Während der Republik war ihre Anwendung fast all- gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt, deren Strafurtheile der Berufung an die Volksversammlung nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren. Beide standen außer der Reihe der regelmäßigen, stets fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.
Dennoch wird in der späteren Zeit der Republik, in welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit stets wachsend erscheint, der wirkliche Gebrauch einer solchen Be- rufung an das Volk fast gar nicht erwähnt, und diese auf- fallende Erscheinung ist auf folgende Weise zu erklären. In dieser späteren Zeit wurde fast der ganze Criminal- prozeß durch ständige Commissionen für die Untersuchung einzelner Verbrechen besorgt (quaestiones perpetuae). Dazu war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht so, wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit- licher Macht, sondern in Kraft dieses besonderen Auftrags richteten, und zwar in Gemeinschaft mit Geschworenen, die hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen solchen Urtheilsspruch, der gleichsam von dem Volk selbst (nur in commissarischer Form) ausgegangen war, schien die Be- rufung an das Volk nicht anwendbar.
III.
Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf einen weit allgemeineren und unbestimmteren Schutz der individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche
Appellatio und Provocatio.
Während der Republik war ihre Anwendung faſt all- gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt, deren Strafurtheile der Berufung an die Volksverſammlung nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren. Beide ſtanden außer der Reihe der regelmäßigen, ſtets fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.
Dennoch wird in der ſpäteren Zeit der Republik, in welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit ſtets wachſend erſcheint, der wirkliche Gebrauch einer ſolchen Be- rufung an das Volk faſt gar nicht erwähnt, und dieſe auf- fallende Erſcheinung iſt auf folgende Weiſe zu erklären. In dieſer ſpäteren Zeit wurde faſt der ganze Criminal- prozeß durch ſtändige Commiſſionen für die Unterſuchung einzelner Verbrechen beſorgt (quaestiones perpetuae). Dazu war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht ſo, wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit- licher Macht, ſondern in Kraft dieſes beſonderen Auftrags richteten, und zwar in Gemeinſchaft mit Geſchworenen, die hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen ſolchen Urtheilsſpruch, der gleichſam von dem Volk ſelbſt (nur in commiſſariſcher Form) ausgegangen war, ſchien die Be- rufung an das Volk nicht anwendbar.
III.
Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf einen weit allgemeineren und unbeſtimmteren Schutz der individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche
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Appellatio und Provocatio.
Während der Republik war ihre Anwendung faſt all-
gemein, und es werden nur zwei Obrigkeiten erwähnt,
deren Strafurtheile der Berufung an die Volksverſammlung
nicht unterworfen waren: die Decemvirn und die Dictatoren.
Beide ſtanden außer der Reihe der regelmäßigen, ſtets
fortdauernden und wiederkehrenden, öffentlichen Gewalten.
Dennoch wird in der ſpäteren Zeit der Republik, in
welcher gerade der Schutz der individuellen Freiheit ſtets
wachſend erſcheint, der wirkliche Gebrauch einer ſolchen Be-
rufung an das Volk faſt gar nicht erwähnt, und dieſe auf-
fallende Erſcheinung iſt auf folgende Weiſe zu erklären.
In dieſer ſpäteren Zeit wurde faſt der ganze Criminal-
prozeß durch ſtändige Commiſſionen für die Unterſuchung
einzelner Verbrechen beſorgt (quaestiones perpetuae). Dazu
war eine Anzahl von Prätoren angeordnet, die nicht ſo,
wie die älteren Criminal-Obrigkeiten, aus eigener obrigkeit-
licher Macht, ſondern in Kraft dieſes beſonderen Auftrags
richteten, und zwar in Gemeinſchaft mit Geſchworenen, die
hierin die Stelle des Volks vertraten. Auf einen ſolchen
Urtheilsſpruch, der gleichſam von dem Volk ſelbſt (nur in
commiſſariſcher Form) ausgegangen war, ſchien die Be-
rufung an das Volk nicht anwendbar.
III.
Eine ganz andere Natur hatte die appellatio, die auf
einen weit allgemeineren und unbeſtimmteren Schutz der
individuellen Freiheit gegen Bedrückung durch öffentliche
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/505>, abgerufen am 21.11.2024.
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