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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. IV. Verletzung.
Klagverjährung. Der Römische Ausdruck: temporis
oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht
diese Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre-
tenden Verlust, sondern das dem Beklagten erworbene
Recht, jeden ferneren Versuch der Ausübung dieser Klage
durch Exception auszuschließen. Der Begriff ist hier ab-
sichtlich auf hypothetische Weise aufgestellt worden, und
mit dieser Auffassung wäre es gleich vereinbar, daß ihm
gar keine, oder eine seltene, eine häufige, vielleicht selbst
eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeschrieben
würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt,
wird durch die nachfolgende geschichtliche Untersuchung fest-
gestellt werden.

Die Klagverjährung steht mit vielen anderen Rechts-
instituten dadurch in Verwandtschaft, daß in ihnen allen
das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor-
kommt. Es ist aber dieser Verwandtschaft zu großem
Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr-
liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch
Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältnisse unter
einen gemeinsamen Gattungsbegriff zu bringen versucht
hat. Man bezeichnete diesen unkritischerweise angenomme-
nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder
Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und
exstinctiva eintheilte. Nicht nur diese Kunstausdrücke,
sondern auch die durch sie bezeichneten Rechtsbegriffe, sind
völlig verwerflich. Die gefährlichste Gestalt dieser irrig

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis
oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht
dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre-
tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene
Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage
durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab-
ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und
mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm
gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt
eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben
würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt,
wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt-
geſtellt werden.

Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts-
inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen
das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor-
kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem
Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr-
liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch
Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter
einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht
hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme-
nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder
Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und
exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke,
ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind
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[266/0280] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung. Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre- tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab- ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt, wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt- geſtellt werden. Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts- inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor- kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr- liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme- nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke, ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 5. Berlin, 1841, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system05_1841/280>, abgerufen am 26.04.2024.