Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
völlig fremde Völker anzuwenden, von welchen diese Ge-
sinnung nicht getheilt und dieses Verfahren nicht erwiedert
wird. Eine solche Anwendung aber hat einen rein sittli-
chen Character, und nicht die Natur eines positiven Rechts.

§. 12.
Gewohnheitsrecht.


G. F. Puchta das Gewohnheitsrecht B. 1. 2. Erlangen 1828. 1837. 8.



Die hier unter dem Namen des Volksrechts dargestellte
Rechtserzeugung, die auf unsichtbare Weise vor sich geht,
und also nicht auf eine äußere Begebenheit und auf einen
bestimmten Zeitpunkt zurückgeführt werden kann, ist zwar
zu allen Zeiten anerkannt worden, aber diese Anerkennung
ist meist aus zwey Ursachen unfruchtbar geblieben: indem
man ihr eine zu beschränkte Stellung anwies, und indem
man ihr Wesen unrichtig auffaßte. Das erste kann erst
unten, in Verbindung mit der Gesetzgebung, klar gemacht
werden: das zweyte steht in Verbindung mit dem dabey
üblichen Namen des Gewohnheitsrechts.

Dieser Name konnte leicht zu folgender Gedankenge-
nealogie verleiten. Wenn in einem Rechtsverhältniß irgend
Etwas geschehen mußte, so war es ursprünglich ganz
gleichgültig, was geschah; Zufall und Willkühr bestimmte
irgend eine Entscheidung. Kam nun derselbe Fall aber-
mals vor, so war es bequemer, dieselbe Entscheidung zu
wiederholen, als sich auf eine neue zu besinnen, und mit
jeder neuen Wiederholung mußte dieses Verfahren noch

Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
völlig fremde Völker anzuwenden, von welchen dieſe Ge-
ſinnung nicht getheilt und dieſes Verfahren nicht erwiedert
wird. Eine ſolche Anwendung aber hat einen rein ſittli-
chen Character, und nicht die Natur eines poſitiven Rechts.

§. 12.
Gewohnheitsrecht.


G. F. Puchta das Gewohnheitsrecht B. 1. 2. Erlangen 1828. 1837. 8.



Die hier unter dem Namen des Volksrechts dargeſtellte
Rechtserzeugung, die auf unſichtbare Weiſe vor ſich geht,
und alſo nicht auf eine äußere Begebenheit und auf einen
beſtimmten Zeitpunkt zurückgeführt werden kann, iſt zwar
zu allen Zeiten anerkannt worden, aber dieſe Anerkennung
iſt meiſt aus zwey Urſachen unfruchtbar geblieben: indem
man ihr eine zu beſchränkte Stellung anwies, und indem
man ihr Weſen unrichtig auffaßte. Das erſte kann erſt
unten, in Verbindung mit der Geſetzgebung, klar gemacht
werden: das zweyte ſteht in Verbindung mit dem dabey
üblichen Namen des Gewohnheitsrechts.

Dieſer Name konnte leicht zu folgender Gedankenge-
nealogie verleiten. Wenn in einem Rechtsverhältniß irgend
Etwas geſchehen mußte, ſo war es urſprünglich ganz
gleichgültig, was geſchah; Zufall und Willkühr beſtimmte
irgend eine Entſcheidung. Kam nun derſelbe Fall aber-
mals vor, ſo war es bequemer, dieſelbe Entſcheidung zu
wiederholen, als ſich auf eine neue zu beſinnen, und mit
jeder neuen Wiederholung mußte dieſes Verfahren noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0090" n="34"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">II.</hi> Allg. Natur der Quellen.</fw><lb/>
völlig fremde Völker anzuwenden, von welchen die&#x017F;e Ge-<lb/>
&#x017F;innung nicht getheilt und die&#x017F;es Verfahren nicht erwiedert<lb/>
wird. Eine &#x017F;olche Anwendung aber hat einen rein &#x017F;ittli-<lb/>
chen Character, und nicht die Natur eines po&#x017F;itiven Rechts.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 12.<lb/><hi rendition="#g">Gewohnheitsrecht</hi>.</head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p> <hi rendition="#c">G. F. <hi rendition="#g">Puchta</hi> das Gewohnheitsrecht B. 1. 2. Erlangen 1828. 1837. 8.</hi> </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Die hier unter dem Namen des Volksrechts darge&#x017F;tellte<lb/>
Rechtserzeugung, die auf un&#x017F;ichtbare Wei&#x017F;e vor &#x017F;ich geht,<lb/>
und al&#x017F;o nicht auf eine äußere Begebenheit und auf einen<lb/>
be&#x017F;timmten Zeitpunkt zurückgeführt werden kann, i&#x017F;t zwar<lb/>
zu allen Zeiten anerkannt worden, aber die&#x017F;e Anerkennung<lb/>
i&#x017F;t mei&#x017F;t aus zwey Ur&#x017F;achen unfruchtbar geblieben: indem<lb/>
man ihr eine zu be&#x017F;chränkte Stellung anwies, und indem<lb/>
man ihr We&#x017F;en unrichtig auffaßte. Das er&#x017F;te kann er&#x017F;t<lb/>
unten, in Verbindung mit der Ge&#x017F;etzgebung, klar gemacht<lb/>
werden: das zweyte &#x017F;teht in Verbindung mit dem dabey<lb/>
üblichen Namen des <hi rendition="#g">Gewohnheitsrechts</hi>.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;er Name konnte leicht zu folgender Gedankenge-<lb/>
nealogie verleiten. Wenn in einem Rechtsverhältniß irgend<lb/>
Etwas ge&#x017F;chehen mußte, &#x017F;o war es ur&#x017F;prünglich ganz<lb/>
gleichgültig, was ge&#x017F;chah; Zufall und Willkühr be&#x017F;timmte<lb/>
irgend eine Ent&#x017F;cheidung. Kam nun der&#x017F;elbe Fall aber-<lb/>
mals vor, &#x017F;o war es bequemer, die&#x017F;elbe Ent&#x017F;cheidung zu<lb/>
wiederholen, als &#x017F;ich auf eine neue zu be&#x017F;innen, und mit<lb/>
jeder neuen Wiederholung mußte die&#x017F;es Verfahren noch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0090] Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. völlig fremde Völker anzuwenden, von welchen dieſe Ge- ſinnung nicht getheilt und dieſes Verfahren nicht erwiedert wird. Eine ſolche Anwendung aber hat einen rein ſittli- chen Character, und nicht die Natur eines poſitiven Rechts. §. 12. Gewohnheitsrecht. G. F. Puchta das Gewohnheitsrecht B. 1. 2. Erlangen 1828. 1837. 8. Die hier unter dem Namen des Volksrechts dargeſtellte Rechtserzeugung, die auf unſichtbare Weiſe vor ſich geht, und alſo nicht auf eine äußere Begebenheit und auf einen beſtimmten Zeitpunkt zurückgeführt werden kann, iſt zwar zu allen Zeiten anerkannt worden, aber dieſe Anerkennung iſt meiſt aus zwey Urſachen unfruchtbar geblieben: indem man ihr eine zu beſchränkte Stellung anwies, und indem man ihr Weſen unrichtig auffaßte. Das erſte kann erſt unten, in Verbindung mit der Geſetzgebung, klar gemacht werden: das zweyte ſteht in Verbindung mit dem dabey üblichen Namen des Gewohnheitsrechts. Dieſer Name konnte leicht zu folgender Gedankenge- nealogie verleiten. Wenn in einem Rechtsverhältniß irgend Etwas geſchehen mußte, ſo war es urſprünglich ganz gleichgültig, was geſchah; Zufall und Willkühr beſtimmte irgend eine Entſcheidung. Kam nun derſelbe Fall aber- mals vor, ſo war es bequemer, dieſelbe Entſcheidung zu wiederholen, als ſich auf eine neue zu beſinnen, und mit jeder neuen Wiederholung mußte dieſes Verfahren noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/90
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/90>, abgerufen am 22.12.2024.