Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite
Appellatio und Provocatio.

Während der Republik war ihre Anwendung fast all-
gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt,
deren Strafurtheile der Berufung an die Volksversammlung
nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren.
Beide standen außer der Reihe der regelmäßigen, stets
fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.

Dennoch wird in der späteren Zeit der Republik, in
welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit stets
wachsend erscheint, der wirkliche Gebrauch einer solchen Be-
rufung an das Volk fast gar nicht erwähnt, und diese auf-
fallende Erscheinung ist auf folgende Weise zu erklären.
In dieser späteren Zeit wurde fast der ganze Criminal-
prozeß durch ständige Commissionen für die Untersuchung
einzelner Verbrechen besorgt (quaestiones perpetuae). Dazu
war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht so,
wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit-
licher Macht, sondern in Kraft dieses besonderen Auftrags
richteten, und zwar in Gemeinschaft mit Geschworenen, die
hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen solchen
Urtheilsspruch, der gleichsam von dem Volk selbst (nur in
commissarischer Form) ausgegangen war, schien die Be-
rufung an das Volk nicht anwendbar.

III.

Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf
einen weit allgemeineren und unbestimmteren Schutz der
individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche

Appellatio und Provocatio.

Während der Republik war ihre Anwendung faſt all-
gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt,
deren Strafurtheile der Berufung an die Volksverſammlung
nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren.
Beide ſtanden außer der Reihe der regelmäßigen, ſtets
fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.

Dennoch wird in der ſpäteren Zeit der Republik, in
welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit ſtets
wachſend erſcheint, der wirkliche Gebrauch einer ſolchen Be-
rufung an das Volk faſt gar nicht erwähnt, und dieſe auf-
fallende Erſcheinung iſt auf folgende Weiſe zu erklären.
In dieſer ſpäteren Zeit wurde faſt der ganze Criminal-
prozeß durch ſtändige Commiſſionen für die Unterſuchung
einzelner Verbrechen beſorgt (quaestiones perpetuae). Dazu
war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht ſo,
wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit-
licher Macht, ſondern in Kraft dieſes beſonderen Auftrags
richteten, und zwar in Gemeinſchaft mit Geſchworenen, die
hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen ſolchen
Urtheilsſpruch, der gleichſam von dem Volk ſelbſt (nur in
commiſſariſcher Form) ausgegangen war, ſchien die Be-
rufung an das Volk nicht anwendbar.

III.

Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf
einen weit allgemeineren und unbeſtimmteren Schutz der
individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0505" n="487"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">Appellatio</hi> und <hi rendition="#aq">Provocatio.</hi></fw><lb/>
            <p>Während der Republik war ihre Anwendung fa&#x017F;t all-<lb/>
gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt,<lb/>
deren Strafurtheile der Berufung an die Volksver&#x017F;ammlung<lb/>
nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren.<lb/>
Beide &#x017F;tanden außer der Reihe der regelmäßigen, &#x017F;tets<lb/>
fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.</p><lb/>
            <p>Dennoch wird in der &#x017F;päteren Zeit der Republik, in<lb/>
welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit &#x017F;tets<lb/>
wach&#x017F;end er&#x017F;cheint, der wirkliche Gebrauch einer &#x017F;olchen Be-<lb/>
rufung an das Volk fa&#x017F;t gar nicht erwähnt, und die&#x017F;e auf-<lb/>
fallende Er&#x017F;cheinung i&#x017F;t auf folgende Wei&#x017F;e zu erklären.<lb/>
In die&#x017F;er &#x017F;päteren Zeit wurde fa&#x017F;t der ganze Criminal-<lb/>
prozeß durch &#x017F;tändige Commi&#x017F;&#x017F;ionen für die Unter&#x017F;uchung<lb/>
einzelner Verbrechen be&#x017F;orgt (<hi rendition="#aq">quaestiones perpetuae</hi>). Dazu<lb/>
war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht &#x017F;o,<lb/>
wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit-<lb/>
licher Macht, &#x017F;ondern in Kraft die&#x017F;es be&#x017F;onderen Auftrags<lb/>
richteten, und zwar in Gemein&#x017F;chaft mit Ge&#x017F;chworenen, die<lb/>
hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen &#x017F;olchen<lb/>
Urtheils&#x017F;pruch, der gleich&#x017F;am von dem Volk &#x017F;elb&#x017F;t (nur in<lb/>
commi&#x017F;&#x017F;ari&#x017F;cher Form) ausgegangen war, &#x017F;chien die Be-<lb/>
rufung an das Volk nicht anwendbar.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#aq">III.</hi> </hi> </head><lb/>
            <p>Eine ganz andere Natur hatte die <hi rendition="#aq">appellatio,</hi> die auf<lb/>
einen weit allgemeineren und unbe&#x017F;timmteren Schutz der<lb/>
individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[487/0505] Appellatio und Provocatio. Während der Republik war ihre Anwendung faſt all- gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt, deren Strafurtheile der Berufung an die Volksverſammlung nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren. Beide ſtanden außer der Reihe der regelmäßigen, ſtets fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten. Dennoch wird in der ſpäteren Zeit der Republik, in welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit ſtets wachſend erſcheint, der wirkliche Gebrauch einer ſolchen Be- rufung an das Volk faſt gar nicht erwähnt, und dieſe auf- fallende Erſcheinung iſt auf folgende Weiſe zu erklären. In dieſer ſpäteren Zeit wurde faſt der ganze Criminal- prozeß durch ſtändige Commiſſionen für die Unterſuchung einzelner Verbrechen beſorgt (quaestiones perpetuae). Dazu war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht ſo, wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit- licher Macht, ſondern in Kraft dieſes beſonderen Auftrags richteten, und zwar in Gemeinſchaft mit Geſchworenen, die hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen ſolchen Urtheilsſpruch, der gleichſam von dem Volk ſelbſt (nur in commiſſariſcher Form) ausgegangen war, ſchien die Be- rufung an das Volk nicht anwendbar. III. Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf einen weit allgemeineren und unbeſtimmteren Schutz der individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/505
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/505>, abgerufen am 22.12.2024.