Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.er sey zu verstehen, was der andre wolle. -- Antonio unterbrach sie mit der Bemerkung, er hoffe zum Besten der Menschheit, jener Glaube sey nicht so nothwendig als Lothario meyne; denn er sey wohl sehr selten. Meistens halten die Frauen, sagte er, soviel ich habe bemerken können, die Kunst, das Alterthum, die Philosophie und dergleichen für ungegründete Traditionen, für Vorurtheile, die sich die Männer unter einander weiß machen, um sich die Zeit zu vertreiben. Marcus kündigte einige Bemerkungen über Goethe an, "Also schon wieder Charakteristik eines lebenden Dichters?" fragte Antonio. Sie werden die Antwort auf Jhren Tadel in dem Aufsatze selbst finden, erwiederte Marcus, und fing an zu lesen. Versuch über den verschiedenen Styl in Goethe's früheren und späteren Werken.
Goethe's Universalität ist mir oft von neuem einleuchtend geworden, wenn ich die mannichfaltige Art bemerkte, wie seine Werke auf Dichter und Freunde der Dichtkunst wirken. Der eine strebt dem Jdealischen der Jphigenia oder des Tasso nach, der andre macht sich die leichte und doch einzige Manier der kunstlosen Lieder und reizenden Dramolets zu eigen; dieser ergötzt sich an der schönen und naiven Form des Hermann, jener wird ganz entzündet von der Begeisterung des Faust. Mir selbst bleibt der Meister der faßlichste er sey zu verstehen, was der andre wolle. — Antonio unterbrach sie mit der Bemerkung, er hoffe zum Besten der Menschheit, jener Glaube sey nicht so nothwendig als Lothario meyne; denn er sey wohl sehr selten. Meistens halten die Frauen, sagte er, soviel ich habe bemerken koͤnnen, die Kunst, das Alterthum, die Philosophie und dergleichen fuͤr ungegruͤndete Traditionen, fuͤr Vorurtheile, die sich die Maͤnner unter einander weiß machen, um sich die Zeit zu vertreiben. Marcus kuͤndigte einige Bemerkungen uͤber Goethe an, “Also schon wieder Charakteristik eines lebenden Dichters?” fragte Antonio. Sie werden die Antwort auf Jhren Tadel in dem Aufsatze selbst finden, erwiederte Marcus, und fing an zu lesen. Versuch uͤber den verschiedenen Styl in Goethe's fruͤheren und spaͤteren Werken.
Goethe's Universalitaͤt ist mir oft von neuem einleuchtend geworden, wenn ich die mannichfaltige Art bemerkte, wie seine Werke auf Dichter und Freunde der Dichtkunst wirken. Der eine strebt dem Jdealischen der Jphigenia oder des Tasso nach, der andre macht sich die leichte und doch einzige Manier der kunstlosen Lieder und reizenden Dramolets zu eigen; dieser ergoͤtzt sich an der schoͤnen und naiven Form des Hermann, jener wird ganz entzuͤndet von der Begeisterung des Faust. Mir selbst bleibt der Meister der faßlichste <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0182" n="170"/> er sey zu verstehen, was der andre wolle. — Antonio unterbrach sie mit der Bemerkung, er hoffe zum Besten der Menschheit, jener Glaube sey nicht so nothwendig als Lothario meyne; denn er sey wohl sehr selten. Meistens halten die Frauen, sagte er, soviel ich habe bemerken koͤnnen, die Kunst, das Alterthum, die Philosophie und dergleichen fuͤr ungegruͤndete Traditionen, fuͤr Vorurtheile, die sich die Maͤnner unter einander weiß machen, um sich die Zeit zu vertreiben.</p><lb/> <p>Marcus kuͤndigte einige Bemerkungen uͤber Goethe an, “Also schon wieder Charakteristik eines lebenden Dichters?” fragte Antonio. Sie werden die Antwort auf Jhren Tadel in dem Aufsatze selbst finden, erwiederte Marcus, und fing an zu lesen.</p><lb/> <div n="3"> <head>Versuch uͤber den verschiedenen Styl in Goethe's fruͤheren und spaͤteren Werken.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Goethe's Universalitaͤt ist mir oft von neuem einleuchtend geworden, wenn ich die mannichfaltige Art bemerkte, wie seine Werke auf Dichter und Freunde der Dichtkunst wirken. Der eine strebt dem Jdealischen der Jphigenia oder des Tasso nach, der andre macht sich die leichte und doch einzige Manier der kunstlosen Lieder und reizenden Dramolets zu eigen; dieser ergoͤtzt sich an der schoͤnen und naiven Form des Hermann, jener wird ganz entzuͤndet von der Begeisterung des Faust. Mir selbst bleibt der Meister der faßlichste </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0182]
er sey zu verstehen, was der andre wolle. — Antonio unterbrach sie mit der Bemerkung, er hoffe zum Besten der Menschheit, jener Glaube sey nicht so nothwendig als Lothario meyne; denn er sey wohl sehr selten. Meistens halten die Frauen, sagte er, soviel ich habe bemerken koͤnnen, die Kunst, das Alterthum, die Philosophie und dergleichen fuͤr ungegruͤndete Traditionen, fuͤr Vorurtheile, die sich die Maͤnner unter einander weiß machen, um sich die Zeit zu vertreiben.
Marcus kuͤndigte einige Bemerkungen uͤber Goethe an, “Also schon wieder Charakteristik eines lebenden Dichters?” fragte Antonio. Sie werden die Antwort auf Jhren Tadel in dem Aufsatze selbst finden, erwiederte Marcus, und fing an zu lesen.
Versuch uͤber den verschiedenen Styl in Goethe's fruͤheren und spaͤteren Werken.
Goethe's Universalitaͤt ist mir oft von neuem einleuchtend geworden, wenn ich die mannichfaltige Art bemerkte, wie seine Werke auf Dichter und Freunde der Dichtkunst wirken. Der eine strebt dem Jdealischen der Jphigenia oder des Tasso nach, der andre macht sich die leichte und doch einzige Manier der kunstlosen Lieder und reizenden Dramolets zu eigen; dieser ergoͤtzt sich an der schoͤnen und naiven Form des Hermann, jener wird ganz entzuͤndet von der Begeisterung des Faust. Mir selbst bleibt der Meister der faßlichste
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