Auf der Insel Reichenau war's still und öde, nachdem des Klo- sters Insassen abgezogen. Der blödsinnige Heribald war Herr und Meister des Eilands. Er gefiel sich in seiner Einsamkeit. Stunden- lang saß er am Seeufer und warf flache Kieselsteine über die Wellen, daß sie drauf tanzten. Wenn sie gleich anfangs untersanken, schalt er sie.
Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwiespruch; er füt- terte sie pünktlich: wenn ihr brav seid, sprach er einmal, und wenn die Brüder nicht heimkommen, so wird euch Heribald eine Predigt halten. Im Kloster trieb er allerhand Kurzweil -- an einem Tag der Einsamkeit lassen sich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken -- der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm sein Leder zum Schuh- werk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, seinen großen steinernen Wasserkrug schlug er in Trümmer, die drei Blumen- töpfe deßgleichen und trennte den Strohsack auf des Camerarius Nacht- lager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann versuchte er, wie sich darauf liege: der harte Inhalt war scharf zu verspüren -- da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer.
Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung zu verdanken hatte, aber es war Alles wohl aufgeräumt und in Ver- schluß gethan, da blieb ihm nichts übrig als dem gepolsterten Lehn- stuhl einen Fuß abzuschlagen. Er fügte ihn wieder künstlich an, als wäre nichts geschehen: Das wird anmuthig mit ihm zusammenbrechen wenn er heimkommt und sich bequemlich niederlassen will. Den Leib sollst du züchtigen, sagt der heilige Benedict. Aber Heribald hat den Stuhlfuß nicht abgeschlagen, das haben die Hunnen gethan ...
Gebet, Andacht und Psalmensingen verrichtete er wie des Ordens Regel gebot. Die sieben Tageszeiten hielt der Einsame ängstlich ein,
Dreizehntes Kapitel. Heribald und ſeine Gäſte.
Auf der Inſel Reichenau war's ſtill und öde, nachdem des Klo- ſters Inſaſſen abgezogen. Der blödſinnige Heribald war Herr und Meiſter des Eilands. Er gefiel ſich in ſeiner Einſamkeit. Stunden- lang ſaß er am Seeufer und warf flache Kieſelſteine über die Wellen, daß ſie drauf tanzten. Wenn ſie gleich anfangs unterſanken, ſchalt er ſie.
Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwieſpruch; er füt- terte ſie pünktlich: wenn ihr brav ſeid, ſprach er einmal, und wenn die Brüder nicht heimkommen, ſo wird euch Heribald eine Predigt halten. Im Kloſter trieb er allerhand Kurzweil — an einem Tag der Einſamkeit laſſen ſich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken — der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm ſein Leder zum Schuh- werk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, ſeinen großen ſteinernen Waſſerkrug ſchlug er in Trümmer, die drei Blumen- töpfe deßgleichen und trennte den Strohſack auf des Camerarius Nacht- lager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann verſuchte er, wie ſich darauf liege: der harte Inhalt war ſcharf zu verſpüren — da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer.
Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung zu verdanken hatte, aber es war Alles wohl aufgeräumt und in Ver- ſchluß gethan, da blieb ihm nichts übrig als dem gepolſterten Lehn- ſtuhl einen Fuß abzuſchlagen. Er fügte ihn wieder künſtlich an, als wäre nichts geſchehen: Das wird anmuthig mit ihm zuſammenbrechen wenn er heimkommt und ſich bequemlich niederlaſſen will. Den Leib ſollſt du züchtigen, ſagt der heilige Benedict. Aber Heribald hat den Stuhlfuß nicht abgeſchlagen, das haben die Hunnen gethan ...
Gebet, Andacht und Pſalmenſingen verrichtete er wie des Ordens Regel gebot. Die ſieben Tageszeiten hielt der Einſame ängſtlich ein,
<TEI><text><body><pbfacs="#f0184"n="162"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Dreizehntes Kapitel</hi>.<lb/>
Heribald und ſeine Gäſte.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Auf der Inſel Reichenau war's ſtill und öde, nachdem des Klo-<lb/>ſters Inſaſſen abgezogen. Der blödſinnige Heribald war Herr und<lb/>
Meiſter des Eilands. Er gefiel ſich in ſeiner Einſamkeit. Stunden-<lb/>
lang ſaß er am Seeufer und warf flache Kieſelſteine über die Wellen,<lb/>
daß ſie drauf tanzten. Wenn ſie gleich anfangs unterſanken, ſchalt<lb/>
er ſie.</p><lb/><p>Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwieſpruch; er füt-<lb/>
terte ſie pünktlich: wenn ihr brav ſeid, ſprach er einmal, und wenn<lb/>
die Brüder nicht heimkommen, ſo wird euch Heribald eine Predigt<lb/>
halten. Im Kloſter trieb er allerhand Kurzweil — an einem Tag<lb/>
der Einſamkeit laſſen ſich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken —<lb/>
der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm ſein Leder zum Schuh-<lb/>
werk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, ſeinen<lb/>
großen ſteinernen Waſſerkrug ſchlug er in Trümmer, die drei Blumen-<lb/>
töpfe deßgleichen und trennte den Strohſack auf des Camerarius Nacht-<lb/>
lager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann verſuchte er,<lb/>
wie ſich darauf liege: der harte Inhalt war ſcharf zu verſpüren —<lb/>
da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer.</p><lb/><p>Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung<lb/>
zu verdanken hatte, aber es war Alles wohl aufgeräumt und in Ver-<lb/>ſchluß gethan, da blieb ihm nichts übrig als dem gepolſterten Lehn-<lb/>ſtuhl einen Fuß abzuſchlagen. Er fügte ihn wieder künſtlich an, als<lb/>
wäre nichts geſchehen: Das wird anmuthig mit ihm zuſammenbrechen<lb/>
wenn er heimkommt und ſich bequemlich niederlaſſen will. Den Leib<lb/>ſollſt du züchtigen, ſagt der heilige Benedict. Aber Heribald hat den<lb/>
Stuhlfuß nicht abgeſchlagen, das haben die Hunnen gethan ...</p><lb/><p>Gebet, Andacht und Pſalmenſingen verrichtete er wie des Ordens<lb/>
Regel gebot. Die ſieben Tageszeiten hielt der Einſame ängſtlich ein,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[162/0184]
Dreizehntes Kapitel.
Heribald und ſeine Gäſte.
Auf der Inſel Reichenau war's ſtill und öde, nachdem des Klo-
ſters Inſaſſen abgezogen. Der blödſinnige Heribald war Herr und
Meiſter des Eilands. Er gefiel ſich in ſeiner Einſamkeit. Stunden-
lang ſaß er am Seeufer und warf flache Kieſelſteine über die Wellen,
daß ſie drauf tanzten. Wenn ſie gleich anfangs unterſanken, ſchalt
er ſie.
Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwieſpruch; er füt-
terte ſie pünktlich: wenn ihr brav ſeid, ſprach er einmal, und wenn
die Brüder nicht heimkommen, ſo wird euch Heribald eine Predigt
halten. Im Kloſter trieb er allerhand Kurzweil — an einem Tag
der Einſamkeit laſſen ſich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken —
der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm ſein Leder zum Schuh-
werk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, ſeinen
großen ſteinernen Waſſerkrug ſchlug er in Trümmer, die drei Blumen-
töpfe deßgleichen und trennte den Strohſack auf des Camerarius Nacht-
lager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann verſuchte er,
wie ſich darauf liege: der harte Inhalt war ſcharf zu verſpüren —
da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer.
Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung
zu verdanken hatte, aber es war Alles wohl aufgeräumt und in Ver-
ſchluß gethan, da blieb ihm nichts übrig als dem gepolſterten Lehn-
ſtuhl einen Fuß abzuſchlagen. Er fügte ihn wieder künſtlich an, als
wäre nichts geſchehen: Das wird anmuthig mit ihm zuſammenbrechen
wenn er heimkommt und ſich bequemlich niederlaſſen will. Den Leib
ſollſt du züchtigen, ſagt der heilige Benedict. Aber Heribald hat den
Stuhlfuß nicht abgeſchlagen, das haben die Hunnen gethan ...
Gebet, Andacht und Pſalmenſingen verrichtete er wie des Ordens
Regel gebot. Die ſieben Tageszeiten hielt der Einſame ängſtlich ein,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/184>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.