Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706.Nicht weit von des Pilati See zeiget man in dem Felsen am Weg Von dem stürmigen Hornviehe. ES tragt sich etwan zu/ daß die auf hohen Alpen weidende Kühe tes/
Nicht weit von des Pilati See zeiget man in dem Felſen am Weg Von dem ſtuͤrmigen Hornviehe. ES tragt ſich etwan zu/ daß die auf hohen Alpen weidende Kuͤhe tes/
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Nicht weit von des Pilati See zeiget man in dem Felſen am Weg
zwey Zeichen/ die ſehen auß/ als wann ein Pferd mit dem Fußeiſen ſtark an-
geſetzet hette/ und gibet vor/ daß der leidige Satan mit dem Pilato alſo ſtark
angefahren ſeye/ das darvon die Zeichen des Fuſſes als ein Merkmal geblie-
ben. Von hier gehet man ungefehr eine ſtund wegs auf eine andere Berg-
hoͤhe/ Widerfeld genant/ auf welcher ganze Felſen zuſehen von lauter-zer-
muͤrſeten Steinernen See Muſcheln zuſamen gewachſen; ein ſicheres beweïß-
thum/ daß die Waſſer der Suͤndflut auch uͤber die Spitzen diſes hohen Pi-
latusbergs hergefahren/ und diſere Muſchelſtein zu einem immerwaͤhrenden
Gedenkzeichen hinterlaſſen. Ohnweit von diſem Ort findet ſich das Mon-
loch/ eine anfangs enge/ innwendig aber weite und in die 100. Klafter lan-
ge Berghoͤle/ ſo da gehet an die hoͤchſte Felßwand/ die gegen dem Underwald-
ner Land ſihet. Jn diſer hoͤhle tropfet beſtaͤndig ab ein Waſſer/ welches ſich
verwandelt in eine Milchweiſſe/ leichte/ luftige Materi/ welche anfangs weich
iſt/ hernach aber an der Luft troknet/ und Lac Lunæ, Mon-Milch ge-
nennet wird/ auch dienſtlich iſt zu allerhand Krankheiten/ worvon zu anderen
Zeiten ein mehrers. Auf der andern ſeiten des Bergs ſteiget man ab gegen
Alpnach/ einem Flecken des Underwaldner-Gebiets/ durch ſchoͤne frucht-
bare Alpen. Es iſt noch diſes von dem Pilatus Berg zu bemelden/ das von
ihme ein gar artiges Tractaͤtlein in Lateiniſcher Sprach beſchriebenunſer welt-
beruͤhmte Conradus Geßnerus, ſo getrukt worden in Zuͤrich/ A. 1555. in 4.
Von dem ſtuͤrmigen Hornviehe.
ES tragt ſich etwan zu/ daß die auf hohen Alpen weidende Kuͤhe
bald ſtill ſtehen/ wie ein Stock/ bald in die ruͤnde ſich bewegen/ und
dem rauſchenden Waſſer nachgehen/ an deme ſie hernach ſtill halten/
gleich als ob ſie von dem Geraͤuſch des vorbey flieſſenden Bachs ein ſonder-
liche luſt empfunden. Bey ſo thanem Zuſtande ruͤſtet ſich der beruffene
Vieh-arzet zu einer einfaͤltzigen/ und doch gefaͤhrlichen/ Operation, welche ſo
ſie an denen Menſchen/ wiewol auf kunſtlichere weiſe/ geſchihet/ eine Trepa-
nation, oder durchborꝛung der Hirnſchale/ heiſſet. An ſtatt des Tre-
pans bedient er ſich eines ſcharffen Meſſers/ womit er erſtlich/ und gemeinlich
in mitten der Stirne die Haut von dem Bein ſchelet/ hernach mit gemaͤch-
licher umdraͤhung die Hirnſchale durchborꝛet; Wann diß geſchehen/ und
die ſo genante Dura Mater, oder harte Hirnhaͤutlein bloß vor augen li-
get/ ſo nimmet der Operator ein vor das loch kommendes/ oder ſonſten zwi-
ſchen der Hirnſchale/ und dem Hirnhaͤutlein ligendes/ mit Waſſer angefuͤll-
tes/
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Zitationshilfe: | Scheuchzer, Johann Jacob: Beschreibung der Natur-Geschichten Des Schweizerlands. Bd. 1. Zürich, 1706, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheuchzer_naturgeschichten01_1706/26>, abgerufen am 16.07.2024. |