Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorerinnerungen.
§. 1.

Wir haben hier in Göttingen, Gott Lob! Denk- und
Druck-Freiheit. Ohne alle Censur darf jeder Profes-
sor alles drucken lassen, was er sich vor seiner Obrigkeit und
der ehrliebenden Welt zu verantworten getrauet.

Diese glückliche Denk- und Druck-Freiheit gilt natürlicher
Weise auch unter den Professoren selbst gegen einander, in An-
sehung ihrer Lehrsätze. Jeder darf nicht nur andrer Meinung
seyn, als sein College: er darf es auch sagen und drucken las-
sen, er kan öffentlich den Collegen eines Jrrtums zeihen; das
indicare dissensum, si opus esse videatur, ist ihm ausdriicklich
erlaubt.

Nur die Art und Weise, wie ein College dieses Recht ge-
gen den andern ausüben soll, ist durch unsre Statuten be-
schränkt, welche jeder Professor bei seiner Aufname, meines
Wissens, beschwört. Es soll modeste, und tacito collegae no-
mine,
und ohne Nachteil der Ehre des Jrrenden, geschehen:
nemo de altero vel publice vel priuatim detrahat; nemo al-
terius sententias in
risum contemtumue adducere studeat.

Nuhe der bürgerlichen Gesellschaft, Würde des Gelehrten-
standes, und Wolstand und gute Sitten, müssen diese Ein-
schränkung schon jedem heilig machen, wenn ihr auch die aus-
drückliche Sanction des Gesetzgebers fehlte.

§. 2.

Wenn nun aber 1. ein College dem andern als Jrrtum
aufmutzt, was erweislich kein Jrrtum ist; wenn er 2. dieses
gar nicht modeste, sondern mit offenbarer Absicht thut, den ver-
meintlich Jrrenden zugleich verächtlich oder lächerlich zu ma-
chen; wenn er 3. ihn nicht bloß Jrrtums zeihet, sondern ihm
weit empfindlichere Vorwürfe macht, und dieses 4. nicht priua-
tim,
sondern mit dem höchsten Grad der Publicität, in gedruck-

ten
Vorerinnerungen.
§. 1.

Wir haben hier in Göttingen, Gott Lob! Denk- und
Druck-Freiheit. Ohne alle Cenſur darf jeder Profeſ-
ſor alles drucken laſſen, was er ſich vor ſeiner Obrigkeit und
der ehrliebenden Welt zu verantworten getrauet.

Dieſe glückliche Denk- und Druck-Freiheit gilt natürlicher
Weiſe auch unter den Profeſſoren ſelbſt gegen einander, in An-
ſehung ihrer Lehrſätze. Jeder darf nicht nur andrer Meinung
ſeyn, als ſein College: er darf es auch ſagen und drucken laſ-
ſen, er kan öffentlich den Collegen eines Jrrtums zeihen; das
indicare diſſenſum, ſi opus eſſe videatur, iſt ihm ausdriicklich
erlaubt.

Nur die Art und Weiſe, wie ein College dieſes Recht ge-
gen den andern ausüben ſoll, iſt durch unſre Statuten be-
ſchränkt, welche jeder Profeſſor bei ſeiner Aufname, meines
Wiſſens, beſchwört. Es ſoll modeſte, und tacito collegae no-
mine,
und ohne Nachteil der Ehre des Jrrenden, geſchehen:
nemo de altero vel publice vel priuatim detrahat; nemo al-
terius ſententias in
riſum contemtumue adducere ſtudeat.

Nuhe der bürgerlichen Geſellſchaft, Würde des Gelehrten-
ſtandes, und Wolſtand und gute Sitten, müſſen dieſe Ein-
ſchränkung ſchon jedem heilig machen, wenn ihr auch die aus-
drückliche Sanction des Geſetzgebers fehlte.

§. 2.

Wenn nun aber 1. ein College dem andern als Jrrtum
aufmutzt, was erweislich kein Jrrtum iſt; wenn er 2. dieſes
gar nicht modeſte, ſondern mit offenbarer Abſicht thut, den ver-
meintlich Jrrenden zugleich verächtlich oder lächerlich zu ma-
chen; wenn er 3. ihn nicht bloß Jrrtums zeihet, ſondern ihm
weit empfindlichere Vorwürfe macht, und dieſes 4. nicht priua-
tim,
ſondern mit dem höchſten Grad der Publicität, in gedruck-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <pb facs="#f0198" n="402[178]"/>
          <div n="2">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Vorerinnerungen.</hi> </hi> </head><lb/>
            <div n="3">
              <head>§. 1.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">W</hi>ir haben hier in Göttingen, Gott Lob! Denk- und<lb/>
Druck-Freiheit. Ohne alle Cen&#x017F;ur darf jeder Profe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;or alles drucken la&#x017F;&#x017F;en, was er &#x017F;ich vor &#x017F;einer Obrigkeit und<lb/>
der ehrliebenden Welt zu verantworten getrauet.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e glückliche Denk- und Druck-Freiheit gilt natürlicher<lb/>
Wei&#x017F;e auch unter den Profe&#x017F;&#x017F;oren &#x017F;elb&#x017F;t gegen einander, in An-<lb/>
&#x017F;ehung ihrer <hi rendition="#fr">Lehr&#x017F;ätze.</hi> Jeder darf nicht nur andrer Meinung<lb/>
&#x017F;eyn, als &#x017F;ein College: er darf es auch &#x017F;agen und drucken la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, er kan öffentlich den Collegen eines Jrrtums zeihen; das<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">indicare di&#x017F;&#x017F;en&#x017F;um, &#x017F;i opus e&#x017F;&#x017F;e videatur,</hi></hi> i&#x017F;t ihm ausdriicklich<lb/>
erlaubt.</p><lb/>
              <p>Nur die Art und Wei&#x017F;e, wie ein College die&#x017F;es Recht ge-<lb/>
gen den andern ausüben &#x017F;oll, i&#x017F;t durch un&#x017F;re Statuten be-<lb/>
&#x017F;chränkt, welche jeder Profe&#x017F;&#x017F;or bei &#x017F;einer Aufname, meines<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens, be&#x017F;chwört. Es &#x017F;oll <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">mode&#x017F;te,</hi></hi> und <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">tacito collegae no-<lb/>
mine,</hi></hi> und ohne Nachteil der Ehre des Jrrenden, ge&#x017F;chehen:<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">nemo de altero vel</hi> publice <hi rendition="#i">vel</hi> priuatim <hi rendition="#i">detrahat; nemo al-<lb/>
terius &#x017F;ententias in</hi> ri&#x017F;um contemtum<hi rendition="#i">ue adducere &#x017F;tudeat.</hi></hi></p><lb/>
              <p>Nuhe der bürgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, Würde des Gelehrten-<lb/>
&#x017F;tandes, und Wol&#x017F;tand und gute Sitten, mü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e Ein-<lb/>
&#x017F;chränkung &#x017F;chon jedem heilig machen, wenn ihr auch die aus-<lb/>
drückliche Sanction des Ge&#x017F;etzgebers fehlte.</p>
            </div><lb/>
            <div n="3">
              <head>§. 2.</head><lb/>
              <p>Wenn nun aber 1. ein College dem andern als <hi rendition="#fr">Jrrtum</hi><lb/>
aufmutzt, was erweislich kein Jrrtum i&#x017F;t; wenn er 2. die&#x017F;es<lb/>
gar nicht <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">mode&#x017F;te,</hi></hi> &#x017F;ondern mit offenbarer Ab&#x017F;icht thut, den ver-<lb/>
meintlich Jrrenden zugleich verächtlich oder lächerlich zu ma-<lb/>
chen; wenn er 3. ihn nicht bloß Jrrtums zeihet, &#x017F;ondern ihm<lb/>
weit empfindlichere <hi rendition="#fr">Vorwürfe</hi> macht, und die&#x017F;es 4. nicht <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">priua-<lb/>
tim,</hi></hi> &#x017F;ondern mit dem höch&#x017F;ten Grad der Publicität, in gedruck-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402[178]/0198] Vorerinnerungen. §. 1. Wir haben hier in Göttingen, Gott Lob! Denk- und Druck-Freiheit. Ohne alle Cenſur darf jeder Profeſ- ſor alles drucken laſſen, was er ſich vor ſeiner Obrigkeit und der ehrliebenden Welt zu verantworten getrauet. Dieſe glückliche Denk- und Druck-Freiheit gilt natürlicher Weiſe auch unter den Profeſſoren ſelbſt gegen einander, in An- ſehung ihrer Lehrſätze. Jeder darf nicht nur andrer Meinung ſeyn, als ſein College: er darf es auch ſagen und drucken laſ- ſen, er kan öffentlich den Collegen eines Jrrtums zeihen; das indicare diſſenſum, ſi opus eſſe videatur, iſt ihm ausdriicklich erlaubt. Nur die Art und Weiſe, wie ein College dieſes Recht ge- gen den andern ausüben ſoll, iſt durch unſre Statuten be- ſchränkt, welche jeder Profeſſor bei ſeiner Aufname, meines Wiſſens, beſchwört. Es ſoll modeſte, und tacito collegae no- mine, und ohne Nachteil der Ehre des Jrrenden, geſchehen: nemo de altero vel publice vel priuatim detrahat; nemo al- terius ſententias in riſum contemtumue adducere ſtudeat. Nuhe der bürgerlichen Geſellſchaft, Würde des Gelehrten- ſtandes, und Wolſtand und gute Sitten, müſſen dieſe Ein- ſchränkung ſchon jedem heilig machen, wenn ihr auch die aus- drückliche Sanction des Geſetzgebers fehlte. §. 2. Wenn nun aber 1. ein College dem andern als Jrrtum aufmutzt, was erweislich kein Jrrtum iſt; wenn er 2. dieſes gar nicht modeſte, ſondern mit offenbarer Abſicht thut, den ver- meintlich Jrrenden zugleich verächtlich oder lächerlich zu ma- chen; wenn er 3. ihn nicht bloß Jrrtums zeihet, ſondern ihm weit empfindlichere Vorwürfe macht, und dieſes 4. nicht priua- tim, ſondern mit dem höchſten Grad der Publicität, in gedruck- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773/198
Zitationshilfe: Schlözer, August Ludwig von: August Ludwig Schlözers [...] Vorstellung seiner Universal-Historie. Bd. 2. Göttingen u. a., 1773, S. 402[178]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schloezer_universalhistorie02_1773/198>, abgerufen am 21.11.2024.