Gott ist allwissend, sprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie schwieg. Frau Hadwig schwieg auch. Da trat eine jener schwülen inhaltsvollen Pausen ein, wie sie der Selbsterkenntniß vorangehen. Endlich sprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!
Sie schlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geschah aus langer Weile. Der Gipfel unseres Hohentwiel ist aber auch ein gar zu betrübtes Nest -- zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt du ein Mittel gegen die lange Weile?
Ich hab' einmal von einem weisen Prediger gehört, sprach Praxe- dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reisen -- das beste sei Fasten und Beten.
Da stützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, sah die dienstbereite Griechin scharf an und sprach: Morgen reisen wir!
Zweites Kapitel. Die Jünger des heiligen Gallus.
Des andern Tages fuhr die Herzogin sammt Praxedis und großer Gefolgschaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodensee. Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten lustig, und war viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer sollt' auch traurig sein, wenn er über die krystallklare Wasserfläche dahin schwebt, die baumumsäumten Gestade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechsel an ihm vorbei, fern dämmern die schneeigen Firnen und der Widerschein des weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?
Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber so gewohnt.
Wie sie an der Bucht von Rorschach10) anfuhren, hieß die Her- zogin einlenken. Zum Ufer steuerte das Schiff, über's schwanke Brett stieg sie an's Land. Und der Wasserzoller kam herbei, der dort den Welschlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz seßhaft war, sie riefen
Gott iſt allwiſſend, ſprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie ſchwieg. Frau Hadwig ſchwieg auch. Da trat eine jener ſchwülen inhaltsvollen Pauſen ein, wie ſie der Selbſterkenntniß vorangehen. Endlich ſprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!
Sie ſchlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geſchah aus langer Weile. Der Gipfel unſeres Hohentwiel iſt aber auch ein gar zu betrübtes Neſt — zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt du ein Mittel gegen die lange Weile?
Ich hab' einmal von einem weiſen Prediger gehört, ſprach Praxe- dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reiſen — das beſte ſei Faſten und Beten.
Da ſtützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, ſah die dienſtbereite Griechin ſcharf an und ſprach: Morgen reiſen wir!
Zweites Kapitel. Die Jünger des heiligen Gallus.
Des andern Tages fuhr die Herzogin ſammt Praxedis und großer Gefolgſchaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodenſee. Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten luſtig, und war viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer ſollt' auch traurig ſein, wenn er über die kryſtallklare Waſſerfläche dahin ſchwebt, die baumumſäumten Geſtade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechſel an ihm vorbei, fern dämmern die ſchneeigen Firnen und der Widerſchein des weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?
Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber ſo gewohnt.
Wie ſie an der Bucht von Rorſchach10) anfuhren, hieß die Her- zogin einlenken. Zum Ufer ſteuerte das Schiff, über's ſchwanke Brett ſtieg ſie an's Land. Und der Waſſerzoller kam herbei, der dort den Welſchlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz ſeßhaft war, ſie riefen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0032"n="10"/><p>Gott iſt allwiſſend, ſprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie<lb/>ſchwieg. Frau Hadwig ſchwieg auch. Da trat eine jener ſchwülen<lb/>
inhaltsvollen Pauſen ein, wie ſie der Selbſterkenntniß vorangehen.<lb/>
Endlich ſprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!</p><lb/><p>Sie ſchlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geſchah<lb/>
aus langer Weile. Der Gipfel unſeres Hohentwiel iſt aber auch<lb/>
ein gar zu betrübtes Neſt — zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt<lb/>
du ein Mittel gegen die lange Weile?</p><lb/><p>Ich hab' einmal von einem weiſen Prediger gehört, ſprach Praxe-<lb/>
dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reiſen<lb/>— das beſte ſei Faſten und Beten.</p><lb/><p>Da ſtützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, ſah<lb/>
die dienſtbereite Griechin ſcharf an und ſprach: Morgen reiſen wir!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Zweites Kapitel</hi>.<lb/>
Die Jünger des heiligen Gallus.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Des andern Tages fuhr die Herzogin ſammt Praxedis und großer<lb/>
Gefolgſchaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodenſee.<lb/>
Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten luſtig, und war<lb/>
viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer ſollt' auch traurig ſein, wenn er<lb/>
über die kryſtallklare Waſſerfläche dahin ſchwebt, die baumumſäumten<lb/>
Geſtade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechſel an ihm<lb/>
vorbei, fern dämmern die ſchneeigen Firnen und der Widerſchein des<lb/>
weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?</p><lb/><p>Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber ſo<lb/>
gewohnt.</p><lb/><p>Wie ſie an der Bucht von Rorſchach<notexml:id="ed10"next="#edt10"place="end"n="10)"/> anfuhren, hieß die Her-<lb/>
zogin einlenken. Zum Ufer ſteuerte das Schiff, über's ſchwanke Brett<lb/>ſtieg ſie an's Land. Und der Waſſerzoller kam herbei, der dort den<lb/>
Welſchlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des<lb/>
Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz ſeßhaft war, ſie riefen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[10/0032]
Gott iſt allwiſſend, ſprach die Griechin, ich weiß es nicht. Sie
ſchwieg. Frau Hadwig ſchwieg auch. Da trat eine jener ſchwülen
inhaltsvollen Pauſen ein, wie ſie der Selbſterkenntniß vorangehen.
Endlich ſprach die Herzogin: Ich weiß es auch nicht!
Sie ſchlug mißmuthig die Augen nieder: Ich glaube es geſchah
aus langer Weile. Der Gipfel unſeres Hohentwiel iſt aber auch
ein gar zu betrübtes Neſt — zumal für eine Wittib. Praxedis, weißt
du ein Mittel gegen die lange Weile?
Ich hab' einmal von einem weiſen Prediger gehört, ſprach Praxe-
dis, es gäb' mannigfalte Mittel dawider: Schlafen, Trinken, Reiſen
— das beſte ſei Faſten und Beten.
Da ſtützte Frau Hadwig ihr Haupt auf die lilienweiße Hand, ſah
die dienſtbereite Griechin ſcharf an und ſprach: Morgen reiſen wir!
Zweites Kapitel.
Die Jünger des heiligen Gallus.
Des andern Tages fuhr die Herzogin ſammt Praxedis und großer
Gefolgſchaft im lichten Schein des Frühmorgens über den Bodenſee.
Der See war prächtig blau, die Wimpel flaggten luſtig, und war
viel Kurzweil auf dem Schiff. Wer ſollt' auch traurig ſein, wenn er
über die kryſtallklare Waſſerfläche dahin ſchwebt, die baumumſäumten
Geſtade mit Mauern und Thürmen ziehen in buntem Wechſel an ihm
vorbei, fern dämmern die ſchneeigen Firnen und der Widerſchein des
weißen Segels verzittert im Spiele der Wellen?
Keines wußte, wo das Ziel der Fahrt. Sie waren's aber ſo
gewohnt.
Wie ſie an der Bucht von Rorſchach
¹⁰⁾
anfuhren, hieß die Her-
zogin einlenken. Zum Ufer ſteuerte das Schiff, über's ſchwanke Brett
ſtieg ſie an's Land. Und der Waſſerzoller kam herbei, der dort den
Welſchlandfahrern das Durchgangsgeld abnahm, und der Weibel des
Markts und Wer immer am jungen Hafenplatz ſeßhaft war, ſie riefen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/32>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.