waren als du -- o so rinnt für dich noch eine bittre Thräne mehr! --
Wir gingen in ein kleineres Zimmer, wo sich einige Betten fanden, weil hier die Kranken wohnen, welche gute Wartung und sorgfältige medicinische und diätetische Pflege genießen. Eine von den hier befindlichen Frauenzimmern hatte schon drey Jahr auf diesem Zimmer zugebracht, und eine andere, die schwanger hieher gebracht war, ein Kind in diesem Gefangenhause zum Le- ben gebohren. Jtzt nahm man wieder den üblen Geruch wahr, welcher hier wohl besonders stark seyn mochte: indeß im Ganzen genommen in die- sem Hause nicht so beschwerlich ist, wie er es in andern Häusern der Art zu seyn pflegt.
Jtzt wurden wir zu den Männern geführt. Zuerst ein kleines Zimmer, worin es ganz stille war. Keiner sah uns an. Die Schaam be- gangner Verbrechen, welche sie in diese Behau- sung geführt hatten, hielt ihre Augen zur Erde. Gewiß war es die kleine Anzahl, die es bewirkte, daß die Schaam in ihnen noch nicht ganz erblaßt war.
Nun aber eröfnete man uns ein größeres Zimmer. Fünf und siebenzig Männer -- Ver- nunftlose und Züchtlinge unter einander -- be- wohnten dasselbe. Traurig war mir der Anblick
der
O 5
waren als du — o ſo rinnt fuͤr dich noch eine bittre Thraͤne mehr! —
Wir gingen in ein kleineres Zimmer, wo ſich einige Betten fanden, weil hier die Kranken wohnen, welche gute Wartung und ſorgfaͤltige mediciniſche und diaͤtetiſche Pflege genießen. Eine von den hier befindlichen Frauenzimmern hatte ſchon drey Jahr auf dieſem Zimmer zugebracht, und eine andere, die ſchwanger hieher gebracht war, ein Kind in dieſem Gefangenhauſe zum Le- ben gebohren. Jtzt nahm man wieder den uͤblen Geruch wahr, welcher hier wohl beſonders ſtark ſeyn mochte: indeß im Ganzen genommen in die- ſem Hauſe nicht ſo beſchwerlich iſt, wie er es in andern Haͤuſern der Art zu ſeyn pflegt.
Jtzt wurden wir zu den Maͤnnern gefuͤhrt. Zuerſt ein kleines Zimmer, worin es ganz ſtille war. Keiner ſah uns an. Die Schaam be- gangner Verbrechen, welche ſie in dieſe Behau- ſung gefuͤhrt hatten, hielt ihre Augen zur Erde. Gewiß war es die kleine Anzahl, die es bewirkte, daß die Schaam in ihnen noch nicht ganz erblaßt war.
Nun aber eroͤfnete man uns ein groͤßeres Zimmer. Fuͤnf und ſiebenzig Maͤnner — Ver- nunftloſe und Zuͤchtlinge unter einander — be- wohnten daſſelbe. Traurig war mir der Anblick
der
O 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><divtype="letter"><p><pbfacs="#f0241"n="217"/><lb/>
waren als du — o ſo rinnt fuͤr dich noch eine<lb/>
bittre Thraͤne mehr! —</p><lb/><p>Wir gingen in ein kleineres Zimmer, wo<lb/>ſich einige Betten fanden, weil hier die Kranken<lb/>
wohnen, welche gute Wartung und ſorgfaͤltige<lb/>
mediciniſche und diaͤtetiſche Pflege genießen. Eine<lb/>
von den hier befindlichen Frauenzimmern hatte<lb/>ſchon drey Jahr auf dieſem Zimmer zugebracht,<lb/>
und eine andere, die ſchwanger hieher gebracht<lb/>
war, ein Kind in dieſem Gefangenhauſe zum Le-<lb/>
ben gebohren. Jtzt nahm man wieder den uͤblen<lb/>
Geruch wahr, welcher hier wohl beſonders ſtark<lb/>ſeyn mochte: indeß im Ganzen genommen in die-<lb/>ſem Hauſe nicht ſo beſchwerlich iſt, wie er es in<lb/>
andern Haͤuſern der Art zu ſeyn pflegt.</p><lb/><p>Jtzt wurden wir zu den Maͤnnern gefuͤhrt.<lb/>
Zuerſt ein kleines Zimmer, worin es ganz ſtille<lb/>
war. Keiner ſah uns an. Die Schaam be-<lb/>
gangner Verbrechen, welche ſie in dieſe Behau-<lb/>ſung gefuͤhrt hatten, hielt ihre Augen zur Erde.<lb/>
Gewiß war es die kleine Anzahl, die es bewirkte,<lb/>
daß die Schaam in ihnen noch nicht ganz erblaßt<lb/>
war.</p><lb/><p>Nun aber eroͤfnete man uns ein groͤßeres<lb/>
Zimmer. Fuͤnf und ſiebenzig Maͤnner — Ver-<lb/>
nunftloſe und Zuͤchtlinge unter einander — be-<lb/>
wohnten daſſelbe. <hirendition="#b">Traurig</hi> war mir der Anblick<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[217/0241]
waren als du — o ſo rinnt fuͤr dich noch eine
bittre Thraͤne mehr! —
Wir gingen in ein kleineres Zimmer, wo
ſich einige Betten fanden, weil hier die Kranken
wohnen, welche gute Wartung und ſorgfaͤltige
mediciniſche und diaͤtetiſche Pflege genießen. Eine
von den hier befindlichen Frauenzimmern hatte
ſchon drey Jahr auf dieſem Zimmer zugebracht,
und eine andere, die ſchwanger hieher gebracht
war, ein Kind in dieſem Gefangenhauſe zum Le-
ben gebohren. Jtzt nahm man wieder den uͤblen
Geruch wahr, welcher hier wohl beſonders ſtark
ſeyn mochte: indeß im Ganzen genommen in die-
ſem Hauſe nicht ſo beſchwerlich iſt, wie er es in
andern Haͤuſern der Art zu ſeyn pflegt.
Jtzt wurden wir zu den Maͤnnern gefuͤhrt.
Zuerſt ein kleines Zimmer, worin es ganz ſtille
war. Keiner ſah uns an. Die Schaam be-
gangner Verbrechen, welche ſie in dieſe Behau-
ſung gefuͤhrt hatten, hielt ihre Augen zur Erde.
Gewiß war es die kleine Anzahl, die es bewirkte,
daß die Schaam in ihnen noch nicht ganz erblaßt
war.
Nun aber eroͤfnete man uns ein groͤßeres
Zimmer. Fuͤnf und ſiebenzig Maͤnner — Ver-
nunftloſe und Zuͤchtlinge unter einander — be-
wohnten daſſelbe. Traurig war mir der Anblick
der
O 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/241>, abgerufen am 27.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.