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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.

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38. Auf das quantitative Verstehen ist überall eben so
zu achten wie auf das qualitative.

Also nicht erst damit anzufangen bei schweren Stellen son-
dern bei leichten, im formellen und materiellen Sprachelement,
in Wörtern und ganzen Säzen.

39. Das Minimum des quantitativen ist das Abun-
diren, das Maximum die Emphase.

1. Das Abundiren besteht darin wenn ein Theil nichts bei-
trägt zum Ganzen. Doch findet dieses niemals schlechthin statt.
Die Emphase besteht darin: einmal wenn das Wort in dem
größten Umfang zu nehmen ist, in welchem es gewöhnlich nicht
vorkommt, dann auch wenn alle Nebenvorstellungen welche es
erregen kann mit beabsichtigt sind. Das Lezte ist etwas un-
endliches.

2. Da nun die Endpunkte nicht eigentlich gegeben sind, so
geht man aus von einem Durchschnitt, als dem gewöhnlichen,
was darunter ist nähert sich dem Abundiren, was darüber der
Emphase.

40. Alles mehr oder weniger abundirende da es doch
einen Grund haben muß, muß entweder aus Rücksicht auf
das musikalische der Sprache oder aus einer mechanischen
Attraction entstanden sein, und eins von beiden muß man
nachweisen können wenn man etwas als abundirendes an-
sehn will.

1. Mechanische Attraction kann nur stattfinden wenn die
Verbindung zweier Redetheile Formel und Phrase geworden ist.

2. Aus musikalischer Rücksicht kann etwas abundirendes
nur stehen in solchen Gattungen, wo dieses Element mehr her-
vortritt und an solchen Stellen wo das logische mehr zurück-
tritt, welches lezte der Fall ist wenn die Form des Gegensazes
ganz fehlt.

38. Auf das quantitative Verſtehen iſt uͤberall eben ſo
zu achten wie auf das qualitative.

Alſo nicht erſt damit anzufangen bei ſchweren Stellen ſon-
dern bei leichten, im formellen und materiellen Sprachelement,
in Woͤrtern und ganzen Saͤzen.

39. Das Minimum des quantitativen iſt das Abun-
diren, das Maximum die Emphaſe.

1. Das Abundiren beſteht darin wenn ein Theil nichts bei-
traͤgt zum Ganzen. Doch findet dieſes niemals ſchlechthin ſtatt.
Die Emphaſe beſteht darin: einmal wenn das Wort in dem
groͤßten Umfang zu nehmen iſt, in welchem es gewoͤhnlich nicht
vorkommt, dann auch wenn alle Nebenvorſtellungen welche es
erregen kann mit beabſichtigt ſind. Das Lezte iſt etwas un-
endliches.

2. Da nun die Endpunkte nicht eigentlich gegeben ſind, ſo
geht man aus von einem Durchſchnitt, als dem gewoͤhnlichen,
was darunter iſt naͤhert ſich dem Abundiren, was daruͤber der
Emphaſe.

40. Alles mehr oder weniger abundirende da es doch
einen Grund haben muß, muß entweder aus Ruͤckſicht auf
das muſikaliſche der Sprache oder aus einer mechaniſchen
Attraction entſtanden ſein, und eins von beiden muß man
nachweiſen koͤnnen wenn man etwas als abundirendes an-
ſehn will.

1. Mechaniſche Attraction kann nur ſtattfinden wenn die
Verbindung zweier Redetheile Formel und Phraſe geworden iſt.

2. Aus muſikaliſcher Ruͤckſicht kann etwas abundirendes
nur ſtehen in ſolchen Gattungen, wo dieſes Element mehr her-
vortritt und an ſolchen Stellen wo das logiſche mehr zuruͤck-
tritt, welches lezte der Fall iſt wenn die Form des Gegenſazes
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[86/0110] 38. Auf das quantitative Verſtehen iſt uͤberall eben ſo zu achten wie auf das qualitative. Alſo nicht erſt damit anzufangen bei ſchweren Stellen ſon- dern bei leichten, im formellen und materiellen Sprachelement, in Woͤrtern und ganzen Saͤzen. 39. Das Minimum des quantitativen iſt das Abun- diren, das Maximum die Emphaſe. 1. Das Abundiren beſteht darin wenn ein Theil nichts bei- traͤgt zum Ganzen. Doch findet dieſes niemals ſchlechthin ſtatt. Die Emphaſe beſteht darin: einmal wenn das Wort in dem groͤßten Umfang zu nehmen iſt, in welchem es gewoͤhnlich nicht vorkommt, dann auch wenn alle Nebenvorſtellungen welche es erregen kann mit beabſichtigt ſind. Das Lezte iſt etwas un- endliches. 2. Da nun die Endpunkte nicht eigentlich gegeben ſind, ſo geht man aus von einem Durchſchnitt, als dem gewoͤhnlichen, was darunter iſt naͤhert ſich dem Abundiren, was daruͤber der Emphaſe. 40. Alles mehr oder weniger abundirende da es doch einen Grund haben muß, muß entweder aus Ruͤckſicht auf das muſikaliſche der Sprache oder aus einer mechaniſchen Attraction entſtanden ſein, und eins von beiden muß man nachweiſen koͤnnen wenn man etwas als abundirendes an- ſehn will. 1. Mechaniſche Attraction kann nur ſtattfinden wenn die Verbindung zweier Redetheile Formel und Phraſe geworden iſt. 2. Aus muſikaliſcher Ruͤckſicht kann etwas abundirendes nur ſtehen in ſolchen Gattungen, wo dieſes Element mehr her- vortritt und an ſolchen Stellen wo das logiſche mehr zuruͤck- tritt, welches lezte der Fall iſt wenn die Form des Gegenſazes ganz fehlt.

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Zitationshilfe: Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/110>, abgerufen am 27.04.2024.