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Schmidt, Andreas: Das Uber vier Malefitz-Personen ergangene Justitz-Rad. Berlin, 1725.

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§. 75.

So viel unsrer von Predigern den Besuch an diesem Manne
thaten, giengen zu Rathe, wie man an seiner Seelen was Erbauliches ver-
richtete, und sie besser zum Tode bereitete, fundens unter andern, daß der Zu-
lauff von allerley Menschen, vornehmen so wol als geringen, ihn behelligte,
indem von des Mannes seltzamen Conduite jedermann, auch die Kinder auf
den Gassen redeten, deswegen er von ihnen, als ein rechtes Abentheuer von
Menschen, besuchet und beschauet ward. Da solches ihme eine Zerstreuung,
und uns Hinderniß machete, sonderlich, da man mit ihme zu keiner festen
Kanntniß, noch ernstlichen Reue über seine Sünden recht schreiten konnte,
die doch aufgedeckt vor seinen Augen lagen, dennoch aber so schlecht von ihm
behertzigt, zugeschweige bekannt wurden, wurden wir schlüßig, das Hoff-
Gerichte zu bitten, dem Ubel abzuhelffen. Und wo wolten wir anders
Hülffe gesuchet haben, als bey denen, die eine äusserliche Paedagogie besser
als wir angeben konnten? Und eigenmächtig selbst mit ihme was vorzuneh-
men, wolte sich für uns gar nicht schicken, als die wir unsre Schrancken be-
obachten, und über dieselbe uns nicht begeben wolten. Wir melden solches
so umständlich deswegen, daß wir uns des Verdachts entlasten bey denen,
die uns offters in der Gerichts-Stube gesehen, als wären wir so lüsternd
und neugierig gewesen, den Lauff ihres Processes zu wissen. Gewiß, hätten
wir sonst vorbey kommen können, wir wärens gern überhoben geblieben.

§. 76.

Wir waren just geschäfftig, in der Gerichts-Stuben solches
vor der Session zu proponiren, da die vier Missethäter auch vor musten, und
da wir unser Petitum erreichet hatten, und wieder herab treten wolten, kam
der ausgesandte Gerichts-Bothe von Havelberg zurücke, brachte aus dem
Protocollo daselbst den Extract mit, darin Kranichfeld, seines ermordeten
Bruders wegen von der verzeichneten Aussage daselbst sehr graviret wurde,
daß er bey solchem fratricidio zugegen, und ob gleich nicht sein Mörder
eigentlich gewesen sey, jedoch an den Ermordeten den ersten Angriff gethan,
und den parricidam herbey geruffen, der diesem Ermordeten mit dem Messer
solchen tödtlichen Stich beygebracht habe. Solches wurde unserm Kranich-
feld verlesen, aber sein Gemüth schiene wenig davon beweget zu werden.
Durffte noch wol, da es verlesen ward, heraus fahren: Man kan mir viele
vorlesen. Darauf ward es ihm überreichet, daß ers selber lesen solte, da ers
genommen und gelesen hatte, hieß es abermal: Sie können viele schreiben.
Jndessen verrieth er sich hiemit wiederum, daß er nicht allein gedruckte, sondern
auch geschriebene Schrifft lesen könne, nachdem er zuvor so tückisch mit uns

Pre-
§. 75.

So viel unſrer von Predigern den Beſuch an dieſem Manne
thaten, giengen zu Rathe, wie man an ſeiner Seelen was Erbauliches ver-
richtete, und ſie beſſer zum Tode bereitete, fundens unter andern, daß der Zu-
lauff von allerley Menſchen, vornehmen ſo wol als geringen, ihn behelligte,
indem von des Mannes ſeltzamen Conduite jedermann, auch die Kinder auf
den Gaſſen redeten, deswegen er von ihnen, als ein rechtes Abentheuer von
Menſchen, beſuchet und beſchauet ward. Da ſolches ihme eine Zerſtreuung,
und uns Hinderniß machete, ſonderlich, da man mit ihme zu keiner feſten
Kanntniß, noch ernſtlichen Reue uͤber ſeine Suͤnden recht ſchreiten konnte,
die doch aufgedeckt vor ſeinen Augen lagen, dennoch aber ſo ſchlecht von ihm
behertzigt, zugeſchweige bekannt wurden, wurden wir ſchluͤßig, das Hoff-
Gerichte zu bitten, dem Ubel abzuhelffen. Und wo wolten wir anders
Huͤlffe geſuchet haben, als bey denen, die eine aͤuſſerliche Pædagogie beſſer
als wir angeben konnten? Und eigenmaͤchtig ſelbſt mit ihme was vorzuneh-
men, wolte ſich fuͤr uns gar nicht ſchicken, als die wir unſre Schrancken be-
obachten, und uͤber dieſelbe uns nicht begeben wolten. Wir melden ſolches
ſo umſtaͤndlich deswegen, daß wir uns des Verdachts entlaſten bey denen,
die uns offters in der Gerichts-Stube geſehen, als waͤren wir ſo luͤſternd
und neugierig geweſen, den Lauff ihres Proceſſes zu wiſſen. Gewiß, haͤtten
wir ſonſt vorbey kommen koͤnnen, wir waͤrens gern uͤberhoben geblieben.

§. 76.

Wir waren juſt geſchaͤfftig, in der Gerichts-Stuben ſolches
vor der Sesſion zu proponiren, da die vier Miſſethaͤter auch vor muſten, und
da wir unſer Petitum erreichet hatten, und wieder herab treten wolten, kam
der ausgeſandte Gerichts-Bothe von Havelberg zuruͤcke, brachte aus dem
Protocollo daſelbſt den Extract mit, darin Kranichfeld, ſeines ermordeten
Bruders wegen von der verzeichneten Ausſage daſelbſt ſehr graviret wurde,
daß er bey ſolchem fratricidio zugegen, und ob gleich nicht ſein Moͤrder
eigentlich geweſen ſey, jedoch an den Ermordeten den erſten Angriff gethan,
und den parricidam herbey geruffen, der dieſem Ermordeten mit dem Meſſer
ſolchen toͤdtlichen Stich beygebracht habe. Solches wurde unſerm Kranich-
feld verleſen, aber ſein Gemuͤth ſchiene wenig davon beweget zu werden.
Durffte noch wol, da es verleſen ward, heraus fahren: Man kan mir viele
vorleſen. Darauf ward es ihm uͤberreichet, daß ers ſelber leſen ſolte, da ers
genommen und geleſen hatte, hieß es abermal: Sie koͤnnen viele ſchreiben.
Jndeſſen verrieth er ſich hiemit wiederum, daß er nicht allein gedruckte, ſondern
auch geſchriebene Schrifft leſen koͤnne, nachdem er zuvor ſo tuͤckiſch mit uns

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[56[54]/0062] §. 75. So viel unſrer von Predigern den Beſuch an dieſem Manne thaten, giengen zu Rathe, wie man an ſeiner Seelen was Erbauliches ver- richtete, und ſie beſſer zum Tode bereitete, fundens unter andern, daß der Zu- lauff von allerley Menſchen, vornehmen ſo wol als geringen, ihn behelligte, indem von des Mannes ſeltzamen Conduite jedermann, auch die Kinder auf den Gaſſen redeten, deswegen er von ihnen, als ein rechtes Abentheuer von Menſchen, beſuchet und beſchauet ward. Da ſolches ihme eine Zerſtreuung, und uns Hinderniß machete, ſonderlich, da man mit ihme zu keiner feſten Kanntniß, noch ernſtlichen Reue uͤber ſeine Suͤnden recht ſchreiten konnte, die doch aufgedeckt vor ſeinen Augen lagen, dennoch aber ſo ſchlecht von ihm behertzigt, zugeſchweige bekannt wurden, wurden wir ſchluͤßig, das Hoff- Gerichte zu bitten, dem Ubel abzuhelffen. Und wo wolten wir anders Huͤlffe geſuchet haben, als bey denen, die eine aͤuſſerliche Pædagogie beſſer als wir angeben konnten? Und eigenmaͤchtig ſelbſt mit ihme was vorzuneh- men, wolte ſich fuͤr uns gar nicht ſchicken, als die wir unſre Schrancken be- obachten, und uͤber dieſelbe uns nicht begeben wolten. Wir melden ſolches ſo umſtaͤndlich deswegen, daß wir uns des Verdachts entlaſten bey denen, die uns offters in der Gerichts-Stube geſehen, als waͤren wir ſo luͤſternd und neugierig geweſen, den Lauff ihres Proceſſes zu wiſſen. Gewiß, haͤtten wir ſonſt vorbey kommen koͤnnen, wir waͤrens gern uͤberhoben geblieben. §. 76. Wir waren juſt geſchaͤfftig, in der Gerichts-Stuben ſolches vor der Sesſion zu proponiren, da die vier Miſſethaͤter auch vor muſten, und da wir unſer Petitum erreichet hatten, und wieder herab treten wolten, kam der ausgeſandte Gerichts-Bothe von Havelberg zuruͤcke, brachte aus dem Protocollo daſelbſt den Extract mit, darin Kranichfeld, ſeines ermordeten Bruders wegen von der verzeichneten Ausſage daſelbſt ſehr graviret wurde, daß er bey ſolchem fratricidio zugegen, und ob gleich nicht ſein Moͤrder eigentlich geweſen ſey, jedoch an den Ermordeten den erſten Angriff gethan, und den parricidam herbey geruffen, der dieſem Ermordeten mit dem Meſſer ſolchen toͤdtlichen Stich beygebracht habe. Solches wurde unſerm Kranich- feld verleſen, aber ſein Gemuͤth ſchiene wenig davon beweget zu werden. Durffte noch wol, da es verleſen ward, heraus fahren: Man kan mir viele vorleſen. Darauf ward es ihm uͤberreichet, daß ers ſelber leſen ſolte, da ers genommen und geleſen hatte, hieß es abermal: Sie koͤnnen viele ſchreiben. Jndeſſen verrieth er ſich hiemit wiederum, daß er nicht allein gedruckte, ſondern auch geſchriebene Schrifft leſen koͤnne, nachdem er zuvor ſo tuͤckiſch mit uns Pre-

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Zitationshilfe: Schmidt, Andreas: Das Uber vier Malefitz-Personen ergangene Justitz-Rad. Berlin, 1725, S. 56[54]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_justitzrad_1725/62>, abgerufen am 21.11.2024.