veränderungen der Nerven und den
daran sich knüpfenden Empfindungen das Bewußtsein von Vorteilen und Nachteilen,

Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
einander in einer Art gleichgültiger Ferne gegenüberſtellt, manche Rückſichten in den
Hintergrund drängt, die man in der Familie, im Stamm bisher gehabt, wie aber in
ihr doch weder große und immer größere Bewußtſeinskreiſe und Kollektivkräfte, noch
ein gewiſſes Maß ſympathiſcher Gefühle und Gemeinſchaftsordnungen fehlen können.

4. Die individuellen Gefühle und die Bedürfniſſe.
Über Gefühle und Triebe: Lotze, Mediziniſche Pſychologie 1852 u. 1880. — Derſ., Mikro-
kosmus. 3 Bde. 1864—69. —
Wundt, Grundzüge der phyſiologiſchen Pſychologie. 1874. — Volk-
mann
, Lehrbuch der Pſychologie vom Standpunkt des Realismus. 1875. —
Horwicz, Pſychologiſche
Analyſen auf phyſiologiſcher Grundlage, hauptſächl. 2. Abt., 2: Analyſe der qualitativen Gefühle.
1878. —
Herbert Spencer, Principien der Pſychologie. Deutſch 1882. — Höffding, Pſychologie
in Umriſſen. 1887. —
Theobald Ziegler, Das Gefühl. 1893. — Fechner, Über das höchſte
Gut. 1846.
Über Bedürfniſſe: Miſchler, Grundſätze der Nationalökonomie. 1, 1856. —
A. Wagner,
Grundlegung der allg. oder theoret. Volkswirtſchaftslehre. 1876. §§ 94—105; 1892. §§ 268 ff. —

Cohn, Grundlegung der Nationalökonomie. 1885. §§ 187—212. — Wilhelm Böhmert,
Stanley Jevons und ſeine Bedeutung für die Theorie der Volkswirtſchaftsl. J. f. G. V. 1891. —

Roſcher, Über den Luxus, Anſichten der Volkswirtſchaft. 1, 1878. 3. Aufl. — Baudrillart,
Histoire du luxe privé et public.
1880. 4 Bde.

11. Die Gefühle. Die Grundlage alles individuellen Bewußtſeins wie der
letzte Ausgangspunkt alles Handelns ſind die Luſt- und die Schmerzgefühle; die neuere
Pſychologie hat ihre Bedeutung und ihren innigen Zuſammenhang mit den Vorſtellungen
einerſeits, mit den aus ihnen entſtehenden Trieben, Intereſſen, Willensanſtößen und
Handlungen andererſeits in ein richtigeres Licht geſetzt, als dies früher üblich war.
Lotze ſagt: „Fragen wir nicht nach den Idealen, welche das Handeln beſtimmen ſollen,
ſondern nach den Kräften, die es allenthalben wirklich in Bewegung ſetzen, ſo können
wir nicht leugnen, daß das Trachten nach Feſthaltung und Wiedergewinnung der Luſt
und nach Vermeidung des Wehe die einzigen Triebfedern aller praktiſchen Regſamkeit
ſind.“ Zahlreiche Moralſyſteme ſind auf der Luſt aufgebaut, andere haben ſie aus-
ſchließen oder in ein Jenſeits verlegen wollen; aber die Lehre von der Glückſeligkeit und
vom höchſten Gute hat auch in der ſpiritualiſtiſchen Ethik wieder auf das Glück zurück-
geführt. Die Sehnſucht nach dem Glücke, das doch zuletzt aus der Abweſenheit der
Unluſt und Anweſenheit der Luſt entſpringt, iſt der unvertilgbarſte Zug des menſchlichen
Bewußtſeins. Er iſt identiſch mit dem Leben überhaupt.

Was iſt aber Luſt und Schmerz? Was bedeuten ſie? Sind alle dieſe Gefühle
etwas Einheitliches? Können wir die Luſt der Appetitbefriedigung ohne weiteres gleich-
ſetzen mit der Freude an einem muſikaliſchen Genuß und der idealen Stimmung, in
welche eine heroiſche That oder die Tröſtung der Religion uns verſetzt? Wir können
nur ſagen: alle Luſt und alles Glück befriedigt und erhebt uns, aller Schmerz drückt
und bekümmert uns. Und der Nervenphyſiologe ſagt uns, daß dieſe Gefühle mit Er-
regungen, mit Veränderungen in den Nervenzellen verbunden ſeien. Es finde, lehrt er
uns, in jeder Nervenzelle jederzeit ein Umſatz, eine Thätigkeit ſtatt; es werden zeitweiſe,
beſonders im Schlafe, kompliziertere Produkte geſchaffen, in denen Kraft ſich anſammelt;
bei der Auslöſung der Kraft, bei der Thätigkeit gehen die komplizierteren Produkte
wieder in einfachere über. Hiebei, bei jeder Erregung der Nerven, entſtehen Empfindungen,
welche bei einer gewiſſen Stärke als Luſt und Schmerz wahrgenommen werden. Die
Luſtempfindung iſt bei gewiſſer Thätigkeit ausſchließlich die Folge einer mittelſtarken
Erregung, die beim Übermaß und beim Mangel ins Gegenteil ſich verkehrt; bei anderer
Thätigkeit wächſt die Freude entſprechend der Steigerung der Reizung.

Die ganzen Vorgänge ſind außerordentlich kompliziert, ſind auch heute noch keines-
wegs voll aufgehellt; was wir als Theſe aufſtellen können, iſt von zahlreichen Ausnahmen
ſcheinbar durchbrochen. Aber das haben doch alle großen Denker der Vergangenheit und
der Gegenwart vermutet und behauptet, daß in den Veränderungen der Nerven und den
daran ſich knüpfenden Empfindungen das Bewußtſein von Vorteilen und Nachteilen,

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[20/0036] Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode. einander in einer Art gleichgültiger Ferne gegenüberſtellt, manche Rückſichten in den Hintergrund drängt, die man in der Familie, im Stamm bisher gehabt, wie aber in ihr doch weder große und immer größere Bewußtſeinskreiſe und Kollektivkräfte, noch ein gewiſſes Maß ſympathiſcher Gefühle und Gemeinſchaftsordnungen fehlen können. 4. Die individuellen Gefühle und die Bedürfniſſe. Über Gefühle und Triebe: Lotze, Mediziniſche Pſychologie 1852 u. 1880. — Derſ., Mikro- kosmus. 3 Bde. 1864—69. — Wundt, Grundzüge der phyſiologiſchen Pſychologie. 1874. — Volk- mann, Lehrbuch der Pſychologie vom Standpunkt des Realismus. 1875. — Horwicz, Pſychologiſche Analyſen auf phyſiologiſcher Grundlage, hauptſächl. 2. Abt., 2: Analyſe der qualitativen Gefühle. 1878. — Herbert Spencer, Principien der Pſychologie. Deutſch 1882. — Höffding, Pſychologie in Umriſſen. 1887. — Theobald Ziegler, Das Gefühl. 1893. — Fechner, Über das höchſte Gut. 1846. Über Bedürfniſſe: Miſchler, Grundſätze der Nationalökonomie. 1, 1856. — A. Wagner, Grundlegung der allg. oder theoret. Volkswirtſchaftslehre. 1876. §§ 94—105; 1892. §§ 268 ff. — Cohn, Grundlegung der Nationalökonomie. 1885. §§ 187—212. — Wilhelm Böhmert, Stanley Jevons und ſeine Bedeutung für die Theorie der Volkswirtſchaftsl. J. f. G. V. 1891. — Roſcher, Über den Luxus, Anſichten der Volkswirtſchaft. 1, 1878. 3. Aufl. — Baudrillart, Histoire du luxe privé et public. 1880. 4 Bde. 11. Die Gefühle. Die Grundlage alles individuellen Bewußtſeins wie der letzte Ausgangspunkt alles Handelns ſind die Luſt- und die Schmerzgefühle; die neuere Pſychologie hat ihre Bedeutung und ihren innigen Zuſammenhang mit den Vorſtellungen einerſeits, mit den aus ihnen entſtehenden Trieben, Intereſſen, Willensanſtößen und Handlungen andererſeits in ein richtigeres Licht geſetzt, als dies früher üblich war. Lotze ſagt: „Fragen wir nicht nach den Idealen, welche das Handeln beſtimmen ſollen, ſondern nach den Kräften, die es allenthalben wirklich in Bewegung ſetzen, ſo können wir nicht leugnen, daß das Trachten nach Feſthaltung und Wiedergewinnung der Luſt und nach Vermeidung des Wehe die einzigen Triebfedern aller praktiſchen Regſamkeit ſind.“ Zahlreiche Moralſyſteme ſind auf der Luſt aufgebaut, andere haben ſie aus- ſchließen oder in ein Jenſeits verlegen wollen; aber die Lehre von der Glückſeligkeit und vom höchſten Gute hat auch in der ſpiritualiſtiſchen Ethik wieder auf das Glück zurück- geführt. Die Sehnſucht nach dem Glücke, das doch zuletzt aus der Abweſenheit der Unluſt und Anweſenheit der Luſt entſpringt, iſt der unvertilgbarſte Zug des menſchlichen Bewußtſeins. Er iſt identiſch mit dem Leben überhaupt. Was iſt aber Luſt und Schmerz? Was bedeuten ſie? Sind alle dieſe Gefühle etwas Einheitliches? Können wir die Luſt der Appetitbefriedigung ohne weiteres gleich- ſetzen mit der Freude an einem muſikaliſchen Genuß und der idealen Stimmung, in welche eine heroiſche That oder die Tröſtung der Religion uns verſetzt? Wir können nur ſagen: alle Luſt und alles Glück befriedigt und erhebt uns, aller Schmerz drückt und bekümmert uns. Und der Nervenphyſiologe ſagt uns, daß dieſe Gefühle mit Er- regungen, mit Veränderungen in den Nervenzellen verbunden ſeien. Es finde, lehrt er uns, in jeder Nervenzelle jederzeit ein Umſatz, eine Thätigkeit ſtatt; es werden zeitweiſe, beſonders im Schlafe, kompliziertere Produkte geſchaffen, in denen Kraft ſich anſammelt; bei der Auslöſung der Kraft, bei der Thätigkeit gehen die komplizierteren Produkte wieder in einfachere über. Hiebei, bei jeder Erregung der Nerven, entſtehen Empfindungen, welche bei einer gewiſſen Stärke als Luſt und Schmerz wahrgenommen werden. Die Luſtempfindung iſt bei gewiſſer Thätigkeit ausſchließlich die Folge einer mittelſtarken Erregung, die beim Übermaß und beim Mangel ins Gegenteil ſich verkehrt; bei anderer Thätigkeit wächſt die Freude entſprechend der Steigerung der Reizung. Die ganzen Vorgänge ſind außerordentlich kompliziert, ſind auch heute noch keines- wegs voll aufgehellt; was wir als Theſe aufſtellen können, iſt von zahlreichen Ausnahmen ſcheinbar durchbrochen. Aber das haben doch alle großen Denker der Vergangenheit und der Gegenwart vermutet und behauptet, daß in den Veränderungen der Nerven und den daran ſich knüpfenden Empfindungen das Bewußtſein von Vorteilen und Nachteilen,

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/36>, abgerufen am 21.11.2024.