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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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chen man in ihm selbst drey besondere Vermögen
unterscheidet.

Zuerst hebt der Verstand aus der unzählba-
ren Summe der einzelnen Empfindungen diejeni-
gen aus, welche gleiche Merkmale haben, und
faßt sie unter Vorstellungen zusammen, welchen,
weil sie mehrere einzelne unter sich begreifen, der
Name Begriffe ertheilt ist. Dieses Vermögen,
Begriffe zu bilden, ist es, was man sonst auch
Verstand im engsten Sinne des Worts zu nennen
pflegt, und ohne welches es der Seele unmöglich
seyn würde, die unendliche Menge von Vor-
stellungen, welche in der Empfindung und Ein-
bildung liegen, zu überschauen und sich klar zu
machen.

Diese Begriffe vergleicht alsdann die Ur-
theilskraft
nach ihren eigenthümlichen Merkma-
len mit einander -- um aus dieser Vergleichung
ihre Uebereinstimmung oder Nichtübereinstim-
mung zu erkennen; und verschaft der Seele da-
durch eine Einsicht in die Eigenschaften, Verhält-
nisse, Beschaffenheiten der Gegenstände, auf
welche sich die Begriffe beziehen.

Weil nun die unmittelbare Vergleichung der
Vorstellungen unter einander nicht immer statt
finden kann; so bedurfte die Seele, um in dem
Geschäfte des Denkens dadurch nicht unaufhörlich
gestört zu werden, noch des Vermögens, Be-

griffe

chen man in ihm ſelbſt drey beſondere Vermoͤgen
unterſcheidet.

Zuerſt hebt der Verſtand aus der unzaͤhlba-
ren Summe der einzelnen Empfindungen diejeni-
gen aus, welche gleiche Merkmale haben, und
faßt ſie unter Vorſtellungen zuſammen, welchen,
weil ſie mehrere einzelne unter ſich begreifen, der
Name Begriffe ertheilt iſt. Dieſes Vermoͤgen,
Begriffe zu bilden, iſt es, was man ſonſt auch
Verſtand im engſten Sinne des Worts zu nennen
pflegt, und ohne welches es der Seele unmoͤglich
ſeyn wuͤrde, die unendliche Menge von Vor-
ſtellungen, welche in der Empfindung und Ein-
bildung liegen, zu uͤberſchauen und ſich klar zu
machen.

Dieſe Begriffe vergleicht alsdann die Ur-
theilskraft
nach ihren eigenthuͤmlichen Merkma-
len mit einander — um aus dieſer Vergleichung
ihre Uebereinſtimmung oder Nichtuͤbereinſtim-
mung zu erkennen; und verſchaft der Seele da-
durch eine Einſicht in die Eigenſchaften, Verhaͤlt-
niſſe, Beſchaffenheiten der Gegenſtaͤnde, auf
welche ſich die Begriffe beziehen.

Weil nun die unmittelbare Vergleichung der
Vorſtellungen unter einander nicht immer ſtatt
finden kann; ſo bedurfte die Seele, um in dem
Geſchaͤfte des Denkens dadurch nicht unaufhoͤrlich
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[138/0162] chen man in ihm ſelbſt drey beſondere Vermoͤgen unterſcheidet. Zuerſt hebt der Verſtand aus der unzaͤhlba- ren Summe der einzelnen Empfindungen diejeni- gen aus, welche gleiche Merkmale haben, und faßt ſie unter Vorſtellungen zuſammen, welchen, weil ſie mehrere einzelne unter ſich begreifen, der Name Begriffe ertheilt iſt. Dieſes Vermoͤgen, Begriffe zu bilden, iſt es, was man ſonſt auch Verſtand im engſten Sinne des Worts zu nennen pflegt, und ohne welches es der Seele unmoͤglich ſeyn wuͤrde, die unendliche Menge von Vor- ſtellungen, welche in der Empfindung und Ein- bildung liegen, zu uͤberſchauen und ſich klar zu machen. Dieſe Begriffe vergleicht alsdann die Ur- theilskraft nach ihren eigenthuͤmlichen Merkma- len mit einander — um aus dieſer Vergleichung ihre Uebereinſtimmung oder Nichtuͤbereinſtim- mung zu erkennen; und verſchaft der Seele da- durch eine Einſicht in die Eigenſchaften, Verhaͤlt- niſſe, Beſchaffenheiten der Gegenſtaͤnde, auf welche ſich die Begriffe beziehen. Weil nun die unmittelbare Vergleichung der Vorſtellungen unter einander nicht immer ſtatt finden kann; ſo bedurfte die Seele, um in dem Geſchaͤfte des Denkens dadurch nicht unaufhoͤrlich geſtoͤrt zu werden, noch des Vermoͤgens, Be- griffe

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/162>, abgerufen am 27.04.2024.