last ist für beide Arten verschieden. Ja man kann noch einen Schritt weiter gehen, und behaupten, daß bey dem Rechtsirrthum nicht blos die Schuldlosigkeit, sondern selbst das Daseyn des Irrthums, schwerer und seltner, als bey dem factischen, anzunehmen ist; und dieser letzte Gegensatz ist besonders wichtig, da überhaupt der Irrthum, als eine innere Thatsache, durch gewöhnliche Beweismittel nur sel- ten zur vollen Gewißheit gebracht werden wird.
IV.
Die bereits angedeutete Beschränkung einer ungünsti- gen Behandlung des Rechtsirrthums soll jetzt genauer aus- geführt werden. Zu einer solchen findet sich Veranlassung schon nach dem Römischen Recht, noch mehr aber nach dem heutigen. Es wird nämlich bey jener ungünstigen Behandlung als Gegenstand des Irrthums eine solche Rechtsregel vorausgesetzt, die als gewiß allgemein aner- kannt ist. Denn nur bey einer solchen kann man dem Ir- renden eine große Nachlässigkeit vorwerfen, auch sind die zahlreichen, in unsren Rechtsquellen vorkommenden, Bey- spiele insgesammt von Regeln eines solchen Characters hergenommen (a). Daher würde denn eine solche Behand- lung in folgenden zwey Fällen nicht eintreten dürfen. Er- stens bey controversen Rechtssätzen. Wenn z. B. ein Satz
(a)L. 1 § 1 -- 4 h. t., L. 25 § 6 de her. pet. (5. 3.), L. 10 de Bon. Poss. (37. 1.), L. 31 pr. de usurp. (41. 3.), L. 2 § 15 pro emt. (41. 4.).
Beylage VIII.
laſt iſt für beide Arten verſchieden. Ja man kann noch einen Schritt weiter gehen, und behaupten, daß bey dem Rechtsirrthum nicht blos die Schuldloſigkeit, ſondern ſelbſt das Daſeyn des Irrthums, ſchwerer und ſeltner, als bey dem factiſchen, anzunehmen iſt; und dieſer letzte Gegenſatz iſt beſonders wichtig, da überhaupt der Irrthum, als eine innere Thatſache, durch gewöhnliche Beweismittel nur ſel- ten zur vollen Gewißheit gebracht werden wird.
IV.
Die bereits angedeutete Beſchränkung einer ungünſti- gen Behandlung des Rechtsirrthums ſoll jetzt genauer aus- geführt werden. Zu einer ſolchen findet ſich Veranlaſſung ſchon nach dem Römiſchen Recht, noch mehr aber nach dem heutigen. Es wird nämlich bey jener ungünſtigen Behandlung als Gegenſtand des Irrthums eine ſolche Rechtsregel vorausgeſetzt, die als gewiß allgemein aner- kannt iſt. Denn nur bey einer ſolchen kann man dem Ir- renden eine große Nachläſſigkeit vorwerfen, auch ſind die zahlreichen, in unſren Rechtsquellen vorkommenden, Bey- ſpiele insgeſammt von Regeln eines ſolchen Characters hergenommen (a). Daher würde denn eine ſolche Behand- lung in folgenden zwey Fällen nicht eintreten dürfen. Er- ſtens bey controverſen Rechtsſätzen. Wenn z. B. ein Satz
(a)L. 1 § 1 — 4 h. t., L. 25 § 6 de her. pet. (5. 3.), L. 10 de Bon. Poss. (37. 1.), L. 31 pr. de usurp. (41. 3.), L. 2 § 15 pro emt. (41. 4.).
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Beylage VIII.
laſt iſt für beide Arten verſchieden. Ja man kann noch
einen Schritt weiter gehen, und behaupten, daß bey dem
Rechtsirrthum nicht blos die Schuldloſigkeit, ſondern ſelbſt
das Daſeyn des Irrthums, ſchwerer und ſeltner, als bey
dem factiſchen, anzunehmen iſt; und dieſer letzte Gegenſatz
iſt beſonders wichtig, da überhaupt der Irrthum, als eine
innere Thatſache, durch gewöhnliche Beweismittel nur ſel-
ten zur vollen Gewißheit gebracht werden wird.
IV.
Die bereits angedeutete Beſchränkung einer ungünſti-
gen Behandlung des Rechtsirrthums ſoll jetzt genauer aus-
geführt werden. Zu einer ſolchen findet ſich Veranlaſſung
ſchon nach dem Römiſchen Recht, noch mehr aber nach
dem heutigen. Es wird nämlich bey jener ungünſtigen
Behandlung als Gegenſtand des Irrthums eine ſolche
Rechtsregel vorausgeſetzt, die als gewiß allgemein aner-
kannt iſt. Denn nur bey einer ſolchen kann man dem Ir-
renden eine große Nachläſſigkeit vorwerfen, auch ſind die
zahlreichen, in unſren Rechtsquellen vorkommenden, Bey-
ſpiele insgeſammt von Regeln eines ſolchen Characters
hergenommen (a). Daher würde denn eine ſolche Behand-
lung in folgenden zwey Fällen nicht eintreten dürfen. Er-
ſtens bey controverſen Rechtsſätzen. Wenn z. B. ein Satz
(a) L. 1 § 1 — 4 h. t., L. 25
§ 6 de her. pet. (5. 3.), L. 10 de
Bon. Poss. (37. 1.), L. 31 pr.
de usurp. (41. 3.), L. 2 § 15 pro
emt. (41. 4.).
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/348>, abgerufen am 04.07.2024.
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